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Ivys POV

Ein nackter junger Mann trat aus dem Wald und kam auf mich zu. Als er mich sah, begannen seine Augen zu strahlen und seine Miene wurde lockerer. Die Wolfsbestien um uns herum, beobachteten uns vorsichtig.

»Mayser!«, rief er fröhlich und schloss mich in eine innige Umarmung. Das war also einer der Drillinge. Ich stieß ihn nicht von mir weg, obwohl das mein erster Instinkt war. Vor allem, weil er nichts an hatte. Schließlich brauchte ich seine Hilfe. Er musste mir vertrauen. Sonst würden die Drillinge wohl nie mit mir mitkommen. Also lächelte ich ihn breit an und drückte ihn fester an mich.

»Wie heißt du noch mal?«, fragte ich ihn vorsichtig. Seine Miene verdunkelte sich. Es schien ihn zu treffen, dass ich nicht wusste, wie er hieß.

»Bay.«, erwiderte er knapp und ließ mich endlich los. »Keine Sorge. Ich nehme es dir nicht übel. Du hattest mich letztes Mal schon gewarnt, dass du mich bei deinem nächsten Besuch nicht mehr wiedererkennen würdest. Ich bewundere dich dafür. Dir selber deine Identität zu stehlen, nur damit du diesen Bastard aufhalten kannst. Das würden nicht viele tun.« Es wunderte mich, dass er das alles wusste. Ich musste ihm ziemlich vertraut haben, um ihm das anzuvertrauen. Aber all meine Opfer hatten wohl nichts gebracht, denn letztendlich war ich doch auf Mehyls Seite gelandet.

»Du bist so jung.« Ich hatte einen alten Mann erwartet, als Mehyl unsere Cousins erwähnt hatte. Immerhin war Mehyl unsterblich und ich hatte zwei Leben gelebt. Er müsste jetzt um die achtzig sein. »Du hältst dich auch gut für dein Alter.«, erwiderte er und lachte glücklich. »Das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe, war vor ungefähr 20 Jahren, bevor du zur Erde gegangen bist. Da warst du älter als jetzt. Aber du sieht aus wie früher. Du hast dich kein bisschen verändert. Das ist seltsam.« Seine Worte waren etwas wirr. »Naja. Ich weiß, wie du aussehen wirst, wenn du sechzig oder siebzig wirst.« Sein Lächeln war aufrichtig und die Freude, die aus seinen Augen sprühten schien es auch zu sein.

»Wie bist du so jung geblieben?«, fragte ich ihn.

Bay lächelte schelmisch. »Ich bin eine Wolfsbestie. Es war Teil unseres Fluchs. Jeder unserer Kinder muss zweihundert Jahre alt werden, bis es sterben kann. Ich habe schon fast die Hälfte rum.« Es klang sehnsüchtig. Als wolle er schon sterben. Wurde man des Lebens etwa so überdrüssig, wenn man schon so lange gelebt hatte?

»Was passiert dann? Müsst ihr dann sterben?«, fragte Caleb traurig. Erst jetzt schaute sich Bay um.

»Nein. Der älteste in unserem Clan ist sechshundert Jahre alt.«, erwiderte mein Cousin. Das waren viele Jahre. Ich konnte mir nicht vorstellen so lange zu leben. Selbst in der Gilde hatte ich keinen dunklen Neyfrem kennengelernt, der so alt war.

Alle schwiegen. Bay entdeckte Des. »Deshar.«, begrüßte er ihn trocken.

»Bay.«, erwiderte Zach mit dem gleichen Tonfall. Bay konnte also Des nicht leiden. Interessant.

»Und deine Brüder? Sind sie auch hier?«, wechselte ich das Thema. »Wie heißen die noch gleich?«

Bay legte seine Stirn in Falten. »Es fällt mir so schwer zu glauben, dass du uns nicht mehr kennst. Aryn und Ceyl. Du hast uns immer die ABC Drillinge genannt. Weiß du noch?« Er musterte mich und schien zu bemerken, dass da gar nichts bei mir klingelte.

Freundlich lächelte ich ihn an. So freundlich, dass mir fast die Galle hochkam. Ich unterdrückte ein Würgen und fügte hinzu. »Werde ich die ABC Drillinge sehen?«

»Ja. Sie sind im Camp.« Er schaute jeden von uns an und wägte wohl ab, ob er allen vertrauen konnte. »Du traust deinen Begleitern?« Natürlich nicht. Ich traute niemanden mehr. Dennoch nickte ich eifrig und versicherte ihm, dass man jeden einzelnen vertrauen konnte. Luc schnaubte und flüsterte Zach »Um uns sollte er sich keine Sorgen machen.« zu. Er sprach so leise, dass Bay ihn nicht gehört hatte, dennoch warf ich ihm einen warnenden Blick zu und Luc verstummte.

Dark Neyfrem #2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt