[FÜNF ALTERNATIV]

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662 TAGE DAVOR

„Ist es hier so heiß drin oder bin das einfach nur ich?", fragte Sebastian keck, um vom eigentlichen Thema, was derzeit im Raum stand, abzulenken.

„Ist es kalt hier drin oder ist das einfach mein nicht vorhandenes Herz?", konterte James, der im Eingang zu seiner Küche stand, mit vor Sarkasmus triefender Stimme.

Seb schnaufte auf diese Bemerkung hin und ließ sich auf einem der Sessel, die in seinem schlicht eingerichtetem Wohnzimmer standen, nieder. Er hatte sich schnell in der von Moriarty ihm zur Verfügung gestellten Wohnung eingelebt, was allerdings nicht weiter schwer gewesen war, da er seit seiner Zeit bei der Armee sehr minimalistisch lebte, und nicht viele private oder sentimentale Besitztümer hatte. Nachdem er es sich in dem Sessel halbwegs bequem gemacht hatte, griff er nach seinem Buch, was er den Abend zuvor auf dem Couchtisch hatte liegen lassen, schlug es auf der Seite auf, auf der er aufgehört hatte, und begann zu lesen. Das Buch war von Ian Morris und eines seiner Lieblingsbücher. Es befasste sich damit, wie der Krieg die Menschheit auch positiv beeinflusst hatte und dass, wenn es keinen Krieg gab, die Menschen immer noch auf demselben Fleck stehen würden. Er hatte es bereits einige Male gelesen und fand es doch immer wieder faszinierend.

Nachdem einige Minuten ohne ein Wort seitens Moriarty verstrichen waren, schaute Sebastian auf, um zu schauen, was er tat. Der Napoleon des Verbrechens, wie Moriarty sich manchmal gerne nannte – Sebastian fand das überaus passend, besonders weil der Ire ebenfalls relativ klein war, was er James aber niemals ins Gesicht sagen dürfte. Es sei denn, er verspüre einen starken Todeswunsch –, lehnte am Türrahmen und schaute ihn an, als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet, dass sich Sebastians Aufmerksamkeit von seinem Buch wieder auf ihn lenkte.

Seb legte sein Buch wieder beiseite und schaute James durchdringend an. „Wolltest du noch etwas von mir oder bleibst du da jetzt einfach weiter schweigend stehen?", fragte er desinteressiert. Keine Antwort. „Denn, wenn das der Fall ist, London hat einen sehr schönen Zoo, habe ich gehört, und den Tieren macht es auch nicht so viel aus, die ganze Zeit begafft zu werden, also wenn ich bitten darf...?" Sebastian stand auf, ohne Moriarty aus den Augen zu lassen, welcher ihn einfach nur weiterhin betrachtete, und deutete mit seiner Hand in Richtung Wohnungstür.

Moriarty runzelte nur die Stirn und sagte völlig aus dem Kontext heraus: „Dein letzter Auftrag lief nicht gerade so, wie ich es mir erhofft hatte." Eine leichte Warnung schwang in dieser Aussage mit und die Kälte seiner Stimme jagte Sebastian einen unangenehmen Schauer die Wirbelsäule hinunter. Manchmal vergaß er ganz, mit wem er sprach und dass dieser jemand ein unberechenbarer Psychopath war.

Sebastian hatte bei seinem Auftrag gestern einige Überwachungskameras übersehen, worauf Jim gerade wahrscheinlich anspielte. Aber es war alles gerade noch mal gutgegangen. „Ach, nein? Ist er nicht?" fragte Sebastian und seine Stimme klang leicht gereizt. Er versuchte, sich an James vorbei und in die Küche zu schlängeln; vergebens. James versperrte ihm den Weg. Mit einem humorlosen, leichten Lachen strich Sebastian sich durch die Haare und stellte sich wieder so hin, dass er Moriarty gegenüber stand.
„So, wie ich das sehe, habe ich den Auftrag erfüllt. Die Frau ist tot und ich bin unbemerkt geblieben. Ja, ich habe ein paar Kameras übersehen, aber deine IT-Freaks haben sich sofort darum gekümmert und alles Beweismaterial vernichtet. Wo liegt da also das Problem?", fragte er entnervt.

Moriarty verschränkte seine Arme locker vor der Brust. „Das Problem, Moran, liegt darin, dass es schlichtweg viel zu knapp gewesen war. Solche Fehler darf ich mir nicht erlauben und das sollte dir auch klar sein." Er schaute Sebastian fest in die Augen und Sebastian konnte den leicht irren Glanz in ihnen erkennen. Dann, mit einer quälenden Langsamkeit, breitete sich das typisch wahnsinnige Moriarty-Grinsen auf seinem Gesicht aus und er trat näher an Sebastian heran. Dieser nahm seelenruhig seine Zigarettenschachtel aus der Innentasche seines Jacketts und nahm sich eine heraus. Nachdem er die Schachtel wieder in der Tasche verstaut hatte, fischte er in seiner Hosentasche nach seinem Feuerzeug, steckte sich die Zigarette in den Mundwinkel und zündete sie an. Das alles tat er, ohne den Blick ein einziges Mal von James abzuwenden. Er sog einmal kräftig und das Ende glomm leicht auf. Er konnte das Nikotin schmecken, was ihn augenblicklich entspannen ließ. Mit einem langen Stoß atmete er wieder aus und blies Moriarty dabei den ganzen Rauch direkt ins Gesicht. Sebastian hatte mit einer Reaktion, wie ein wütendes Funkeln in den Augen, gerechnet; aber nichts. Jim schien es seltsamerweise vollkommen egal zu sein. Und falls es ihm doch was ausmachte, dann konnte er das ziemlich gut verbergen.

DUST // MorMor BonusWhere stories live. Discover now