20. Anagramm

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Der LED-Würfel hoch über unseren Köpfen wies darauf hin, dass die Senatorin ihre Rede bereits seit drei Stunden hielt, und ein Ende war nicht abzusehen. Ich ließ meinen Blick im Parlamentsrund schweifen. Die Bänke von Regierung und Opposition waren gleichermaßen wie leergefegt. Ich zählte mindestens sechs Abgeordnete, die ungeniert mit einem Kissen unterm Kopf ein Nickerchen hielten. Andere spielten Videospiele oder schauten sich die Nachrichten an. Zwei Reihen hinter mir diskutierte eine Gruppe lautstark über die Pünktlichkeit der Automobile, was der Parlamentspräsident eigentlich hätte unterbinden müssen – der jedoch war in sein Strickprojekt vertieft, einem Kinderpulli mit einem Motiv, das sich noch nicht recht zwischen Giraffe und Feuerwehrauto entschieden hatte.

Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Ein Filibuster, also eine Endlosrede, diente einzig und allein dem Zweck, die Abstimmung über ein Gesetz bis ins erdenkliche hinauszuzögern. Entsprechend gehaltlos und dröge zog sich das Geschwafel der Senatorin hin, und wiederholte sich vermutlich jede Stunde, ohne dass es auch nur einem Anwesenden aufgefallen wäre. Bis auf einen, möglicherweise – Giorgios Husar, der direkt vor mir saß und die Augen nicht von der Rednerin nahm. Die Gründe dafür lagen aber wohl eher im Optischen als im Akustischen.

Ich tippte ihm auf die Schulter. »Husar, haben Sie eine Minute?«

Widerwillig drehte sich der Hacker nach mir um. Als er mich erblickte, kratzte er sich nachdenklich mit dem Mittelfinger über die roten Koteletten. »Wollten Sie nicht zu Hause bleiben, Cato?«

»Ich bin nicht Cato«, flüsterte ich und beugte mich gleichzeitig über den Tisch, bis mein Mund dicht vor seinem rechten Ohr hing. »Ich bin K.«

Ich konnte beobachten, wie sich sofort die Nackenhaare des Mannes aufstellten. Aufgeregt sah er sich nach allen Seiten Seiten um, ohne dabei den Kopf allzu auffällig zu drehen, sodass er im Endeffekt hauptsächlich wild mit den Augen rollte. »Bist du wahnsinnig?«, zischte er, wobei er seine Stimme nur schwer unter Kontrolle hatte. »Was, wenn dich ein Parteikollege Catos anspricht? Außerdem werden die Sitzungen aufgezeichnet!«

»Sie haben das Videomaterial bisher doch auch immer so manipulieren können, dass ich und Narcisa nie an zwei Orten gleichzeitig zu sehen sind.«

»Das ist die städtische Überwachung, das ist was anderes! Diese Sitzungen werden sofort im Inselnet ausgestrahlt!« Ich schielte an seinem Kopf vorbei zum Rednerpult. »Die Quote für diese Sendung sollte sich an einer Hand abzählen lassen.«

Husar seufzte. »Lässt sich jetzt eh nicht mehr ändern. Was sprach dagegen, mich als Robin in meinem Büro aufzusuchen?«

»Ich und Blix haben gerade eine kleine Meinungsverschiedenheit«, formulierte ich es diplomatisch. –  »Er hat dich wegen was Unwichtigem zur Sau gemacht.« – »Hat er es erzählt...?«

»Nein, aber ich kenne Robin lange genug, um ihn zu durchschauen. Der Mann hat einige gute Eigenschaften, aber Selbstbeherrschung zählt nicht dazu. – Also, was willst du?«

Mit verstohlenen Blicken zur Seite reichte ich ihm die Fotografie, die ich aus Mrs. Pimentels Wohnung hatte mitgehen lassen.

»Sieh dich doch nicht so auffällig um, zum Kuckuck«, schimpfte Husar. »Sonst bekommt noch jemand den Eindruck, du würdest mir Schmiergeld zuschieben.« Er warf einen kurzen Blick auf das Foto und sah dann wieder zu mir. »Wer ist das?«

»Er heißt Pascal Pimentel und ist Kirchenmitglied. Seine Mutter hatte seit ein paar Monaten keinen Kontakt mehr zu ihm...« – »...und da hast du das Zeichen der Junior Einsteins gesehen und gedacht, dass das du sein könntest, richtig?«

»Es passt alles perfekt«, sprudelte es aus mir heraus. »Er dürfte jetzt ungefähr sechzehn sein. Er hat eine beeindruckende Karriere hingelegt, in wenigen Wochen bis zur Rose. Pascal hat sich bestimmt sofort freiwillig für das Shifterprogramm gemeldet, nachdem man ihn darin eingeweiht hat.«

Ich bin KWo Geschichten leben. Entdecke jetzt