Kapitel 3 - Roter Nebel - Teil 1

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Die Heiler blieben oben, während wir die Treppe hinunterliefen und das Heilerhaus verließen. Zwei Mal verfehlte ich die Stufen und wäre gestürzt, hätte der Fremde mich nicht festgehalten. Zu dem Schwindel hatte sich nun auch eine Übelkeit gemischt und ich war froh, frische Luft zu schnappen, als wir das Heilerhaus endlich verließen und hinaus in den Nebel traten, der die Stadt an diesem Herbstmorgen erobert hatte.

Der Fremde kam vor einem grau-weiß gescheckten Pferd zum Stehen, das Wasser von einem Trog vor dem Haus soff. Daneben stand ein weiteres, etwas kleineres, hellbraunes Pferd, von dessen Sattel ein vollgepackter Leinensack baumelte.

Ich wäre einfach planlos weitergelaufen, hätte der Fremde mich nicht an der Tunika gepackt und zurückgezogen.

»Kannst du reiten?«

»Reiten«, wiederholte ich matt. Ich blickte hinüber zu den Pferden. In meinem Zustand hätte ich nicht einmal sagen können, wo vorne und wo hinten war. »Wohin?«

»Für Fragen haben wir später Zeit. Wir müssen diese Stadt so schnell wie möglich verlassen.«

Er nahm mir den Beutel aus der Hand und kramte meine Stoffschuhe daraus hervor. Da wurde mir erst bewusst, dass ich noch immer die weiße Tunika und eine dünne Leinenhose unter dem Umhang trug. Und ich war barfuß. »Oh.«

Der Fremde kniete sich vor mir hin und half mir in die Schuhe hinein. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann mir das letzte Mal jemand die Schuhe gebunden hatte und aus irgendeinem Grund brachte mich das zum Grinsen.

Der Mann richtete sich wieder auf, musterte mich skeptisch und befahl mir, mich auf das kleinere Pferd zu setzen. Noch immer halb benommen von den Drogen folgte ich seinen Anweisungen ohne sie großartig zu hinterfragen, denn ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was ich sonst tun sollte. Das Nachtkreuz ließ meine Gedanken ziellos umherkullern und gegeneinander knallen wie Murmeln. Ich hatte schon lange aufgegeben, zu versuchen, diesem Chaos Herr zu werden.

Mit geschickten Fingern band der Fremde meinen Beutel an den Sattel und adjustierte die Steigbügel. Ich beobachtete ihn geistesabwesend dabei, wie er den langen Strick nahm, der vom Halfter meines Pferdes hing, und sich auf sein eigenes schwang. Er trieb seine Hacken in die Seite des Reittieres und als es sich in Bewegung setzte, ging auch ein Ruck durch meines.

Säure brannte sich meine Speiseröhre empor und ich hielt mir die Hand vor den Mund.

»Halt den Kopf unten«, brummte der Fremde, der offensichtlich nicht mitbekommen hatte, dass ich mich schon längst über dem Sattel zusammengekrümmt hatte und mit dem Erbrechen kämpfte.

Nur langsam gewöhnte ich mich an die Bewegungen des Pferdes und als sich die Übelkeit endlich zurückzog, suchte ich meine Umgebung nach Cade und den Gauklern ab. Da es ein nebliger, kalter Morgen war, waren nur wenige Menschen unterwegs. Bunte Girlanden hingen um Schilder und Balken. Letzte Überbleibsel der Zählung.

Ich sah mich weiter um und erkannte Flaggen, die wie erschlaffte Zungen von den Fensterläden hingen. Auf ihnen war ein sich aufbäumendes Pferd abgebildet, das Symbol des dritten Distrikts.

An einigen Türen hingen außerdem Tannenkränze, in deren Mitte Netze mit rot-gefärbten Federn gespannt waren. Eine Anspielung auf den Phönix, das Wahrzeichen der Magier. Man sagte, der Kreis, der sich stets in der einen oder anderen Form um den Phönix schlang, symbolisierte die Unterseite der Krone und war ein Ausdruck dafür, dass die Magier dem König treu ergeben waren. Aber wer wusste schon viel über die Loyalitäten der Blassen?

Am Stadttor standen drei mürrisch dreinblickende Wachen und stritten sich lauthals. Das Tor stand bereits offen und sie ließen uns passieren, ohne uns Beachtung zu schenken. Dahinter erstreckte sich eine von Gras umrahmte Straße, die sich jedoch nach wenigen Metern im weißen Dunst auflöste.

Der Halbe Schwur [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt