Kapitel 4: Alltag

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Natürlich ging dieses Terrorisieren ohne Erbarmen weiter.

„Ich versteh einfach nicht, warum du dir das gefallen lässt. Warum machst du nichts dagegen?", seufzte Steffi theatralisch.

„Ich sehe das nicht anders, ich meine, wir würden dir ja auch helfen, aber du willst ja nicht. So hört das niemals auf!", war auch Ilai der Meinung.

Ich seufzte genervt und rieb mir über mein Gesicht. Fast jeden Tag musste ich mir das jetzt anhören. Hatten die denn keine Freunde oder Hobbys?

„Gewalt erzeugt Gewalt, hat man euch das nie erklärt?", zitierte ich schlicht, fast aufs Wort, den Schunder-Song von den Ärzten. Tja so hinterweltlermäßig lebte ich dann doch nicht. Ich hatte zwar sonst nichts, aber wenn mein Vater mal nicht da war, hörte ich in der Küche auch mal Radio. Schockierend, ich weiß, aber was sollte man machen.

Beide sahen mich an, als hätte ich jetzt vollständig den Verstand verloren.

„Ich fass es einfach nicht.", schon fast verzweifelt warf Stephanie die Arme in die Luft ließ es aber dann für heute auch bleiben. Tatsächlich gab auch Ilai endlich auf, was mich echt verwunderte. Da auch diese Pause endlich um war, gingen wir rein. Ich musste mich wirklich angestrengt konzentrieren, um irgendwas vom Unterricht mitzubekommen, da immer wieder Papierkugeln an mir abprallten. Wütend und genervt knirschte ich mit den Zähnen. Ich hatte den Drang mich herumzudrehen und sie anzubrüllen, aber im Endeffekt traute ich mich doch nicht und bekam den Mund mal wieder nicht auf. Unglaublich, wie ein Mensch sich selbst doch hassen kann. Ich hasste mich wirklich, meine Art, mein Charakter, mein Aussehen, meine Feigheit, einfach alles. Seufzend ließ ich den Stift neben dem Blatt nieder, ich hatte keine Lust mehr. Einmal Arbeitsverweigerung brach mir schon nicht das Genick, wenn sie es überhaupt bemerkte.

Erst ziemlich spät merkte ich, dass alle in die große Pause gingen. Langsam, eher schleichend, begab ich mich auch nach draußen. Steffi und Ilai warteten schon auf mich. Ich zündete mir eine Zigarette an.

„Du kommst aber gleich mit einkaufen und ich dulde keine Widerrede.", bestimmt und etwas sauer funkelten mich Stephanies Augen an.

Ich ergab mich natürlich sofort und nickte nur stumm. Dieser Tag war echt ätzend, zumal er sich wie Kaugummi hinzog. In der Bäckerei meinte mein Magen natürlich, Randale machen zu müssen. Hauptsache mal gut blamiert.

Noch in Gedanken wurde mir etwas an die Brust gedrückt, verwirrt sah ich auf, ich hatte nicht gemerkt, dass die schon fertig waren mit einkaufen waren.

„Iss oder ich schlag es dir um die Ohren.", meinte Steffi ohne sich auf Diskussionen einzulassen.

„Danke. Morgen bekommst du das Geld zurück."

„Iss jetzt einfach!"

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich auf Anhieb mit Menschen verstehen konnte. Doch egal was war, wenn ich nicht reden wollte, musste ich nicht, sie waren einfach da und lenkten mich vom tristen Alltag ab. Hieß das jetzt, ich hatte Freunde? Ich wusste es nicht. Ich meinte, sie erwarteten nichts, aber waren einfach da. Zum ersten Mal an diesem Tag verließ ein Lächeln mein Gesicht.

„Ruft den Notarzt er ist ernsthaft krank.", riss mich Ilai aus meinen Gedanken.

„Was?", verwirrt wie ich immer war, verstand ich mal wieder nichts.

„Na du hast mal gelächelt.", quiekte Steffi glücklich.

Ich zuckte einfach mit den Schultern. Die waren doch alle bekloppt. Schnell war auch das Teilchen, das ich von Stephanie ausgegeben bekam verschlungen. Ich schämte mich schon, dass ich fast immer ohne Geld und mit riesigem Hunger hier war. Ich würde ihr auch das Geld zurückgeben da konnte sie sagen, was sie wollte. Schnell rauchte ich mit Ilai noch eine Zigarette, bevor wir wieder in die Klasse gingen. Nur schleichend und schleppend neigte sich der Tag dem Ende zu, bis wir endlich gehen durften. Die Zugfahrt verlief dafür überraschen ruhig. Niemand sagte ein Wort, nicht einmal Steffi.

„Schade das du nie mit uns wartest.", meinte Steffi dann, die Stille durchbrechend.

„Wenn ich könnte, würde ich das tun aber ich kann nicht."

„Warum eigentlich?"

„Na, weil ich zu Hause auch ein paar Pflichten zu erfüllen habe", bei dem Gedanken schauderte es mir den Rücken runter. Aber damit war das Gespräch auch beendet und ich dankte Gott, dass auch keiner weiter nachfragte.

Die Zugfahrt verging meiner Meinung nach viel, viel zu schnell. Nur langsam schlich ich mich aus dem Zug und verabschiedete mich von Stephanie und Ilai. Genervt und doch etwas geplättet von was auch immer, machte ich mich auf den Heimweg. Langsam aber sicher wurde mir klar, dass ich eigentlich riesiges Glück hatte. Was jammerte ich hier eigentlich herum. Ich konnte froh sein, überhaupt so was wie Freunde zu haben. Ich hatte eigentlich schon nicht mehr das Recht zu jammern. Das die, das mit mir überhaupt ertrugen. Eigentlich stand ich nur da und antwortete wenn ich angesprochen wurde, und redet sonst auch nur wirklich das Allernötigste und dennoch waren sie da.

Doch als mich etwas am Kopf traf, wusste ich genau, warum ich jammerte.

Elias und Elija wohnten auch in meiner Nähe. Natürlich konnte man mich nicht mal auf dem kurzen Heimweg in Ruhe lassen. Mit gesengtem Kopf beschleunigte ich meine Schritte einfach nur. Doch Elija fand dies nicht passend und stellte sich so vor mich, dass ich gegen ihn rannte.

„Sag mal hast du nie Manieren beigebracht bekommen? Man rennt keine Leute an."

Sofort spürte ich kräftige Griffe an meinen Schultern und wurde lachend gegen Elias geschubst und wieder zurück zu Elija. Solange bis mir schwindlig wurde und ich vor Elija auf den Knien landete. Gott sei Dank gingen die Zwei einfach lachend weiter, ohne sich noch mal umzudrehen. Als auf einmal eine Hand mein Blickfeld durchdrang, blinzelte ich nach oben, jemand hielt mir die Hand, um mir aufzuhelfen, entgegen. War heute mein Geburtstag? Dankend nahm ich die Hand entgegen und sah auf einmal in mir nur zu gut bekannte, haselnussbraune Augen.

Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt