KAPITEL ZWEI ㅡ long island getaway

Começar do início
                                    

Bei dem unerträglichen Gejammer – das er selbst überhaupt nicht als ein solches empfand und nur so nannte, um Taehyung aufzuziehen – handelte es sich um die sinnliche, träge Stimme von Chet Baker, der seit mehr Jahren unter der Erde war, als sowohl Taehyung wie auch Jeongguk auf ihr wandelten und ihre Autofahrten begleitete, seit Jeongguk denken konnte.

„Leid werden?", antwortete Taehyung so ungläubig, dass es Jeongguk ein Lächeln entlockte. Er wandte seinen Kopf in seine Richtung und ihre Blicke kreuzten sich; auf eine Art und Weise, wie Jeongguk sie nur bei Taehyung kannte – als sei die folgende Konversation nur Formsache, weil sie beide bereits jeden möglichen Ausgang ihres Gesprächs schon vorauszusagen vermochten. Zum einen, weil Jeongguk Taehyung so vollkommen kannte, dass jede Erwiderung nur ein Echo dessen sein konnte, das Jeongguks Erwartungshaltung seines besten Freundes bereits entsprach. Und zum anderen, weil sie vermutlich jedes Gespräch schon einmal geführt hatten, in den abertausenden Stunden, die sie einfach nicht zu trennen waren. Sie kannten einander so in- und auswendig, so vollendet in jeder Hinsicht, jeder Laune und Möglichkeit – so, dass Jeongguk oftmals nur Sekunden vor Taehyung denselben Anflug einer Idee ereilte, oder Taehyung in dem Augenblick das aussprach, das Jeongguk bereits auf der Spitze seiner Zunge getragen hatte.

Und dennoch hätte Jeongguk niemals gesagt, dass Taehyung ihm langweilig werden würde; dass er ihn inzwischen so gut kannte, dass es Zeit für ihn sei, weiterzuziehen wie eine Biene, die den Nektar einer Blüte erschöpft hat. Vielmehr war Taehyung für ihn wie das Lesen seines allerliebsten Buches, zu dem er immer wieder zurückkehren würde, wohl wissend, dass es ihn mit derselben Unveränderlichkeit empfangen würde, willkommen heißen mit demselben schwarzen Schriftbild auf papiernen Seiten, willkommene Worte in tröstlicher Dunkelheit. Und wenn er die Sätze beim Lesen mitsprechen konnte, erfüllte ihn das nur mit Stolz, sich etwas seines absoluten Liebenswerks verinnerlicht zu haben; dass er einen Abdruck von Taehyungs einzigartiger Einmaligkeit in seinen Gedanken besaß.

„Vielleicht... wird My Funny Valentine nach dem zwölftausendsten Mal etwas... repetitiv", erwiderte Jeongguk grinsend und konnte den Grad des gespielten Entsetzens auf Taehyungs Gesicht bis auf ein paar wenige Details mühelos voraussagen.

„Ich lasse mir hier nichts von jemanden erklären, der jedes Wochenende den gleichen Film ansieht." Taehyung schüttelte seinen Kopf, während er an einer Wagenkolonne vorbeizog, die an der Ausfahrt zum Northern State Parkway verlangsamte. „Wenn hier jemand sein Recht auf Kritik verwirkt hat, dann bist das du, Gukkie."

Jeongguk biss sich grinsend auf die Lippen und wandte sich ab. Er musste sich nicht umdrehen, um das winzige Lächeln auf Taehyungs Mund zu wissen.

„Es gibt... wohl einfach Lieder, denen man nicht müde werden kann", sagte Taehyung nachdenklich. „Ich habe das Gefühl, dass das eine exklusive Qualität von allem ist, das im letzten Jahrtausend produziert wurde. Heutzutage kennst du ein Lied an der Spitze der Charts und du kennst sie alle."

Jeongguk musste nur eine Augenbraue heben; sodass Taehyung grinsend einsah: „Okay, ich als Jazz-Fanatiker sollte keine allzu großen Worte über Gleichtönigkeit schwingen, aber... aber du verstehst, worauf ich hinauswill."

„Immer, Tae." Er biss sich auf die Unterlippe, wohl wissend, dass er seine nächsten Worte nicht zurückhalten konnte, ganz gleich wie viel Mühe er sich gab: „Du unverbesserlicher Hörer dieser... Fahrstuhlmusik."

Taehyung wählte die Methode, für die er sich meist entschied, um Jeongguks subtile Kritik im Keim zu ersticken, er drehte die Lautstärke hinauf und ließ zu, dass die antiken Klänge die Worte zwischen ihnen substituierten; Jeongguk mit Gedanken in die Zeit zurückversetzen, in der sie dieselben zwei gewesen waren – in einer einfacheren Welt, die nicht alle paar Schritte versucht hatte, sich in ihren Kehlen zu verbeißen. Oder war er damals einfach nur besser darin gewesen, offensichtliche Feindseligkeit nicht zu erkennen?

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