Die Schatuelle

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Dafydds Mutter erholte sich schnell und die vier verbrachten viele Abende zusammen, um Tullias Geschichten zu lauschen. Uns was für welche sie kannte! Jeden Tag erzählte sie ihnen eine, bis der Sommer anbrach und wieder langsam abebbte.

Dafydd war so begeistert von diesen Geschichten, dass er stets enttäuscht war, wenn sie mit einer fertig war. Ob es um die Entstehung der Welt, dem Krieg der Götter oder das Leben einzelner Götter ging, er hing ihr an den Lippen. Er wollte mehr. Mehr Erzählungen. Mehr von ... ihr.

Er wünschte, dass es auf ewig so bliebe.

Eines Abends, nachdem Tullia mit ihrer Geschichte fertig war, erzählte sie ihm und seinen Eltern, dass sie wieder aufbrechen müsse.

Dafydd wollte aber nicht, dass sie wieder in der Früh aufbrechen würde und bestand darauf mit ihr auf den Morgen zu warten.

Nachdem seine Eltern zu Bett gegangen waren, redeten Dafydd und Tullia über ihre Lebensziele und Wünsche und Zwänge. Beide hatten es sich gemeinsam auf einer Bank vor der Feuerstelle gemütlich gemacht.

„Wieso musst du wieder los? Wohin gehst du nur?", fragte Dafydd traurig und Tullia lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter.

„Ich kehre Anfang Winter wieder", versprach sie. „Ich habe nur noch andere Verpflichtungen zu erfüllen."

„Dann... dann lass mich mitkommen!"

„Nein. Deine Eltern brauchen dich." Obwohl sie es mit vollem Ernst aussprach, hörte Dafydd ein wenig Bedauern raus.

„Ich..." Er wollte zu gerne mit ihr gehen, doch Tullia hatte Recht. Er konnte nicht einfach verschwinden. Seine Eltern könnten sich ohne seine Hilfe nicht über Wasser halten. Sie brauchten ihn.

„Ich verspreche, wenn der erste Schnee fällt, werde ich da sein." Tullia nahm seine Hand in die ihre und schmiegte sich an ihn.

Am nächsten Morgen war sie verschwunden, nur ihre Schatulle blieb im Haus.


Tag für Tag erhoffte sich Dafydd Schnee. In seinen Augen fielen die Blätter viel zu langsam und die Kälte ließ auch auf sich warten. Jeden Tag ging er zur Lichtung, doch Tullia war nie dort.

Seine Eltern bemerkten seinen Kummer, der noch stärker war als nach dem ersten Verschwinden der geheimnisvollen Schönheit.

Dafydd stand jeden Morgen früher auf, als es nötig war und starrte die Schatulle von Tullia an. Zu gerne hätte er sie aufgebrochen, um mehr über sie zu erfahren. Doch jedes Mal, wenn diese Gedanken aufkamen, hatte er Angst bekommen, dass er vielleicht doch kein tugendhafter Mensch sei.

Obwohl der Herbst immer weiter fortschritt gab es keine Anzeichen für Schnee und Dafydd wurde zusehendes trauriger. Zwar ging er auf die Jagd, doch er aß kaum noch etwas.

„Junge", der Vater sprach es eines Abends an. „Du musst nach vorne blicken. Du wirst noch krank!"

Dafydd sagte nichts, stellte sein Abendbrot beiseite und stand auf.

„Wo willst du nun hin?", wollte seine Mutter wissen, doch er gab keine Antwort und verließ das Haus.

Er brauchte kein Licht um zu wissen wie er zur Lichtung kam und kurz, bevor er da war, spürte er einen eisigen Wind durch den Wald wehen. Die ersten Schneeflocken rieselten sanft hinunter und Dafydd jubelte laut auf. Erst überlegte er, ob er zunächst bei der Lichtung nach schauen sollte, entschied sich aber dagegen.

„Geh' nicht zurück!", hörte er leise und sah sich um. Nirgendwo war jemand deutlich zu sehen. Er spürte, wie ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut war, doch er ignorierte es. „Hallo?", rief er in den Wald, doch niemand antwortete ihm. Dafydd dachte, dass er es sich nur eingebildet hätte und rannte zurück zum Haus.

Tacha und der Gott der Jagd - Wenn das Schicksal einen küsstWhere stories live. Discover now