Fünfundvierzigstes Kapitel - Der Zustand des Seins im Augenblick

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Vollkommen überrascht hielt ich Sally in meinen Armen. Das war ich nicht nur, weil sie mich einfach berührte, sondern wegen mir selbst. Noch immer konnte ich kaum glauben, was ich soeben für ein gefährliches Spiel getrieben hatte. Oder war es gar kein Spiel gewesen? Aber was hatte ich mir dann dabei gedacht? Sally war nicht unbedingt in Topform und selbst wenn ihr Körper und Geist gesund wären, hätte ich es mir niemals erlauben dürfen, ihr derart nah zu kommen.

Aber auch wenn ich das vom Kopf her wusste, hatte ein Teil von mir sich danach gesehnt, seit wir gemeinsam am Fluss gewesen waren. Die Vertrautheit, welche wir da gehabt hatten, hatte sich gut angefühlt. So gut, dass ich sie wieder spüren wollte. Aber wie konnte ich mir einbilden, dass ich das könnte? Wie konnte ich mir erlauben, sie zu bedrängen? Was dachte ich mir dabei, einem Opfer von Gewalt nah zutreten? Hatte ich überhaupt gedacht?

Sally war nach wie vor Teil der Ermittlungen und mit die wichtigste Quelle die wir hatten. Wenn ich das hier versaute, egal auf welche Art, würde alles den Bach hinunter gehen. Und trotzdem wollte ich, dass es zwischen uns mehr als nur gut lief. Nicht nur aus Schuldgefühlen. Sondern weil ich sie nach all der Zeit die ich sie kannte, in mein Herz geschlossen hatte. Seit Pat und Marry hatten meine Mauern mich gut beschützt, aber Sally Waters stellte sie jeden Tag aufs Neue auf eine äußerst harte Probe.

„Danke Aiden", murmelte sie in diesem Augenblick an meiner Brust.

„Wofür?", wollte ich perplex wissen.

„Dafür das ich nicht alleine bin."                                                 

„Ich habe nicht vor irgendwo hinzugehen", versicherte ich Sally und musste zu meinem Bedauern feststellen, dass wir uns wieder von einander lösten.

Was sich als etwas Gutes rausstellte, als ich entsetzt feststellen musste, dass es begann verbrannt zu riechen.

„Shit!", fluchte ich und schnappte mir die Pfanne vom Herd, welchen ich mit einem schnellen Handgriff ausstellte.

Hinter mir lachte jemand und es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass es Sally war. Noch immer mein Essen haltend, stand ich wie ein Idiot da und beobachtete sie dabei. Es war so lange her seit ich diesen Klang gehört hatte, dass ich beinah vergessen hatte, wie schön es war. Zum Glück fing ich mich, noch ehe Sally dazukam. Eilig stellte ich die Pfanne auf eine der kalten Herdplatten und starrte mein Werk an.

„Ach, das kann man noch essen. Glaub mir, meine Mum hat schon weit Schlimmeres serviert", meinte sie grinsend und fing an meine Schränke zu durchsuchen.

Als sie die Teller gefunden hatte, nahm sie zwei heraus und fahndete dann nach Besteck. Auch dieses fand sie ohne größere Probleme. Während sie das Essen gerecht aufteilte, holte ich zwei Scheiben Brot und legte jedem eine auf den Teller.

Mit unserem mehr schlecht als rechtem Mahl, gingen wir zum Sofa. Dort machten wir es uns gemütlich und tatsächlich schmeckte das Essen besser als gedacht. Nach und nach verschwand alles in unseren Mägen. Unterdessen sagte keiner von uns ein Wort. Jedenfalls nicht wirklich, es sei denn man zählte Töne wie: Hmm und Mhm, mit. Erst als wir uns die letzten Bissen in den Mund geschoben und kauend unsere Teller auf dem Beistelltisch abgestellt hatten, fing ich an mir Gedanken darüber zu machen, was ich zu Sally sagen wollte.

Denn das Geschehne einfach so stehen zu lassen, das ging nicht. Oder? Wäre es vielleicht sogar falsch etwas zu sagen? Machte ich mir mehr Kopf, als es überhaupt nötig war? Gott, ich verhielt mich vollkommen bescheuert und das auf mehr als eine Art. Über mich selbst mit den Augen rollend, fuhr ich mir übers Gesicht und seufzte.

„Ich glaube nicht, dass Amanda ...", setzte Sally an und nahm mir damit die Entscheidung vorerst ab.

Aber da sie nicht weitersprach, hackte ich nach:

My Long Way To DeathWhere stories live. Discover now