Kapitel 1

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Ich saß auf einer Mauer und betrachtete das rege Treiben der Stadt, oder zumindest das, was von diesem Teil der einst prächtigen Stadt noch übrig war. Die gepflasterten Straßen waren zertrümmert. Aus den Ritzen sprießte bereits Unkraut. Die Häuser waren teilweise zerstört und drohten unter ihrem eigenen Gewicht zusammen zu brechen. Rauchfahnen stiegen von den teils intakten Gebäuden in den Himmel und signalisierten, dass diese noch bewohnt waren. "Hey Kitten," hörte ich die Stimme meines Verlobten. Kurz darauf gesellte er sich zu mir auf die Mauer und reichte mir ein Stück Brot. Nahrung. Seit dem Angriff war Nahrung knapp. Wir, die ihr Zuhause verloren hatten und nun auf der Straße lebten, hatten es schwer, über die Runden zu kommen. "Ach Viktor.." seufzte ich und sah ihn an," du weißt doch..dass du nicht stehlen sollst.." Ich legte meine Ohren bei dem Gedanken, dass er mal wieder gestohlen hatte, an. Für mich. "Außerdem..sollst du doch auch etwas essen..du bist erschreckend mager.." Ich hörte Viktor leise lachen. Danach spürte ich seine kalte Hand, die durch meine langen, weißen Haare strich und auf meinem Hinterkopf ruhte. Er drückte mich sanft gegen seinen schmalen Körper. "Liebste.." er war mir so nahe, dass ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüren konnte, der mich leicht erzittern ließ," ...du hast es nötiger als ich...außerdem weißt du doch, dass ich nie etwas esse."

Dabei legte er behutsam eine Hand auf meinen Bauch. "Stimmt ja.." murmelte ich und kuschelte mich an ihn," ...du bist ja ein..-" "Nicht so laut..!" unterbrach Viktor mich und legte einen Finger auf meine Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen. Ich blinzelte verwirrt und sah ihm in die Augen. Mir fiel auf, dass er sich immer wieder hektisch umsah. Er wirkte generell in letzter Zeit sehr abwesend und paranoid. Als ich, das war vor dem Angriff, einmal spät abends ein wenig verspätet nachhause kam, kam mir Viktor vollkommen aufgelöst entgegen und fragte mich, ob den alles in Ordnung mit mir sei oder ob ich irgendwelche Verletzungen habe. "Ist alles in Ordnung mit dir Viktor?," fragte ich ihn und sah ihn an. Meine Ohren zuckten aufmerksam. Aber anstatt mir zu antworten schwieg er, zog mir einen dunkelgrauen Mantel über und drückte mich an sich. Er bedeutete mir leise zu sein. Ich musste durch den Druck auf meinen Bauch leise ächzen und versuchte mich von ihm wegzudrücken. Nach einer Weile des Schweigens ließ er mich schließlich los. Ich schüttelte mich und strich meinen gesträubten Schwanz glatt. "Was war das eben?," wollte ich wissen und legte die Ohren an," du hast mich total eingequetscht!" "Tut mir leid.." erwiderte er," nur.." "Nur was..?," ich zog verärgert eine Augenbraue hoch, musterte ihn und biss von meinem Brotstück ab. Es schmeckte trocken, dennoch spürte ich, dass mein Hunger weniger wurde. Er zitterte, das konnte ich sehen. Ich hatte meinen Verlobten noch nie so gesehen. Er war immer stark und selbstbewusst, wollte für seine Familie da sein. Aber jetzt wirkte er alt und gebrechlich, obwohl er erst 19 war. Wir hatten nichts. Konnten unserem Baby nichts bieten.

Viktor schwieg weiterhin. Frustriert darüber, dass er mir nicht die erhoffte Antwort gegeben hatte, rutschte ich vorsichtig die Mauer hinunter. Der Mantel reichte bis zum Boden und man konnte nicht erkennen, dass ich mir darunter den Bauch hielt. Die Kapuze über meine Katzenohren ziehend setzte ich mich in Bewegung. Ich musste mir die Beine vertreten. "Celeste, wo gehst du hin!?;" rief mir Viktor hinterher und schon hörte ich schnelle Schritte, die auf mich zukamen. Viktor lief neben mir her und sah mich dabei an. Er erhoffte sich anscheinend eine Antwort meinerseits. Doch die blieb aus. Schweigend liefen wir nebeneinander her. "Es tut mir leid.." unterbrach er die Stille," aber ich kann es dir nicht sagen.." "Hat es mit mir zu tun?," unterbrach ich ihn. "Nein.. nicht direkt.." ich konnte sehen, wie er die Zähne zusammenbiss. Wütend darüber, dass er mir etwas verheimlichte ließ ich ihn verdutzt stehen und bog in eine Seitengasse ab. Er versucht nicht einmal, mich aufzuhalten.. Kisten und Fässer stapelten sich darin und versperrten den weiteren Weg.

Davor saßen einige Typen, die so aussahen, als würden sie gleich vor Erschöpfung zusammenbrechen. Einer von ihnen trug einen zerschlissenen, sandbraunen Mantel, der dreckübersät war und bestimmt schon bessere Tage gesehen hatte. Seine Haare standen ihm von allen Seiten vom Kopf ab. Die anderen beiden sahen nicht besser aus. Die Haare des Mittleren erinnerten an ein Vogelnest. Noch welche, die ihr Zuhause durch diesen Angriff verloren haben. Sie sehen aber auch nicht gerade freundlich aus.. Die drei Typen wirkten tatsächlich so, als hätten sie schon einige kriminelle Machenschaften verrichtet. Ich versteckte mich hinter den Kisten und hielt meinen Bauch. Vorsichtig linste ich hinter den Kisten und Fässern hervor. Sie redeten über irgendetwas, aber was konnte ich nicht verstehen. Ich glaubte aber, den Namen meines Verlobten gehört zu haben. Was hat Viktor mit denen zu tun? Wenn es stimmte, und diese Typen tatsächlich etwas mit Kriminellen am Hut hatten, war ich in Gefahr. Ich musste hier weg. Hoffentlich haben sie mich nicht bemerkt.. Just in diesem Moment legte sich ein Schatten über mich, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Als ich wieder zu den Obdachlosen sah, bemerkte ich, dass einer fehlte..

Ich zuckte zusammen, als mich eine kalte Hand an der Schulter packte, mich hinter den Kisten hervorriss und vor den anderen beiden Typen zu Boden schmiss. Ich ächzte schmerzhaft und legte die Ohren an.

"Na wen haben wir denn da?," hörte ich die gehässig lachende Stimme von Viktors besten Freund.

Die Chroniken von Lousima- A Shadow returnsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt