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Schweißgebadet wachte ich auf und starrte mit hämmerndem Herzen an die helle Holzdecke, bevor ich die Decke wegriss und in das Zimmer nebenan lief, und mitten im Zimmer stehen blieb. Quietschvergnügt saß sie in ihrem Gitterbettchen, ihre Stoffpuppe in der Hand und lächelte selig vor sich hin. Das unangenehme Gefühl in meinem Bauch verblasste wieder und ich ging zu ihrem Bettchen, hob sie heraus und setzte sie auf meine Hüfte und kuschelte meine übliche Morgenrunde mit ihr, barg ihr Gesicht an meiner Halsbeuge und genoss ihre Nähe. Solche Momente waren in den letzten Monaten zu einer Rarität geworden, sodass ich es nur noch mehr genoss, wenn wir einmal die Zeit dafür hatten. Sie wurde nach einer Zeit etwas zappelig, darum ging ich mit ihr runter ins Erdgeschoss, setzte sie auf die Couch und machte mich daran, Frühstück für uns beide zu machen. Während das Wasser aufkochte, ging mein Blick nach draußen in den Garten. Der Garten mit den 2 kleinen Hütte, die sich am anderen Ende der grünen Fläche befanden. Vor meinem geistigen Auge sah ich Mia und mich da draußen, an den heißen Sommertagen im Schatten der Apfelbäume auf einer Decke zusammen spielen, Mia im Sandkasten mit ihren Förmchen um sich werfen und wie sie mir half, die Himbeerhecke, die mittlerweile ziemlich hoch geworden war, abzuernten.
Das Blubbern des Wassers riss mich aus meinen Gedanken, mein Blick huschte zu Mia auf der Couch, die genauso verträumt wie ich durch das Fenster sah, bevor ich das aufgekochte Wasser auf das Pulver für den Babybrei goss.
Draußen vor den großen Fenstern schien die Sonne, aber wir aßen drinnen, auf der Couch, mit dem Fernseher im Hintergrund. Mia war unglaublich süß mit ihren 3 Jahren, sie brabbelte einzelne Wortfetzten vor sich hin, die sie in der letzten Zeit beim Arzt oder von mir aufgeschnappt hatte.
Der Vormittag verging schnell, wir spielten und schliefen, ich las ihr aus ihrem Lieblingsbuch vor, wir aßen zu Mittag und schließlich auch zu Abend. Ein ereignisloser Tag war selten geworden in unserem Haushalt. Umso mehr genossen wir diese Tage, in denen wir nicht mehr taten als auf der Couch zu liegen und nichts zu tun. Trotzdem war Mia erschöpft und ich brachte sie nach oben, legte sie in mein Bett auf die andere Seite, doch sie wachte auf. Sie wollte nicht bei mir, sondern in ihrem eigenen Bett schlafen. Also brachte ich sie in ihr Zimmer, legte sie mitsamt ihrem Püppchen in ihr Gitterbett und machte das Licht aus. Die Tür ließ ich offen, das war eine alte Angewohnheit, die sich schon ein paar Mal ausgezahlt hatte.
Auch ich legte mich ins Bett, lag ganz still um zu hören, wenn sie nach mir rief, weil sie Hilfe brauchte. Ich sollte sie zu mir rüber holen, kam mir in den Sinn. Das Bett war groß genug, dass 2 Personen darin schlafen könnten. Aber mir war schon klar, was sie mir wieder sagen würde. Ihr gefielen die Wandfarben nicht, das Zimmer war ihr zu ungemütlich, als dass sie darin hätte schlafen können. Ich wusste, dass es nur Ausreden waren. Sie liebte mich, aber sie hoffte immer noch, dass ihr Dad nach Hause kommen und wieder in meinem Bett schlafen würde. Sie vermisste ihn so sehr wie ich, aber das änderte auch nichts.
Ich wollte ihr so viel wie mögliche Normalität in ihrem Leben lassen. Ich wollte sie ihr eigenes Zimmer haben lassen, wollte ihr die Freiheit nicht nehmen, das zu tun, was sie am liebsten tat. Malen. Sie liebte malen. Im Wohnzimmer und in der Küche und im Flur und auch in meinem Zimmer hingen die schönsten der schönsten Bilder, zu denen Mia eingewilligt hatte, sie aufzuhängen. In ihren Bildern fand sie das Ventil für all ihre Gefühle, ihre Wut, ihre Freude, ihre Ohnmacht konnte sie dadurch zum Ausdruck bringen. Sie konnte sich als ganz normales Mädchen fühlen, während sie malte. Das brachte ihr ein Stück der Normalität wieder zurück, wofür ich wirklich dankbar war. Es gab nicht viel, was Mia ablenken oder auf andere Gedanken bringen konnte.
Nachdem ich wieder einmal 1 gesamte Stunde wachgelegen war, hatte ich mich soweit wieder beruhigt, dass ich einschlafen konnte. Aber natürlich träumte ich wieder davon, wie Mia von der Pfütze verschlungen wurde. Und wieder wachte ich schweißgebadet auf. Und wieder verbrachte ich einen wunderschönen Tag mit Mia. Aber ich wusste ganz tief in meinem Herzen, dass es wohl einer der Letzten sein würde. Also tat ich alles daran, ihr den Tag so schön wie möglich zu gestalten. Wir gingen in den Wald, spazierten über unseren geliebten, gottverlassenen Waldweg, sogen den Geruch von nasser Erde und Regen in unsere Lungen und freuten uns unseres Lebens. Mia sprang in jede Pfütze, mit ihren pinken Gummistiefeln und der dunkelblauen Matschhose. Sie freute sich ihres Lebens, wenn das Wasser spritzte, und quietschte vergnügt vor sich hin. Solche Spaziergänge hatten wir früher viel öfter gemacht, an den Wochenenden, unter der Woche, Hauptsache, man war draußen gewesen. Es trieb mir die Tränen in die Augen, als sie vorlief zum Auto, als wir schon wieder umgekehrt waren, wie sie selbständig die Tür öffnete, sich die Matschhose und die Gummistiefel auszog und in ihren Sitz kletterte. Wie sie selig vor sich hin lächelte, sich auf das nächste Mal freute, wenn wir hier wieder herausfahren würden.
Ich atmete noch einmal tief durch, sog den herrlichen Geruch des Waldes in mich hinein, bevor ich mir die Tränen wegwischte und Mia zum Auto folgte, glücklich, dass wir noch einmal zusammen im Wald gewesen waren.

Afraid of TomorrowWhere stories live. Discover now