Prolog

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Ariana war 14, als ihre Eltern bei einem Feuer ums Leben kamen. Nach diesem Unglück nahm sich Tante Gerthrud ihrer an, die genau genommen eigentlich gar nicht ihre Tante war, sondern die Stiefschwester ihres verschiedenen Vaters. Aber die Krönung des Ganzen war: Gerthrud hasste ihre Nichte. Bis zu ihrem 17ten Lebensjahr wohnte Ariana bei ihr (drei Jahre zu lange, wenn es nach ihr ging), ließ sich schikanieren und beschimpfen. Nach ihrem Geburtstag besuchte sie ihre Großeltern mütterlicherseits in Gotham, die in einem annehmlichen Haus am Rande der Stadt lebten. Ariana konnte sich noch genau daran erinnern, wie ihre Granny ihr um den Hals gefallen war, als sie Ariana die Türe öffnete. Als sie noch klein war, fuhr sie mit ihren Eltern über den Sommer fast jedes Jahr hierher, doch seit dem Begräbnis dieser hatte Gerthrud jeglichen Kontakt zwischen ihnen verhindert. Das Wiedersehen nach über drei Jahren war demnach mehr als herzerwärmend. Ariana erzählte ihnen, wie schrecklich es bei Gerthrud war und dass sie nun gerne hier bei ihnen bleiben würde, was ihre Großeltern ins Unendliche begrüßten.

Tante Gerthrud schien sichtlich erleichtert zu sein, dieses "Miststück" - wie sie Ariana gerne genannt hatte - endlich vom Hals zu haben. Aber am glücklichsten von allen war Ariana selbst, die nun in Gotham bei ihren Großeltern wohnen durfte. Sie genoss die Zeit in dem alten, gepflegten Haus. Es war schön, nicht direkt im Stadtzentrum zu sein. An den warmen Sommerabenden saß sie stundenlang draußen im Garten, im Winter meist vor dem Kamin im Wohnzimmer. Besonders gefiel ihr die Mischung aus viktorianischem Altbau und moderner Kunst. Zusätzlich schmückten ein paar Antiquitäten aus den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts das Haus. Grandpa hatte Ariana früher über diese Erbstücke immer spannende Geschichten erzählt, die sie mit Begeisterung aufsog. Im Wohnzimmer stand eine schwarze Ledercouch, ein nobler Glastisch genau davor und ein rot-schwarzer Perser lag darunter. Von dem Sofa aus konnte man perfekt fernsehen, wofür Ariana allerdings nur schwerlich Zeit fand, da es oftmals spät abends wurde, wenn sie von der Universität nach Hause kam. Sie studierte nun seit zwei Jahren Psychologie und Psychotherapie, und obwohl sie bis zum Ende der Ausbildung  nur noch ein halbes Jahr zu büffeln hatte, konnte sie es kaum erwarten, endlich in den Beruf einzusteigen. Sie wollte  endlich Leuten helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Ariana selbst musste damals nach dem schrecklichen Verlust ihrer Eltern zu einem Therapeuten. Seither war ihr klar gewesen, dass auch sie diesen Job ausüben wollte, auch wenn es sie um ihr Privatleben brachte. Und obwohl Ariana die meiste Zeit tatsächlich mit Lernen verbrachte,  nahm sie sich immer Zeit für die Gotham News. Nachrichten mit ihren Großeltern anzusehen war immer ein Vergnügen gewesen. Man konnte es sich in etwa so vorstellen: Granny saß in ihrem Ohrensessel und strickte oder häkelte, Grandpa lag gemütlich auf der Couch und trank Bier. Alles war friedlich, bis die Nachrichtensprecherin zu reden begann.

"Wann machen die denn endlich mal was richtig? Die Frau gehört umbesetzt. Die kann nichts!"

"Halt die Klappe, Bob, ich will  zuhören"

"Jetzt sag bloß, du findest die auch noch gut!?"
Manchmal stritten sie darüber, manchmal aber auch einfach nur über Gotham und in welchen Zuständen es sich befand. Aber im Grunde war es immer lustig, ihnen dabei zuzuhören. Alles in allem hatte Ariana eine wunderbare Zeit bei ihren Großeltern, bis das verdammte Schicksal erneut zuschlug.


Eines abends kamen ihre Großeltern nach ihrer Verabredung nicht mehr zu Hause an. Ariana machte sich Sorgen, da sich Granny sonst immer meldete, falls es später wurde. Doch dieses Mal kam kein Anruf. Sie benachrichtigte die Polizei, die ihr anfangs jedoch nicht helfen wollte.

"Erst nach vierundzwanzig Stunden kann eine Vermisstenanzeige aufgegeben werden, Miss"

"Nein, nein, nein, hören Sie. Ich weiß, dass da etwas nicht stimmt. Bitte, ich mache mir Sorgen"

"Ich rede mal mit dem Commissioner"

Fast eine halbe Stunde hatte Ariana am Telefon gewartet, bis sie endlich die Bestätigung bekam, dass sie ihr helfen würden. Noch am selben Abend erreichte sie dann die Nachricht, ihr Grandpa wäre gegen einen Baum gefahren. Beide waren sofort tot. Ariana fühlte sich leer. Es war schier so, als hätte ihr jemand mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen. So traurig war sie das letzte Mal beim Tod ihrer Eltern gewesen, und obwohl dieser nun gut sechs Jahre zurücklag, weinte sie dennoch wie ein kleines Kind. Vater Tod war erneut so gewillt gewesen, seiner Arbeit nachzugehen und ihr die Menschen zu nehmen, die alles für sie waren. Hätte er sich nicht Gerthrud schnappen können? Die Tage vergingen; schneller als erwartet stand die Beerdigung vor der Tür und sie klopfte laut und deutlich. Ariana schaffte es nur schwer, ihr zu öffnen. Die letzten Tage hatte sie das Haus nicht verlassen, und nun sollte sie unter Leute gehen? Während der Beisetzung wurde sie von allen Seiten beäugt; jeder versuchte, sie mit Samthandschuhen anzufassen. Mehr als Mitleid bekam sie nicht. Dabei war das das Letzte, was sie gewollt hätte. Lieber wäre ihr gewesen, jemand hätte sie aufgeheitert, sie zum Lachen gebracht. Früher verbrachte sie ihre Zeit gerne allein, nun hätte sie Gesellschaft gebraucht. Doch ihre Bekannten und Freunde meinten wohl, sie besser in Ruhe trauern zu lassen. Ganz nach dem Motto: "Lieber den Tod nicht erwähnen, ansonsten wird er real".

Doch Ariana hätte gerne über den Tod gesprochen. Oder auch einfach nur über Kuchenteig - denn diese abartige Stille raubte ihr fast den Verstand. Sie verkroch sich mit einer Tasse Tee unter der Decke und schaute Fern, um sich abzulenken. Um ihrer Großeltern Willen schaute sie die Gotham News, welche jedoch alles andere als gute waren. Hin und wieder vernahm sie Wörter wie "Anschlag" oder "Explosion", und darüber nachzudenken, wie viele Menschen tagtäglich, trotz Helden wie Batman, in Gotham starben, bereitete ihr große Sorgen. Darüber zu sprechen machte den Tod nicht real - das war er ohnehin. Er war ein beständiger Begleiter, der einem niemals von der Seite wich. Und in Arianas Fall fühlte es sich an, als würde er nur darauf warten, den nächsten Menschen an ihrer Seite zu sich zu holen. Ihre Trauer über den Verlust ihrer Liebsten wandelte sich schnell in Wut und Hass auf die Kapuzengestalt in ihren Träumen, doch bald schon legte sich auch diese. Ihre Prüfungsphase an der Uni lenkte sie schließlich etwas ab. Nach zwei, drei Wochen pendelte sich ihr täglicher Rhythmus wieder etwas ein. Mitte März fing sie an, morgens in ihrer Straße eine Runde zu laufen. Es war kühl und in der Luft lag die Feuchtigkeit und Frische, nach der sie sich lange Zeit schon gesehnt hatte. Anfangs fiel es ihr etwas schwer, abzuschalten. Ihre Gedanken drehten sich weiterhin um die vergangenen Wochen, und sie fragte sich allmählich, was nur losgewesen war mit ihr. Die ganze Zeit hatte sie darauf gewartet, dass sich jemand bei ihr meldete - dabei hätte sie ganz einfach das Gespräch mit ihren Freunden suchen können. Ja, es war wirklich an der Zeit, die Zähne zusammenzubeißen und ihr Leben weiterzuführen. Und wie sie so dachte und schwitzte, fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen: Sie hatte ihre Mails nicht gecheckt. Abrupt blieb sie stehen, machte auf dem Absatz kehrt und lief die gerade zurückgelegten Meter zurück zum Haus. Unglaublich, dass sie so etwas Wichtiges vergessen konnte. Hastig sperrte sie die Haustür auf und stürmte keuchend hinauf in ihr Schlafzimmer. Fluchend machte sie ihren Laptop an. Der brauchte natürlich eine halbe Ewigkeit zum Hochfahren. "Mach schon, na los!"  Zügig loggte sie sich ein und durforstete sogleich ihren Posteingang. Knapp fünfhundert Benachrichtigungen! Ariana löschte alles, was sie nicht gebrauchen konnte. Werbungen, Facebook Messages von Leuten, die sie nicht mal kannte und - da! Sie hatte gefunden, wonach sie suchte. Sie hatten ihr doch tatsächlich geantwortet. Nach wochenlangem Trauermiene schieben, bahnte sich nun endlich ein breites Lächeln in ihr Gesicht. Aufgeregt öffnete sie das Mail.

Sehr geehrte Miss Black!

Wir haben uns sehr über Ihre Bewerbung gefreut. Da Sie diesen Sommer ihr Studium abschließen werden, wie Sie uns mitgeteilt haben, dürfen wir Ihnen, Miss Black, deshalb mit großer Freude mitteilen, dass wir Sie gerne von 1. August bis 31. September einstellen würden. (Falls Ihr Interesse noch besteht, natürlich.) Sehen Sie diese zwei Monate als Übungsphase und Probearbeit. Sollte es Ihnen bei uns gefallen (und Sie uns), dann würden wir über eine Fixanstellung sprechen.

Wir hoffen auf eine baldige Rückmeldung.

Mit besten Grüßen aus dem Arkham Asylum. - Dr. Jeremiah Arkham

Ungläubig beäugte Ariana die eben gelesenen Zeilen. Das war eine Zustimmung. Sie hatte den Job in der Tasche. In ein paar Monaten würde sie die verzweifelten Seelen im Arkham therapieren! Die Freude konnte nicht größer sein. Endlich ging es wieder bergauf. Schnell schickte sie eine Entschuldigung und ein Dankschreiben zurück und fuhr den PC herunter. Es wurde Zeit, sich bei ihrer besten Freundin zu melden.

Unexpected - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt