Inked - Chapter 6

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Es gibt diese Momente, in denen man einfach raus muss, in denen man Abstand von seinem Leben, von allen Menschen um sich herum braucht. Momente, in denen man am Liebsten den eigenen Körper, all seine Gedanken zurück lassen und dem ganzen entfliehen will.

In einem dieser Momente halte ich es nicht mehr aus. Ich schnappe mein Fahrrad aus dem Keller, steige auf, stecke mir die Kopfhörer in die Ohren und fahre los, kein bestimmtes Ziel im Sinn. Planlos fahre ich einfach so umher, vertraue darauf, dass meine Beine mich irgendwann irgendwo hin führen.

Alles um mich herum, der Verkehr, die Menschen, die Umgebung, verschwimmt vor meinen Augen zu einem Mix aus verschiedenen Farben, aus denen ich keine klare Form ausmachen kann. Es ist fast so, als wäre ich in einem Film den man vor spult. Doch es könnte mir momentan nicht gleichgültiger sein, was mit meiner Umgebung passiert. Was für mich gerade eine Rolle spielt, ist der Kampf, der sich wild wütend und zerstörerisch in meinem Inneren abspielt...

Mich an die Schriftzüge auf meiner Haut erinnernd, versuche ich durchzuhalten und fahre weiter, alles um mich herum ausblendend und darauf hoffend, dass ich nicht zeitnah von der Dunkelheit meiner Gedanken verschlungen werde.

In meinem Kopf sind diese zwei Stimmen...Es gibt mich...oder zumindest das, was ich für mein wahres Selbst halte. Und es gibt diese andere Stimme...diese dunkle Stimme, die ich so oft in meinem Kopf höre, die all meine Unsicherheiten ausspricht, die mir meinen Platz zeigen will, die ich so sehr zu unterdrücken versuche seit sie das letzte mal so präsent, so laut in meinem Kopf war, dass ich nicht mehr wusste wer ich wirklich bin...

Ich versuche mein Bestes um zu verhindern, dass sich das ganze Wiederholt, doch momentan kann ich nicht genügend Kraft aufbringen um mein Bewusstsein vor den negativen Worten zu verschließen...mein normales Ich ist schon viel zu tief in mein Unterbewusstsein, in die Dunkelheit meiner Gedanken abgesunken um noch weiter zu kämpfen und fast bin ich an dem Punkt angelangt, an dem es mich nicht mehr interessiert, an dem ich aufgebe. Statt mich also weiter ohne Ausblick auf einen Sieg zu wehren, versuche ich meine Gedanken gänzlich zu betäuben, damit keine der beiden Seiten die Überhand gewinnt.

Nur halb anwesend bemerke ich, dass ich inzwischen an einem Ort angekommen bin, den ich noch von früher kenne, aus meiner Kindheit, aus der Zeit, in der noch alles sorglos war...in der noch alles okay war. Mir ist nicht bewusst, dass ich mich bewege, bevor ich es tue. Wie in Trance schließe ich mein Fahrrad an einer Laterne fest und nehme auf einer der Holzbänke platz, die in einigen Metern Abstand zwischen einander am Flussufer stehe. Ich blicke hinab auf das dunkle Wasser, auf dessen Oberfläche sich die Lampen und der fast volle Mond spiegeln.

Mich überkommt ein Anflug der Nostalgie als ich daran denke, wie ich früher immer mit meiner Familie in dem kleinen Restaurant am Fluss gegessen habe, wie ich auf dem Spielplatz mit den anderen herumgetollt bin, wie wir zusammen das Feuerwerk angesehen oder die Attraktionen auf dem nahe gelegenen Festplatz besucht haben...Es war immer so angenehm ein Stückchen von unserer kleinen Stadt weg zu sein, auch wenn es nicht weit war.

Komplett versunken in meine Gedanken über die vergangenen Zeiten, bemerke ich gar nicht wie er mich sieht, mich erkennt, wie er langsam in meine Richtung kommt und letztlich neben mir Platz nimmt. Selbst dann braucht es noch ein paar Minuten bis ich die Präsens eines anderen Menschen, seine Körperwärme neben mir, richtig wahrnehme.

"Du scheinst ja wirklich in Gedanken zu sein" beginnt er und schenkt mir ein warmes Lächeln, für das ich dankbar bin, welches ich jedoch nicht erwidern kann. Da ich meiner Stimme nicht vertraue, nicke ich zur Antwort. "Ich hab wirklich nicht erwartet dich hier zu sehen" fährt er fort, darum bemührt eine Konversation zu starten, doch dazu bin ich momentan nicht in der Lage.
Wie so oft scheint er mich zu durchschauen, weshalb er statt auf Antworten meinerseits zu warten, damit beginnt von sich zu erzählen. Es ist, als würde er wissen, dass es genau das ist, was ich gerade brauche. Als wüsste er, dass ich alleine sein will und doch nicht alleine sein kann...dass ich jemanden an meiner Seite brauche, der mich davon abhält zu viel nachzudenken...

InkedWhere stories live. Discover now