Fünfundvierzigstes Kapitel - Der Zustand des Seins im Augenblick

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„Das Amanda was, Sally?"

Nachdenklich setzte diese sich etwas zurück und zog die Beine vor sich auf das Sofa, bettete ihr Kinn auf die Knie.

„Ich glaube nicht, dass Amanda sich erholen kann, solange ihre Familie sie weiter unter Druck setzt, ob sie es nun Absichtlich tun, oder aus Versehen. Es stresst sie zu sehr und das kann sie nicht gebrauchen. Sie wird genug mit der posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen haben", erklärte sie und schaute mir dabei unbeirrt in die Augen.

Ohne groß darüber nachzudenken, lehnte ich mich zurück und legte einen Arm auf die Sofalehne, während ich darüber nachdachte, wie man Amanda helfen konnte. In den letzten Wochen hatte ich sie so oft gesehen, wie es die Suche nach Sally und die Ermittlungen seitdem möglich gemacht hatten, was dementsprechend relativ selten gewesen war. Trotzdem kannte ich sie gut genug, um mir Sorgen um ihr Wohlergehen zu machen und das nicht nur weil sie ein Opfer und wichtige Zeugin war.

„Damit hast du vermutlich Recht, aber ich wüsste nicht, was wir dagegen tun könnten. Es ist ihre Familie. Wir können ihnen schlecht verbieten nach ihr zu sehen."

Es dauerte nicht lange, bis Sally mit einer Idee aufwartete:

„Vielleicht kann ich mit Jack sprechen."

Skeptisch und auch ein wenig verwirrt hob ich eine Augenbraue.

„Jack?"

„Also wirklich Detektiv. Sie sollten die Namen der Angehörigen ihrer aktuellen Fälle kennen", schalt sie mich in einem neckenden Tonfall.

Fast hätte ich sie darauf hingewiesen, das mein aktueller Fall viel zu viele Opfer hatte, um sich auch noch an die Namen derer Familien zu erinnern, ließ es aber. Sally war sich dessen schließlich sehr wohl bewusst und ein kleiner Scherz hatte noch niemanden umgebracht.

„Ich werde nun mal auch nicht jünger", lautete daher meine Antwort und ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.

„Stimmt. Wirklich kaum zu glauben, dass Sie Ihren eigenen Namen noch erkennen, wenn Sie ihn sehen. Vielleicht sollten Sie es ernsthaft in Erwägung ziehen sich zur Ruhe zu setzten."

Bei diesen Worten zuckte alles in mir zusammen. Sally hatte ja keine Ahnung, wie nah sie der Wahrheit kam und wenn es nach mir ginge, würde sie es auch nie erfahren. Aber dafür gab es etwas Anderes, dass sie erfahren sollte:

„Sally, es tut mir Leid", begann ich, als sie mich auch schon unterbrach.

„Aiden, wie oft muss ich denn noch ..."

„Nein, nein, dass meine ich gar nicht", wehrte ich ihren Einwand ab.

„Was denn dann? Ich wüsste nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest", wollte sie sichtlich verwirrt wissen.

„Ich schon. Sogar eine Menge. Aber mir geht es um unser erstes Treffen. Damals, als du in mein Büro kamst, um mir von Amanda zu erzählen. Wie ich dich da behandelt habe ... das war mehr als unfair und glaube mir, ich bin nicht stolz darauf. Du kamst im richtigen Moment, aber auch im Falschen. Ich war so unsagbar verzweifelt, weil ich nichts hatte. Rein gar nichts. Und plötzlich warst du da."

„Vermutlich nicht gerade eine tolle Angelegenheit, wenn man in einer ausweglosen Situation ist und dann auf einmal eine Verrückte auftaucht, die behauptet in einem Traum das Opfer gesehen zu haben", erwiderte Sally milde und schaute mich aus ihren blaugrauen Augen an.

Ungläubig betrachtete ich sie und versuchte zu fassen, was ich da hörte und erlebte. Woher nahm sie das Verständnis, welches sie mir entgegenbrachte? Ich hatte mich benommen wie der letzte Idiot und sie saß hier und hatte meiner Entschuldigung nichts entgegenzubringen außer, dass sie nicht nötig war.

„Sally, warum machst du es einem nur immer so schwer?", murmelte ich und schüttelte währenddessen den Kopf.

Überrascht schaute sie mich an und hob dem Kopf. „Was?"

Mit einer äußerst uneleganten Bewegung rückte ich näher an sie heran und griff nach einer ihrer Hände, welche sie mir auch tatsächlich überließ.

„Ich hab dich mies behandelt, okay? Und es war falsch und richtig, richtig beschissen von mir, dass zu tun. Würdest du also bitte einmal die Klappe halten und dir anhören was ich zu sagen habe? Ich versuche dir hier zu sagen, dass es mir unendlich Leid tut und dir verspreche, dass ich nie wieder derartig Respektlos zu dir sein werde. In Ordnung?"

Perplex starrte Sally mich an. Einige Augenblicke verstrichen, in denen sie nur schaute, dann blinzelte sie einige Male heftig, wie um sich zurück in die Realität zu bringen.

„Es tut mir Leid", flüsterte ich und schaute hinab und auf ihre Hand, die ich nach wie vor hielt und sanft mit dem Daumen streichelte.

Meine Andere hob ich unterdessen an den Kopf, um diesen dort hineinzustützen.

„Es tut mir Leid, es tut mir Leid", murmelte ich unaufhörlich. Jetzt da die Worte einmal raus waren, schienen sie gar nicht mehr aufzuhören, aus mir heraus zufließen.

Dumpf registrierte ich, wie Sally mir ihre Hand entzog. Allerdings nicht um mich alleine in meinem seltsamen Zustand zurückzulassen, sondern um beide Arme um mich zu legen. Sacht zog sie mich an sich und hielt mich, während ich immer weiter flüsterte:

„Es tut mir Leid ..."

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt