Der Kuss

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„Es ... es tut mir leid", sagte eine für ihn vertraute Stimme.

„Tullia", seufzte der junge Jäger und schlug seine Augen auf. Was er erblickte, ließ ihn kurz vergessen zu atmen. Er befand sich angelehnt unter einem riesigen Baum, dessen Blätter in herbstlichen Farben erstrahlten. Das Licht war golden um ihn herum und ließ alles noch unwirklicher erscheinen.

„Deine Eltern konnte ich nicht retten", schniefte Tullia, die nur ein paar Meter entfernt von ihm stand und zu ihm schaute.

„Tullia..." Dafydd wollte sich erheben, doch sie rannte zu ihm.

„Bleib sitzen. Noch darfst du nicht aufstehen!" Sie kniete sich zu ihm hinunter und nahm eine seiner Hände.

Dafydd sah verdutzt auf diese. Er trug Lederhandschuhe. Er sah weiter: gefütterte Stiefel, eine neue Hose, ein Wams ... woher kam das bloß?

„Was..." Neben Dafydd lag noch ein Bogen, verziert mit Ranken und Blumen, die sich leicht bewegten.

„Still. Bitte rege dich nicht auf", bat Tullia, setzte sich zu ihm und schmiegte sich an ihn.

„Wo sind wir? Was genau..." Ein plötzlicher stechender Schmerz erfasste ihn und er stöhnte auf. Er berührte seine Stirn, drückte dagegen und hoffte, dass die Schmerzen vergingen.

„Du... lagst im Sterben", erklärte Tullia sanft. „Fast alle meine Brüder und Schwestern waren dagegen dich zu retten."

„Ich... ich verstehe nicht. Was für Geschwister?"

„Ich erkläre es gleich." Tullia atmete tief ein. „Ich bin kein gewöhnliches Mädchen. Meine Geschwister sind auch keine normalen Menschen." Sie schloss die Augen, Blätter fielen vom Baum auf sie hinunter, bedeckten ihren Körper und ein goldenes Licht brach aus den Ritzen hervor. Die Blätterkruste öffnete sich und Tullia war nicht mehr Tullia. Ihre zuvor brünetten Haare waren nun blond, ihre Lippen waren wie eine Einladung zum Küssen, so rot und sinnlich waren sie. Ihr Gesicht war feiner und schöner als zuvor, nur ihre Haut blieb gleich milchweiß und ihre Augen strahlendblau wie der Himmel. Ihre zuvor adlige Kleidung wurde von einer hellen Toga ersetzt, die wie Wellen sich an ihren Körper schmiegte. Ihre Lippen, obwohl sie Dafydd anlockten, erschreckten ihn. Sie lächelten nicht.

„Wer bist du?", wollte Dafydd endlich wissen.

„Ich bin Tacha, die Göttin des Schicksals und du befindest dich gerade in meiner kleinen Welt." Sie erhob sich, ging einige Schritte von ihm weg und hob ihre Arme. „Gefällt es dir hier?"

Dafydd blieb stumm, schüttelte seinen Kopf. „Warum hast du nichts gesagt?"

Tacha schwieg.

Er wollte zu ihr, stand auf und atmete schwer, als der Schwindel ihn fast übermannte. „Warum hast du dich mir nicht offenbart? Warum hast du meine Familie und mich nicht gewarnt?"

Tacha seufzte auf. „Selbst wenn ich es getan hätte, wären diese Männer eines Tages euch auf die Spur gekommen. Sie hätten in der Zwischenzeit mehrere Dörfer abgebrannt, und damit die Familien ausgelöscht."

„Das waren doch nicht so viele." Dafydd sah sich um. Es war alles nur ein Trugbild. Ein Wunsch einer Göttin. Eine Scheinwelt. Für ihn? „Dann wären mein Vater und meine Mutter..." Er konnte seine Gefühle nicht mehr verbergen, Dafydd fing zu weinen an.

„Nein!", meinte Tacha und ging zu ihm. „Hörst du nicht richtig zu? Deine Eltern wären dann später gestorben! Und du wärst es auch!"

Dafydd schüttelte Tacha von sich, als sie ihn umarmen wollte. „Es waren nur ein paar...", fing er zu reden an.

Tacha und der Gott der Jagd - Wenn das Schicksal einen küsstWhere stories live. Discover now