Seufzend wandt ich meinen Blick wieder zu der Kommode. Sollte ich das wirklich tun?

Ich wusste, dass Alec dort seine Zeichnung versteckte. Und ich war neugierig. Und ich konnte nicht schlafen. Und der Gedanke, nicht zu wissen, an was er mehrere Tage so konzentriert gearbeitet hatte, machte mich wirklich kirre.

Aber es war falsch. Das wusste ich. Ein ziemlich drastischer Eingriff in seine Privatsphäre vermutlich.

Und das war auch der Grund, warum ich seit gefühlten Jahren unschlüssig da stand und die Strickjacke fröstelnd noch etwas enger um mich schlang.

Irgendwie stank es nämlich ziemlich in diesem dummen Zimmer, schon als wir das erste Mal hinein getreten waren. Und das war auch der Grund, warum das Fenster seit Tagen auf dauerkipp stand, weshalb es also arschkalt hier war.

Mein Blick glitt zu der Uhr an der Wand. Kurz nach vier. Toll...

Sollte man nicht eigentlich meinen, für den kommenden Tag müsste ich ausgeschlafen sein? Pff, denkste...

Okay Aruna, entweder legst du dich jetzt wieder hin, oder du entscheidest dich, absolut in Alecs Privatsphäre einzugreifen. Wenigstens ein bisschen solltest du nämlich schlafen.

Und weil ich seit neustem eben ein absolutes Arschloch war, umgriff meine Hand den Knauf der Kommode, zögerte kurz und zog dann vorsichtig.

Ein dumpfes Geräusch ertönte, als wäre die Kommode selbst über meine Handlung empört.

Ich hielt die Luft an, warf einen hastigen Blick über die Schulter. Doch Alec hatte die Lider immer noch fest aufeinandergepresst.

Zitterten seine Lippen? Ich verzog das Gesicht. Es war ein absolut beschissenes Gefühl, den Ven so zu sehen.

Für einen Moment schloss ich die Augen, atmete dann tief durch. Denk an deinen Schlaf...

Nervös und zugegeben etwas zittrig wandt ich mich der nun geöffneten Kommode zu und erblickte den Zeichenblock, den Alec gekauft hatte.

Ich biss mir erneut auf meine Lippe und eigentlich grenzte es an ein Wunder, dass sie noch nicht blutig war von dem ganzen Herumgebeiße.

Dann griff ich mit klammen Fingern in die Schublade hinein und hob den Block hinaus, dessen Cover irgendwelche verlaufenen Aquarellfarben abbildete.

Angestrengt versuchte ich das schlechte Gewissen in den Hintergrund zu rücken und schlug den Block dann auf.

Überrascht hob ich die Brauen.

Nichts.

Ein absolut weißes Blatt.

Was? Aber ich war mir ganz sicher, dass er es hier hinein getan hatte.

Ich spürte bereits, wie sich die Enttäuschung in mir breit machte, doch da fiel mein Blick erneut in die dunklen Tiefe der Schublade.

Und da schimmerte es auf. Helles Papier, wenn auch ein wenig abgenutzter als das, das sich noch in dem Block befand.

Zwar war auch auf dem nichts zu erkennen, doch ich war schlau genug, um zu schlussfolgern, dass es falsch herum lag.

Wieder warf ich einen Blick auf den unruhigen Ven, dann seufzte ich. Jetzt oder nie.

Zittrig hob ich das Papier heraus, zögerte einen Moment nervös und drehte es dann herum.

Ich erstarrte. Meine Augen weiteten sich, ich hörte einfach auf zu atmen und beinahe hätte ich die Zeichnung einfach fallen gelassen.

Aruna - Die Rote WölfinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt