20. Anagramm

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Husar ließ das Foto in der Innentasche seines Jacketts verschwinden und seufzte. »Ich soll also Pascal Pimentel für dich finden«, stellte Husar fest. Dann drehte er sich wieder nach vorne. »Ich melde mich, sobald ich mehr weiß.«

Ich erhob mich und stand mit einem Bein schon auf der Treppe zum Ausgang, als ich Husar noch sagen hörte, ohne sich zu mir umzudrehen: »Aber dir ist es wohl lieber, wenn ich ihn nicht finde...?«

Ich antwortete nicht mehr – aber er hatte Recht.

»Ich raff den ganzen Mist einfach nicht«, sagte Yella und schlug knallend ihre Ausgabe von Arboretik zu. Rock Diamond schreckte auf und drehte sich zu uns um, doch nachdem er die Quelle des Lärms nicht ausmachen konnte, setzte er wieder die Kopfhörer auf und verfolgte weiter seine Sportübertragung.

»Wie habt ihr zwei bloß die Prüfung zur Blüte geschafft?! Dieses ganze Buch macht von vorne bis hinten keinen Sinn.«

»Erstens ist Arboretik kein Mist«, belehrte Timo sie verärgert, »und zweitens verstehe ich nicht, was es da nicht zu verstehen gibt. Gray Goldschie, möge er ewig blühen, ist der genialste Autor, der je auf diesem Planeten gelebt hat.«

»Jetzt übertreib mal nicht.«

Timo geriet ins Schwärmen. »Jedes Gleichnis sagt so viel über unsere Welt aus, man muss nur zwischen den Zeilen lesen. Und mit den Thetaformeln lernt man, sich in alltäglichen Gesprächssituationen besser zu verhalten.«

»Hat dir ja bisher nicht viel geholfen.« – »Das war nicht nett, Yella«, schaltete ich mich ein.

Er hatte ihre Spitze gar nicht mitbekommen. »Wenn man sich wirklich mit Arboretik beschäftigt, muss man für die Prüfung überhaupt nicht lernen. Die schreibt sich dann wie von selbst.«

»Tja, das mit dem ›nicht lernen‹ habe ich bereits probiert«, sagte Yella, »und dabei sage und schreibe drei von hundert Punkten erzielt, und die auch nur, weil es eine Multiple-Choice-Frage gab, bei der ich raten konnte. Ich brauche schon handfestere Tipps als das.«

»Ich könnte dich abfragen«, schlug ich vor. »Vielleicht helfen dir auch die Notizen, die ich mir beim Lernen gemacht habe.«

»Der Vorschlag gefällt mir schon um einiges besser«, sagte Yella und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. »Gleich am Samstag?« – »Sicher, gerne.«

Zwar hatte ich eigentlich keine große Lust, mich in meiner Freizeit weiter mit dem ganzen Blödsinn beschäftigen zu müssen, aber anderseits erinnerte ich mich an unseren Ausflug auf das Dach während des Sonnensturms. Ein Tag mit Yella zu vebringen konnte abenteuerlich werden.

»Kommst du auch?«, fragte Yella in Richtung Timo. Der schüttelte mit dem Kopf. »Wir dekorieren am Wochenende für Chanukka. Meine Mutter hat dazu unter der Woche keine Zeit.«

Stimmt, ich hatte ganz vergessen, dass bald die Wochen der Feste anstanden. Blix hatte mich über die Festtage zu sich eingeladen, und ich war mir noch nicht sicher, ob ich zusagen würde. Zwar hatte ich nicht vor, den Winterausklang alleine zu feiern, aber ich hatte auch keine Lust, mich eine ganze Woche den Launen des Detektivs auszusetzen.

Zu meinem neuen Rang als Blüte gehörten auch sogenannte erweiterte Läuterungen, bei denen man von zwei Kindern der Saat gleichzeitig in die Mangel genommen wurde. Und heute Abend, direkt nach dem Seminar, stand meine erste solche Tandem-Läuterung bevor. Nachdem es bereits ein Läuterer allein geschafft hatte, mir ein schlechtes Gewissen für eine erfundene Tat einzureden, schwebte der Termin schon seit einigen Tagen wie ein drohendes Fallbeil über meinem Kopf.

Ich bin KWo Geschichten leben. Entdecke jetzt