»Ich will dich beschützen, Freya!«, schrie er zurück. »Denkst du ich wollte, dass das alles passiert? Es war die einzige Möglichkeit dir zu helfen!«

»Du musst mich nicht beschützen!«, erwiderte ich genauso sauer. Es wäre mir lieber, er wäre in Sicherheit.

»Natürlich muss ich das. Du bist unsere zukünftige Anführerin. Ohne dich ist unser Volk verloren.«, sagte er leise. »Jeder würde sich um den Posten streiten, wenn du stirbst.« Bevor ich es verhindern konnte, verzehrte sich mein Gesicht. Schnell verbarg ich, dass mich seine Worte getroffen hatten, aber er hatte es bemerkt. »Und du bist meine beste Freundin. Du weißt, dass ich für dich sterben würde.« Weil ich die Erbin war. Dieser Gedanke versetzte mir einen Stich. Nein. So durfte ich nicht denken. Zach war immer für mich da gewesen. Er war auch mein bester Freund. Mein einziger Freund. Und natürlich hatte er Recht, ohne mich würden viele Zoyats sterben. Es gab keine andere Option für mich, als Mehyl und Ivy zu helfen und das alles hinter mich zu bringen.

»Bald ist das alles vorbei.«, erwiderte ich bissig. »Sobald meine Abmachung mit Ivy erfüllt ist, werden wir wieder zurück zur Erde kehren.«

Zach lachte, aber die Falte auf seiner Stirn, die immer erschien, wenn er wütend war, erschien nicht. Ich würde mich wohl nie daran gewöhnen, dass Zach jetzt in diesem Körper steckte. »Wenn du wirklich tust was sie verlangen, wird viel Schlimmeres passieren, als was der Tod uns bringen könnte. Egal was ich in Zukunft sage oder tue, hilf ihnen auf keinen Fall. Ich werde einen Weg für uns finden von hier zu verschwinden. Versprochen.«, flüsterte er.

»Was Planst du? Zach, ich...« Ein schmerzerfüllter Schrei unterbrach unser Gespräch. Ich drehte mich hastig um. Zach hielt mich zurück, bevor ich dem Neyfrem zur Hilfe eilen konnte.

»Halt dich zurück!«, befahl er. Zach hatte mir nichts zu befehlen. Er war mir untergesetzt und nicht umgekehrt. »Misch dich nicht ein. Du machst alles nur schlimmer. Wir müssen auf die richtige Gelegenheit warten. Dann können wir zuschlagen.« Als ob ich das nicht schon wüsste. Aber ich wartete schon seit Monaten auf die richtige Gelegenheit und sie war noch nicht aufgetaucht. Langsam bezweifelte ich, ob sie jemals kommen würde.

Ivy und Mehyl waren nicht dumm. Nur ihr Blut konnte mich von der Handschelle befreien, die mir meine Fähigkeiten nahmen. Hasserfüllt blickte ich auf mein rechtes Handgelenk. Wie konnte so ein kleines Metallstück nur so großen Schaden anrichten. Egal was ich versucht hatte, nichts hatte die Handschelle auch nur beschädigt.

Es war unmöglich. So war ich meinem Volk nicht nützlich. Ich musste einen Weg finden sie loszuwerden, bevor ich floh. Hätten die Zoyats dieselben Fähigkeiten, wie die Neyfrem hätte Zach uns von hier weg teleportieren können. Doch wir konnten uns nur mithilfe unserer Münzen durch den Raum bewegen. Ohne die Münzen konnten wir nur zu Fuß fliehen. Sie würden uns innerhalb von Minuten finden und die Sicherheitskontrolle nur erhöhen. Vielleicht konnten wir Caleb oder Luc überreden uns von hier fortzubringen.

Das war wohl aber auch nicht die beste Idee. Mehyl würde mein Volk abmetzeln, wenn ich floh und bis auf den letzten Zoyat in den Tod schicken. Das konnte ich nicht verantworten. Mein Volk würde nicht für meine Freiheit bezahlen. Ich konnte nicht zulassen, dass Zach uns von hier wegbrachte. Er hatte unrecht. Der einzige Weg unsere Leute zu beschützen, war Ivy und Mehyl zu helfen.

Zach ließ mich endlich los. Mein Blut floss wieder zurück in meine Hand. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie taub geworden war. Ein pulsieren ging durch meine Hand, während wir zu den anderen liefen.
In einem hatte Zach allerdings Recht. Ich musste mich zurückhalten. Durfte sie nicht sehen lassen wie sehr mich dieses abgemetzel traf. Sie durfte nicht sehen, wie schwach ich war. Wie menschlich. Also lehnte ich mich an einen Baum und tat so, als würde ich gelangweilt durch die Gegend schauen. Caleb schlenderte auf mich zu und lehnt sich neben mich an den Baum. Er hatte alles gesehen. Wenn ich schon so reagiert hatte, was ging dann wohl in ihm vor? Vorsichtig musterte ich ihn. Nachdenklich kaute er an seiner Unterlippe, bis er meinen Blick bemerkt. Dann lächelt er betrübt.

»Caleb was du eben gesehen hast...« Was sollte ich ihm dazu überhaupt sagen? Ich wusste ja selbst nicht, wie ich damit leben sollte, dass ich nichts unternommen hatte.

Er legt mir seine winzige Hand beruhigend auf den Arm. »Ist schon gut.«, tröstet er mich. »Es war nicht deine Schuld. Du hättest nichts tun können.« Anders als die anderen hatte ich Caleb nicht schon im Lager kennengelernt. Ich hatte ihn zum ersten Mal gesehen, als er zu meiner Zelle geschlichen kam. Er wusste wer ich war. Caleb half mir nicht den Verstand zu verlieren. Und auch jetzt war Caleb wieder der, der mich vom Abgrund wegriss und mich durch seine sanften Worte tröstete. »Manchmal tut man Dinge um zu überleben.« Wie konnte ein kleiner Junge so weise sein? Eigentlich hätte ich ihn aufmuntern sollen und nicht umgekehrt.

Als ich nichts erwiderte, sondern nur nickte, fuhr er fort. »Jeder Tag meines Lebens war so.« Er brauchte nicht zu erklären, was er damit meinte. Ich wusste was er damit sagen wollte. Er war mit diesen Bestien aufgewachsen. »Die dunklen Neyfrem haben viele aus meinem Lager getötet. Seit meiner Geburt habe ich das mitangesehen.« Seine Augen sind in die Ferne gerichtet. In all den Nächten -in denen er vor meiner Zelle gesessen hatte- war mir noch nie in den Sinn gekommen ihn zu fragen, was er unter Mehyls Herrschaft durchlitten hatte.

»Niemand war sicher vor dem Tod. Ich konnte keine Freunde haben, denn ich wusste, dass sie auch jede Sekunde umgebracht werden könnten.« Caleb sah  mich an. Er war so stark. Kein Lebewesen sollte ein solches Leben führen müssen. Vor allem nicht dieser gütig Junge. »Ich hatte eine Schwester. Sie hat nicht überlebt.« Sein Gesicht verdüsterte sich. »Wir haben alle gehungert. Als dann die Krippe kam, hat ihr Körper aufgegeben.«

Seine Augen füllten sich mit Tränen. Es zerriss mir das Herz. Meine Hand wanderte zu meiner Wange -und erst als sie auf die warmen Tränen traf- bemerkte ich, dass ich auch weinte. Diesen Schmerz konnte ich sehr gut nachempfinden. Ich zog ihn fest in meine Arme. Nicht nur um ihn zu trösten, sondern auch um meinen Schmerz zu besänftigen. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Meine Schwester... sie ist auch gestorben.«

Es überraschte mich, dass ich diese Worte ausgesprochen hatte. Nicht einmal mit Zach hatte ich darüber sprechen können. Nach ihrem Tod war der wichtigste Mensch in meinem Leben einfach nicht mehr da gewesen.

»Aber sie sind immer noch bei uns, solange wir sie in unserem Herzen bei uns tragen. Niemand kann sie uns ein zweites Mal nehmen.« Seine Augen schossen zu mir hoch. Er sah so verletzlich aus. In diesem Moment versprach ich mir niemals zuzulassen, dass ihn jemand verletzte. Er hatte schon zu viel durchgemacht.

Caleb nickte schließlich, ohne sein Blick von mir zu nehmen. »Danke.«, flüsterte er und wischte sich mit dem Handrücken seiner kleinen Hand die Tränen weg, die ihm unaufhaltsam übers Gesicht liefen.

»Erst als ihr alle gekommen seid, hat mein Leben wieder angefangen. Ich hatte wieder Leute, die mir wichtig waren. Ihr könnt uns alle retten.«

»Caleb, du solltest nicht...« Er unterbrach mich.

»Du kennst Ivy nicht!«, schnitt er mir das Wort ab. In seinen Augen war nicht mehr die Trauer, sondern nur eiserne Entschlossenheit. »Sie wird uns helfen. Ich weiß das.« Er mochte sehr reif für sein Alter sein, aber dann kamen manche Momente in denen seine Naivität hervortrat und man genau sehen konnte, wie alt er wirklich war.

Der Anführer schrie wieder. Ich beging den Fehler zu ihm zu schauen. Attica hielt Luc davon ab, sich einzumischen, während Ivy dem Anführer mit ihrem seltsamen Dolch tiefe Schnittwunden zufügte. Sie fragte ihn über etwas aus. Wild schüttelte er den Kopf und flehte sie an, ihn endlich zu töten. Doch sein Flehen traf auf taube Ohren. Ihre Augen funkelten vor Freude, jedes Mal, wenn ihr Dolch in Anwendung kam. Luc versucht Ivy zu überzeugen, den Dieb nicht zu töten. Er schaut sie zwar wütend an, aber in seinem Blick war auch eine andere Empfindung gemischt. Selbst jetzt kann er es nicht verbergen. Auch damals, bei unserer ersten Begegnung hat er sie ständig so angeschaut, wenn er dachte, dass ihn niemand beobachten würde.

»Schau nicht hin.«, riet mir Caleb.

»Diese Neyfrem sind nicht die Wilden. Ivy und diese Freundin von ihr sind es.«, murmelte ich, um meine Wut zu unterdrücken. Es laut auszusprechen half mir, den Ballast loszuwerden.

»Vertrau ihr.«, bat mich Caleb. So etwas konnte er nicht von mir verlangen. Ich würde Ivy und ihres gleichen niemals vertrauen können. Aber mir blieb sowieso keine andere Wahl als ihr zu helfen. Wenn ich Caleb mit meiner Zustimmung glücklich machen konnte würde ich es tun. Also nickte ich. Er sah mich breit grinsend an. »Danke. Sie wird uns nicht enttäuschen. Ivy ist nicht wie die anderen dunklen Neyfrem.«

Dark Neyfrem #2Where stories live. Discover now