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Hier könnte man vermutlich denken, dass meine Geschichte zuende war. Ich hatte wieder ein Ziel und meine Motivation wiedergefunden, dank meines neuen, treuen Wegbegleiters. Was sollte also jetzt noch außer ein paar wenigen, kleinen Stolperern schiefgehen? Nun, lange Zeit passierte tatsächlich vergleichsweise wenig. Ich holte mein Defizit im Studium nach, hatte einen relativ festen Nebenjob im Kino an der Snackkasse und verdiente damit auch gut und hatte den Kontakt zu Tobi, Rafi, Chrissy und meiner Familie wieder aufgenommen, die sich zwar allesamt Sorgen um mich gemacht hatten, aber mir im Wissen um meine Trauer hatten Zeit lassen wollen. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass ich Suizid begehen wollte, und ich ersparte ihnen dieses Detail auch lieber, damit sie sich nicht noch schuldiger zu fühlen brauchten.

Und Garfield, mein kleiner Racker Garfield war in die Höhe geschossen, kaum dass er aus dem Alter der Nuckelflasche gekommen war. Noch nie hatte ich einen agileren, verspielteren und hübscheren Kater gesehen! Und clever war er natürlich auch immer noch! Er konnte sich selbst Wasser in seinen Trinknapf eingießen, indem er mit ihm über den Stuhl und den Tisch auf die Anrichte kraxelte, den Wasserhahn öffnete und dann wartete, bis die Schale voll war. Noch nie hatte er meine Möbel zerkratzt, etwas zerbrochen oder schmutzig gemacht! Er war lernfähiger als jede andere Katze, das war sicher. Womit hatte ich nur so ein Wundertier verdient?

Langweilig wurde es mir jedenfalls nicht mit ihm und er wurde mir wie ein bester Freund, anstelle eines Hauskaters. Ganze drei Monate lang war er nun schon bei mir und in dieser Zeit hatte ich es sogar fast geschafft, Stegi zu vergessen... Fast.

Am sechsundzwanzigsten März begrüßte ich Garfield mit einem abgedeckten Teller in der Hand und hatte sofort seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Interessiert schnupperte er in die Luft und ließ das mysteriöse Ding nicht eine Sekunde außer Acht. "Das ist leider nicht für dich Garfield, dein Frühstück mach ich dir gleich noch. Warte kurz, lass mich das nur eben hier abstellen!"

Vorsichtig schob ich den Teller in die Tischmitte und ging zurück an den Kühlschrank. Mein Feinschmecker mochte nämlich Kochschinkenstücken an seinem Katzenfutter und da ich wusste, wie das Dosenzeug aussah und roch, hatte ich dem ganzen nachgegeben, auch wenn ich nicht sicher wusste, ob menschliches Essen schlecht für Katzen war, besonders das abgekochte, eingetütete. Krank war er dadurch jedenfalls noch nie gewesen.

Als ich fertig war und mich umdrehte, stöhnte ich auf und ließ beinahe noch die Schüssel fallen: "Och nein, Garfield! Was soll das denn?!"

Der Kater hatte die Aluminiumfolie entfernt und den Geburtstagskuchen darunter enthüllt. Doch seine Neugier war damit nicht befriedigt gewesen, stattdessen hatte er noch seine beiden Vorderpfoten auf den Kuchen gestellt und ihn damit völlig zerdrückt. Ach man... die ganze Arbeit von gestern Abend war jetzt umsonst gewesen...

"Die war für Stegi gewesen, als Andenken!", erklärte ich ihm enttäuscht und empört. Garfield schenkte mir bloß einen Blick reinster Unschuld. Stures Ding. Ich überlegte. "Ich weiß, ich soll nicht mehr an ihn denken, aber nur heute, nur an seinem Geburtstag darf ich doch, oder?", fragte ich ihn. Er schüttelte sich und sank noch ein Stück tiefer in die Torte ein. Unter seinen Pfoten schmatzte dabei die Schokoladenfüllung. "Nagut, dann halt nicht... nimmst du jetzt bitte trotzdem deine Füße da raus? Dann kann man sie vielleicht noch essen."

Garfield starrte mich an und schien plötzlich süffisant über beide Katzenohren zu grinsen. So ähnelte er schon ein wenig eher seinem Namensgeber. "Jaja, und du bist der einzige Junge in meinem Leben! Ich werd auch nie wieder einem anderen hübsche Augen machen, versprochen!"

Und endlich, endlich setzte er sich auf den Tisch, befreite seine Vorderläufe und begann, Guss, Schaum, Teig und Schokolade von seinen Beinen zu lecken. Wenn das keine Bauchschmerzen gab... Aber das musste er selbst wissen und eine Seite sah wirklich noch essbar aus! Dann hatte ich morgen auch noch etwas davon, wenn ich die Torte nachher wieder kalt stellte.

Garfield hatte seine Katzenwäsche beendet und speiste jetzt genüsslich zu meinen Füßen weiter. Bis auf solche kleineren Skandale oder Merkzettel tat er aber nichts schlimmes und ich konnte ihn für den Tag guten Gewissens Zuhause lassen, ohne mit einem Wohnungsbrand oder einer Überflutung rechnen zu müssen. Das war perfekt und wahrscheinlich der Traum eines jeden Katzenbesitzers. Mit einem raschen Blick auf die Uhr merkte ich auch, dass ich mich ein wenig beeilen musste für die Uni und etwa eine viertel Stunde später war ich aus dem Haus.

Mein Tag verlief ereignislos, bis auf einen Anruf von Tobi am Abend in dem er sich erkundigte, ob alles okay bei mir wäre. "Ja, alles bestens", versicherte ich ihm, aber ich wusste, weshalb er fragte.

"Ich meine bloß, es ist halt sein Geburtstag. Hast du ihm denn etwas geschrieben?"

"Nein, es wäre auch verschwendete Mühe. Sein Handy ist seit Weihnachten wieder dauerhaft ausgeschalten. Ich schätze, er hat sich auch ein neues besorgt. Aber ich will darüber ehrlich gesagt nicht mehr nachdenken", erklärte ich Tobi, während ich die Wohnungstür für die Nacht abschloss, alle Lichter im Haus ausschaltete und mich schonmal ins Schlafzimmer begab. Garfield hatte vorhin schon in seinem Körbchen gedöst, Hunger sollte er auch keinen mehr haben. Kurz war Stille am anderen Ende der Leitung, dann räusperte sich Tobi: "Tschuldigung Tim, ich wollte nicht in alten Wunden rumstochern..."

"Schon gut. Ich habs verkraftet, irgendwie. Wenn es seine Entscheidung war, dass-"

"Aber es stimmt schon, das klingt einfach nicht nach Stegi!", unterbrach er mich lautstark. Ich seufzte. Nicht diese Diskussion schon wieder... "Was wenn da wirklich etwas war, wenn er wirklich entführt wurde und seine Entführer sein Handy benutzt haben, um dich von ihren Fersen loszuwerden, Tim? Du musst doch zugeben-"

"Tobi", meine Stimme musste müde und gelangweilt klingen, "selbst wenn er entführt wurde, wir haben dafür keine Beweise. Und keine Spur. Wir könnten ihn nicht retten. Das funktioniert leider nicht wie in Büchern oder Filmen, dass sich alles plötzlich zum Guten auflöst. Wir müssen es hinnehmen, so oder so, Stegi ist weg und wir können nichts mehr für ihn tun."

"Ou man...", kam Tobis enttäuschte Antwort zurück. Aber sich in diesem Fall Hoffnungen zu machen, war einfach falsch. Das musste langsam auch er einsehen. "Wir können morgen Abend noch länger darüber quatschen, aber ich bin jetzt echt hundemüde", wimmelte ich ihn ein wenig kurz angebunden ab und legte auf, nachdem er seine Bestätigung genuschelt hatte. Aber an Schlaf war trotzdem irgendwie nicht zu kommen. Gefühlt mehrere Stunden wälzte ich mich noch in meiner Decke umher und fand keine Ruhe. Erst als ich mich komplett gerädert fühlte, übermannte mich schließlich die Erschöpfung und sorgte beinahe noch dafür, dass ich am nächsten Morgen meinen Wecker verschlief.

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Morgen gibts schon Zeugnisse bei mir.. Meh :S

Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt