2 - Französisch-LK -

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Lilou greift nach meinem Weinglas und lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück. "Du hast immer gesagt, ich wäre die Erste gewesen". Ich bohre meinen Daumennagel in meine Handfläche. "Ich habe nicht gelogen", antworte ich. Lilou schaut interessiert. "Nein?" "Nein."

Sie trinkt das Glas zur Hälfte aus und hält es mir hin. Ich lehne ab.

"Erzähl mir von ihr...es war doch auch ein Mädchen, nicht?". Leichtes Zögern in ihrer Stimme. Ich nicke. "Fast. Es war eine Frau"

Es war nach den Sommerferien, die 11. Klasse hatte gerade begonnen, die Oberstufe hatte begonnen. Der Anfang vom Ende sozusagen. Ich war 16, im November würde ich 17 werden, aber es war egal ob 16 oder 17...wo war schon der Unterschied. Ich freute mich tatsächlich auf das Schuljahr, ich ging meistens gerne zur Schule. Ich mochte die Atmosphäre, eine Meinung, die nicht weitläufig geteilt wurde. Ich hatte einige neue Kurse belegt, der Großteil ohne meine Freunde, die alle so andere Leistungskurse belegt hatten. Ich; Französisch, Kunst, Geschichte - meine Freunde; Chemie, Bio, Informatik. Wir waren so verschieden. Wir sind es immer noch. Nur zu einer Freundin habe ich noch Kontakt. Der Rest hat sich verlaufen, als ich nach Paris ging. So sind sie, die Schulfreundschaften.

"Erzähl doch von ihr", bittet Lilou. "Warte", sage ich.

So begann also das Schuljahr. Aus irgendeinem Grund hatte ich mir die Haare in den Ferien geschnitten, sie waren kinnlang, jedoch ebenholzfarben wie eh und je, aber ich fühlte mich ein wenig unwohl mit der neuen Frisur, zog viel den Kopf ein, wollte nicht gesehen werden. Ich war nie besonders extrovertiert gewesen und obwohl ich mich auf die Kurse freute, mischte sich auch Angst darunter, Angst davor alleine in der ersten Reihe zu sitzen und höchstens mit dem Lehrer zu reden. In vielen Kursen war es letztendlich auch so, aber sonderlich störte es mich auch nicht. Vielleicht mochte ich sogar diese Abgeschiedenheit, die ich selbst konstruierte. Ich weiß es nicht. Die meisten Lehrer kannte ich, es gab wenig frischen Wind unter Oberstufenlehrern, immer die selben. Herr Schmidt und Frau Müller - so ist es ja immer. Außer in Französisch. Und natürlich der Kurs den ich belegte, nicht die Parallelklasse. Wir freuten uns natürlich, wir 11, die mutig genug für den Französisch-LK gewesen sind. Zwei Jahre mit Herr Sägel waren uns erspart geblieben; Herr Sägel, der CDs als zu neumodisch empfand.

Ich kann mich noch an den Tag erinnern, als ich sie zum ersten Mal sah. Es war ein Dienstag und es hatte am Abend zuvor oder vielleicht auch nachts geregnet und die Augustluft war noch frisch und klebte nicht auf der Haut. Ich trug ein luftiges Sommerkleid, ich meine gelb ist es gewesen, aber was macht die Farbe schon aus. Wir hatten sie in der 3. Stunde, Raum 103, aus dem man einen Ausblick auf den Lehrerparkplatz hatte. Sie kam ein wenig zu spät oder vielleicht war ich auch überpünktlich. Ich saß wie vorhergesehen auf dem Platz in der ersten Reihe, neben mich hatte sich ein Junge gesetzt, den ich schon aus dem Geschichts-LK kannte, ich glaube Julian hieß er.

Ich sah nicht wie sie reinkam, ich bemerkte sie nicht, sie war leise. Doch dann stand sie vor mir, ihre grünen Augen leuchteten mir durch ihre Brille entgegen, ihre rotstichigen Haare waren locker hochgesteckt, sie hatte ein Muttermal über dem Schlüsselbein, von mir aus gesehen rechts. Das weiß ich genau. Sie trug auch ein Kleid, es war weiß, Spaghettiträger und bis knapp übers Knie.

"Hallo", sagte sie und um ihre Augen bildeten sich kleine Lachfältchen. Irgendwer hatte erzählt sie sei 28 und sie sah auch genauso aus, wie 28, aber das meine ich als Kompliment. Sie sah eben nicht alt aus, wie es manche in dem Alter tun oder wie ein Teenager, der nun auf einmal 28 sein sollte, nein. Sie sah aus, wie 28 und genau das war gut.

Sie stellte sich als Frau Abke vor, lächelte die ganze Zeit, erzählte von den Themen fürs kommende Schuljahr und lachte über blödsinnige Schülerwitze so herzlich, wie es sonst nur Schüler konnten. Ich saß dort, hörte ihr zu war gebannt von dem was sie erzählte, saugte jedes Wort von ihr auf. Ich sagte kein einziges Wort, es gab keine Gelegenheit und keinen Grund für mich und die 45 Minuten waren viel zu schnell vorbei. Es klingelte und sie sagte: "Wartet noch kurz, tragt euch bitte in diese Liste ein, damit ich alle eure Namen habe und dann brauchen wir noch jemanden, der das Klassenbuch verwaltet". Alle kritzelten schnell ihren Namen hin, warfen die Rucksäcke über die Schulter, nur eine, weil das cooler war und schlüpften aus dem Raum. Wer wollte schon das Klassenbuch führen. Eine lästige Aufgabe, so erschien es den meisten.

Ich trug mich als letzte in die Liste ein, Ava Tegelmann, und stand dann unschlüssig vor ihr, mein Blick wanderte einmal hoch und runter an ihr, mir gefielen ihre Beine und dann sagte ich: "Ich mach das Klassenbuch". Sie lächelte mich breit an und hielt es mir hin, ich nahm es entgegen und schluckte "Ich weiß aber nicht genau wie das geht" und sie antwortete "Macht nichts, ich zeigs dir" und sie erklärte mir, worauf ich achten musste, wo welcher Lehrer eintragen musste...und so weiter und so fort. Sie schaffte es diese Banalitäten interessant klingen zu lassen, ich hing an ihren Lippen, ihren wunderschönen schmalen Lippen. Ich wollte das Klassenbuch nehmen, es hatte so einen eklelhaften Blauton, doch sie hielt es fest und schrieb unter das Etikett "Lehrkraft" Carina Abke drunter. Carina. Carina Abke. Das klang schön und ich wusste nicht, wieso es in dem Moment für mich schöner klang als andere Namen.

Lilou unterbricht mich: "Deine erste Liebe war also deine Lehrerin?" Sie klingt nicht eifersüchtig oder belustigt, sondern ehrlich mitfühlend. Ich nicke bestätigend und nehme doch einen Schluck Wein.

"Das kann nicht gut ausgehen", sagt Lilou.

"Doch", antworte ich mit einem schiefen Lächeln. "Es endet in Paris."

You were my first love [lehrerinxschülerin]Where stories live. Discover now