KAPITEL EINS ㅡ the korean job

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Er seufzte ergeben, und trat vom Gehweg auf die Straße, während er mit geteilter Aufmerksamkeit den Chat mit sich selbst aufrief, um die Adresse zu finden, die er sich heute Morgen geschickt hatte, kaum, dass Wonpil sie ihm um Punkt fünf Uhr sechsundvierzig ins Ohr gebrüllt hatte. Der Runner schob meistens Nachtschichten und es war nicht das erste Mal, dass er Jeongguk mit ungünstig platzierten Anrufen zu unchristlichen Stunden aus dem Schlaf riss.

„Yo, Kleiner, pass auf dich", hatte der ältere Mobster ihm zum Abschied ins Ohr gesäuselt, als übte Jeongguk sich erst seit zwei Monaten in diesem Job und als sei es nicht erst eine halbe Woche her, dass er Wonpils undankbaren Hintern aus einem feindselig motivierten Hinterhalt gerettet hatte. Jeongguks träge, aber sarkastische Konter war im jähen Knacksen der endenden Verbindung untergegangen.

„Du lieferst mir besser was Gutes, Wonpil", murmelte er zu sich selbst, während er das Handy zurück in seine Tasche gleiten ließ und die unenthusiastische Vollbremsung eines anrollenden Chevrolets mit einem knappen Nicken zur Kenntnis nahm.

Er wäre nur sehr ungern für eine kalte Spur nach Hell's Kitchen gefahren, ganz besonders, weil die Subway sich wieder einmal durch unprofessionelle Unübersichtlichkeit ausgezeichnet hatte und er zwischen Bleecker Street und Broadway zwei Mal die Linie hatte wechseln müssen, was das gesamte Unterfangen auf die dreifache Dauer ausgeweitet hatte, als sie eigentlich nötig gewesen war.

Er lebte schon sein gesamtes Leben in dieser Stadt, und seit vierzehn Jahren in diesem Borough; aber dennoch war das makellose Navigieren der Subway immer noch kein Unterpunkt auf seiner langen Liste von Fähigkeiten.

(Nicht, dass Taehyung wusste, wie man Subway fuhr – aber Taehyung war für das tägliche Leben eines durchschnittlichen New Yorkers ohnehin nicht geeignet; und das sagte Jeongguk trotz oder gerade wegenseiner unstillbaren Liebe zu seinem besten Freund.)

Die Adresse, die Wonpil ihm heute Morgen mit enthusiastischer Inbrunst ins Ohr geschmettert hatte, befand sich knapp vier Blocks weiter nördlich, und Jeongguk beschleunigte seine Schritte, kaum, dass er die Bordsteinkante auf der gegenüberliegenden Straßenseite erreicht hatte. Je schneller er die Sache hinter sich brachte, desto früher war er aus der Muße seines Sicario-Alltags heraus, wie er seine Arbeit scherzhaft selbst deklarierte.

Die Bezeichnung des Sicarios entsprang aus dem Kontext der kolumbianischen Mafia, in der die Bosse sich Berufskiller zu eigen machten, die sie sich in einer Mischung aus gönnerhafter Jovialität und dem andauernden Schrecken von Bestrafung blind von ihrem jeweiligen Boss gehörig und abhängig machten.

Nicht, dass Taehyung ein Mafiaboss wäre (lediglich der Sohn von einem dieser Sorte) und Jeongguk war auch kein Berufskiller. Zumindest nicht, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

Obwohl er seine Schritte beschleunigte, blieb ihm dennoch genug Zeit, die mehr oder minder vertrauten Häuserreihen von Hell's Kitchen ins Auge zu fassen, die sich an diesem Montagmorgen durch die übliche Apathie gegenüber der Schnelllebigkeit ihrer Bewohner äußerten. Während sich auf Straßenebene hauptsächlich Lebensmittelläden, schnelle Steh-Cafés oder das gelegentliche Diner befanden, waren die Stockwerke darüber unleugbar von der Qualität eines bewohnten Quartiers geprägt – halb heruntergelassene Rollläden, geöffnete Fenster und die verklingende Spur von Musik, die sich beizeiten aus den Wohnungen ihren Weg auf die straßenlärmüberflutete Straße bahnte.

Jeongguk war hier aufgewachsen, mitten in Hell's Kitchen, nachdem er seinem Geburtsort Brooklyn mit dem Tod seiner Mutter vor vierzehn Jahren für immer den Rücken zugekehrt hatte – und er musste sagen, er liebte Clinton mit jeder Faser seines Herzens; er liebte die niedrige Architektur, die vergleichsmäßig ausgeprägte Ruhe, die sich über das Viertel senken konnte, er liebte den Hudson im Westen, der sich vor Jahrtausenden glitzernd in den Graben zwischen Manhattan und New Jersey gesenkt hatte, und es möglich machte, am Morgen von Möwengeschrei geweckt zu werden.

SLOWTOWNWhere stories live. Discover now