-44- ➳ Eine Sekunde Frieden

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„Liam, verdammte scheiße!", stieß ich aus und warf im gleichen Moment die tropfende Toilettenbürste auf die Fliesen. „Warum in aller Welt musst du mich so erschrecken, ich hatte echt gedacht, dass ich gleich heimtückisch erdolcht werde!"

Liam lehnte mit verschränkten Armen und mit einem Grinsen im Gesicht an der benachbarten Toilettenkabine und amüsierte sich anscheinend prächtig über mich und meine Panik.
Immer noch voller Adrenalin strich ich mir durch meine Haare und atmete einmal tief durch.

„Tut mir leid, ich konnte es mir nicht verkneifen", meinte er nur und nach wenigen weiteren Sekunden hatte sich mein Herzschlag wieder soweit beruhigt, dass ich spürte, wie meine Wangen vor Scham rot wurden. Sein Blick wanderte von meinem Gesicht zu meinen Füßen und als ich seinen Blick folgte, stöhnte ich leise auf und am liebsten wäre ich im Boden versunken.

„Die Wahl deiner Verteidigung ist immer wieder interessant. Ein Messer auf der Abendveranstaltung, Plastikgabeln in Cambridge und nun eine Toilettenbürste."

Ich räusperte mich und verschränkte meine Arme, um mir zumindest etwas einzubilden, dass ich meine Würde behalten könnte.

„Und die Wahl deiner Sanitären Anlagen ist auch interessant. Du weißt schon, dass das hier eine Mädchentoilette ist, oder?"

Ich musterte ihn, doch ihm schien meine Frage nicht peinlich zu sein. Stattdessen stieß er sich von der Toilettenkabine ab und zuckte die Schultern.

„Ich weiß." Er sah von mir weg, geradewegs in die Richtung der Tür.
Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Und warum bist du dann hier?"

Sein Blick traf wieder auf meinen und für einen Moment raubten mir seine braunen Augen den Atem.

„Weil ich der Situation entkommen wollte..."
„Ich auch...", unterbrach ich ihn und seufzte auf. Doch er sprach einfach weiter: „...Und ich mit dir reden wollte."

Nun legte ich leicht den Kopf schief, unsicher wie ich seine Worte auffassen sollte. „Du wolltest mit mir reden? Über was?"

Sein Blick schweifte leicht ab, doch für ein kurzen Moment verzogen sich seine Lippen zu einem traurigen Lächeln, bevor er erneut die Schultern zuckte und sprach: „Ich weiß es nicht so genau."

Ich ging einen Schritt von der Toilettenbürste weg und versicherte mich mit einem Blick, dass die Tür weiterhin verschlossen war, bevor ich mich an der Kabinentür hinabgleiten ließ und mich im Schneidersitz auf die kalten Fliesen setzte.

„Dann lass über Ungenaues sprechen, denn zurück möchte ich noch nicht." Ich sah zu ihm auf und konnte sehen, wie sich seine Miene erst verblüfft verzog, bevor sich langsam ein Lächeln auf seine Lippen schlich.

„Das hört sich gut an." Er ließ sich mit etwas Abstand an der nächsten Kabine hinabgleiten und streckte seine Beine aus. Er zupfte an losen Fäden seiner dunklen Hose herum, fing aber nicht an zu sprechen.

Die Stille senkte sich wieder über uns, während ich ihn nur ansah. Die ersten Bartstoppeln ließen sich wieder erahnen und auch dunkle Augenringe zierten sein Gesicht. Keiner von uns hatte in letzter Zeit genügend Schlaf bekommen.

Leicht seufzte ich auf, während ich auf meine eigenen Hände sah. Sie waren voller kleineren Kratzer und Schürfwunden, doch die Hornhaut an meinen einzelnen Fingern war wie ein verschwommener Traum an ein vergangenes Leben als Aushilfskraft, das bereits Jahre zurück zu liegen schien.

Dann wanderte mein Blick durch die sterile Umgebung der Sanitären Anlage. Auch wenn es mich zu Beginn beängstigt hatte, spürte ich, wie hier etwas die Anspannung von meinen Schultern fiel. In unserem Gemeinschaftsraum herrschte solch eine Spannung in der Luft, die ich momentan nur schwer ertragen konnte.

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