Das Bett

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Aus einem Tagebucheintrag:

[...] Ich ringelte mich genüsslich in meine Decke ein und wollte gerade damit beginnen zu schlafen, als mein Roomy hereinkam. Er war ein etwas verwelkter Mexikaner, der vermutlich nur deswegen im Hostel schlief, weil seine Frau ihn mal wieder vor die Tür gesetzt hatte. So sah er zumindest aus. Armer Kerl. Ich tat so als würde ich schlafen, denn ich wollte auf keinem Fall eine Konversation auf Spanisch mit ihm beginnen. Dafür war ich schon viel zu müde.

Wie versteinert blieb ich liegen und lauschte, wie er um mein Bett herum schlurfte und anschließend damit begann im Badezimmer in seiner Kulturtasche zu herum zu nesteln. Nachdem er etwa zehn Minuten genestelt hatte, kam er zurück und legte sich (dem Himmel sei's gedankt) ebenfalls ins Bett. Sehr gut. Ich hatte also keine Partylöwen mehr als Roomies, wie das in Puerto Escondido gewesen war. Nach weiteren zehn Minuten begann jedoch etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Statt lauter Partymusik drang nun ein nicht weniger beunruhigendes Geräusch an meine Ohren. Der mexikanische Opa begann nämlich leise aber sicher zu schnarchen. Aber das war okay. Falls es lauter werden würde, hatte ich ja extra meine Ohropax eingepackt. Nach einigen Minuten wurde es lauter.

Seelenruhig kramte ich die Ohropax aus meinem Rucksack und schraubte sie mir etwas ungeschickt in den Gehörgang. Tiefe Stille breitete sich aus. Jetzt hörte ich nicht einmal mehr den Straßenlärm. So konnte es bleiben. Doch schon wenige Sekunden später drang plötzlich doch wieder das leise Schnarchgeräusch zu mir hindurch. Konnte das wirklich sein, dass ich den Kerl trotz der Ohropax hörte? Ich ignorierte es und drehte mich auf die Seite, wobei ich mein linkes Ohr fest ins Kissen drückte. Die Matratze war etwas hart, sodass das „Auf der Seite liegen" zwar nicht so gemütlich war, aber so war ich zumindest auf einem Ohr komplett taub. Doch leider hatte ich ja zwei Ohren. Scheinbar legte mein Roomie nämlich jetzt erst richtig los und sein Schnarchen bahnte sich zielstrebig einen Weg bis zu meinem Trommelfell. Das konnte doch nicht wahr sein! Reglos blieb ich liegen und unternahm alle möglichen Versuche das Geräusch zu ignorieren. Ich begann mit einer Mnemotechnik, meinem eigenen Gedankenpalast, den ich mir schon vor Jahren gebaut hatte um mir den Stoff für Klausuren besser behalten zu können. Doch ich hatte den Palast nie gebaut um Schnarchgeräuschen zu entgehen, sodass diese Übung schon nach kurzer Zeit fehlschlug. Als nächstes versuchte ich mir vorzustellen, das Schnarchen würde gar nicht durch den alten Mexikaner ausgelöst, sondern sei irgendetwas anderes. Aus irgendwelchen Gründen stören mich andere Geräusche nämlich nicht so sehr beim Schlafen. Hätte ich es nicht besser gewusst, so wäre ich der festen Überzeugung gewesen ein Elch mit Verstopfung sei neben meinem Bett am Werke.

Doch als alle meine Versuche das sägende Geräusch zu ignorieren scheiterten, kam mir plötzlich eine zündende Idee: Über meiner Zimmertür hing nämlich eine alte Klimaanlage. Und aus meiner Motelzeit in den USA wusste ich noch genau, wie laut alte Klimaanlagen sein konnten. Wenn ich sie einschaltete, wurde das Schnarchen garantiert von dem stetigen Dröhnen übertönt. Gesagt, getan! Vorsichtig stand ich auf und tapste zur Tür hinüber. Irgendwo hier musste es einen Schalter für die Anlage geben. Ich suchte in der Dunkelheit die Wand ab und fand auch sofort einen. Es war ein dicker schwarzer Kippschalter, der in einer schweren Kunststofffassung eingelassen war. Zuversichtlich legte ich ihn um und die Klimaanlage erfüllte den Raum mit einem lauten Röhren. Zufrieden ringelte ich mich erneut in meine Decke ein und stopfte mir zur doppelten Sicherheit auch die Oropax wieder rein. Man konnte ja nie wissen. Das Ergebnis war überraschend gut. Das dröhnende Geräusch der Klimaanlage übte sogar in gewisser Hinsicht eine einschläfernde Wirkung auf mich aus. Genauso musste es sein. Doch nach einigen Minuten spürte ich plötzlich einen kalten Luftzug im Gesicht. Und da wurde mir plötzlich etwas klar, was ich bisher noch überhaupt nicht bedacht hatte. Die Klimaanlage machte nicht nur Geräusche, sondern hatte auch den nervigen Nebeneffekt den Raum auch noch zu kühlen. Das war nun überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Ich legte mein Kissen ans andere Kopfende des Bettes, damit der kalte Luftzug zumindest nicht in meinem Gesicht, sondern an meinen Füßen war. Das half. Doch auch nur temporär, denn langsam aber sicher begann der ganze Raum immer kälter zu werden. Wieso funktionierte das Ding bloß so verflixt gut? Meine Arme fühlten sich unter der dünnen Decke schon total kalt an. Aber das war immerhin noch besser als das Schnarchen des Mexikaners ertragen zu müssen. Ich versuchte weitere 20 Minuten das Problem der Kälte zu ignorieren, aber die Maus biss hier keinen Faden ab: Es war kalt geworden. Arschkalt. Viel zu kalt für mich um zu schlafen. Ich dachte darüber nach, die Klimaanlage wieder auszuschalten, aber dann hätte ich das alte Schnarchproblem wieder am Hals. Doch da kam mir plötzlich eine weitere Idee. In meinem Koffer aus Guadalajara musste sich noch dickere Kleidung und eine Decke befinden. Ich streifte die dünne Decke ab und stand erneut auf. Erst jetzt spürte ich, wie kalt es bereits geworden war. Unfassbar. Aber das Problem hätte ich gleich auch noch gelöst. Ich wanderte auf Zehenspitzen zu meinem Koffer hinüber und legte ihn vorsichtig auf die Seite. Es war ein sehr alter Hartschalenkoffer von meinem verstorbenen Opa Alfred. Sein postapokalyptischer Look ließ darauf schließen, dass ihn die Alliierten vermutlich 1945 aus der Normandie mit nach Deutschland gebracht hatten. Vermutlich als ein Behältnis für Granaten oder Geheimakten des Trinityprojekts.

Jetzt aber war er zum Bersten prall mit meinen Utensilien gefüllt und daher war es immer ein echtes Abenteuer ihn zu öffnen und zu schließen. Aber dieser Herausforderung fühlte ich mich gewachsen. Ich zog behutsam die beiden Scharniere auf der linken und rechten Seite zurück und vernahm ein leises Klicken. Mein Gesicht zerfloss zu einem zufriedenen Lächeln, denn das Schloss war jetzt entriegelt. Normalerweise war das schwieriger. Doch als ich den Deckel aufklappen wollte, gefrohr mein Lächeln zu einer Grimasse. Irgendetwas blockierte den Koffer von innen. Aber das hatten wir gleich.

[...]

Albtraum Im DschungelWhere stories live. Discover now