Der Klumpen

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Es geht weiter in den Süden. Hier liegt die kitschige Stadt Đà Nẵng. Als wir dort eintreffen sind alle Straßen mit bunten Lichterketten geschmückt und zu allem Überfluss blinken die auch noch. Ein bisschen so wie Weihnachten in der Dönerbude, denke ich mir, und schaue fasziniert aus dem Fenster des Busses. Doch bevor wir von hier nach Hoi An weiter reisen, machen wir noch einen Abstecher in die Marble Montains. Eine Tempelanlage südlich der Stadt.
Das Leben der Mönche hier ist ruhig und wird nur von den täglichen Besuchern unterbrochen. Ich muss an die Geschichte denken, die erzählt, wie drei Europäer in Asien einen meditierenden Yogi treffen und ihn fragen: "Meister, was ist das Geheimnis Deines Glücks? Du lebst hier ohne den Luxus der Zivilisation und bist dennoch so zufrieden."
Doch der Yogi lächelt nur und antwortet: "Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich und wenn ich esse dann esse ich." Verwirrt darüber sagt einer der Touristen: "Aber das tun wir doch ebenfalls!"
Der Yogi schüttelt den Kopf: "Nein, wenn ihr geht, dann denkt ihr ans Sitzen. Und wenn ihr sitzt, so denkt ihr ans Aufstehen. Und wenn ihr esst, so denkt ihr schon darüber nach, was ihr danach tun möchtet." Fast beneide ich das einfache Leben der Menschen hier.

Als wir auf dem Rückweg zum Bus sind, merke ich plötzlich wie wenig ich nur gegessen habe. Und schon wird die Prophezeiung wahr, denn beim Gehen kann ich jetzt nur noch ans Essen denken. Anna hat leider keinen Hunger, sodass ich etwas darum kämpfen muss sie zu überreden nach einem Straßenstand zu suchen. "Aber beeil dich dann mit dem Essen", mault sie, "ich will den Bus nicht verpassen."
Doch zu meiner Enttäuschung gibt es hier keinen einzigen Straßenstand. Alles einsam und verlassen hier. Nur Marmorfiguren mit Hakenkreuzen drauf kann man kaufen. Doch so großen Hunger habe ich dann doch wieder nicht.
Als ich meine Suche schon fast aufgegeben habe, entdecke ich in der Ferne noch einen Straßenstand. Super! Doch als wir dort eintreffen finde ich nur eine ältere Frau hinter einem großen Blechkessel. Mit langsamen Bewegungen rührt sie darin herum. Ziemlich skeptisch nähern wir uns dem Szenario und beobachten, wie in unregelmäßigen Abständen schleimige Klumpen an die Oberfläche der Suppe schwappen.
"Hahaha", kichert Anna, "das willst du jetzt aber nicht im Ernst essen." Ich schaue der Frau noch eine Weile zu und wäge meine Optionen ab. Entweder kann ich noch ein paar Stunden warten bis wir in Hoi An sind und dort was richtiges Essen. Oder aber ich wage den Versuch und kaufe ein Brötchen mit Schleimklumpen.

Während ich noch am Überlegen bin hält mit quietschenden Reifen ein Wagen hinter uns. Ein grinsender Mann steigt aus und begrüßt die Frau enthusiastisch. Dann nestelt er eine Weile in seiner Geldbörse herum und zieht schließlich behutsam einige Scheine heraus. Die Frau nimmt das Geld entgegen und überreicht ihm einen großen Sack mit bereits fertigen Brötchen. Das ist ja fast wie bei McDonalds.
Gut, diese Dinger sind also tatsächlich essbar. Und der Kerl hat wohl gerade den Fang seines Lebens gemacht. Wenn der das also isst, so kann ich das auch. Doch natürlich interessiert mich schon, was genau das ist.
Ich deute auf den Topf mit der komischen Suppe und frage: "Sorry, what exactly is that?"
Die Frau lacht herzlich. "Đây là những con sứa!"
Ich höre nur Kauderwelsch. "Ähh..., I do not speak vietnamese. Can you tell me, what this is?"
Doch natürlich kann die Frau mir nicht helfen und resigniert überreiche ich ihr einige Dong. Glücklich über den Handel klatscht sie ein paar der Schleimbatzen auf das Brötchen.
Anna kann kaum fassen, was hier geschieht und kichert hysterisch: "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Ich würde das niemals essen."
Ich presse die Lippen zusammen und nehme meine Mahlzeit entgegen. Ich habe ja schon auf vielen Reisen Dinge ausprobiert, doch an das hier kommen eigentlich nur dieaus Mexiko dran. Und an denen bin ich ja auch nicht gestorben.
Aber immerhin hat Anna jetzt etwas zu Lachen und meckert mal nicht rum. Belustigt schaut sie mir zu, wie ich in das Brötchen beiße. Ich kaue auf dem zähen Schleim herum, der ein bisschen wie feste Götterspeise mit Fischgeruch schmeckt. Hoffentlich bekomme ich davon keinen Durchfall.
Wir schlendern lachend zurück zur Haltestelle, wo der Bus nach Hoi An gerade eingetroffen ist. Und als ich mein Brötchen fertig gegessen habe, bin ich irgendwie ziemlich stolz.

Hoi An ist die schönste Stadt, die ich auf meiner Reise durch Südostasien zu Gesicht bekomme. Hier feiert man einmal im Monat das "Vollmondfest". Ein Event, was jeder Tourist erlebt haben muss. Tausende Lampions werden hier in den Straßen aufgehängt und auf dem Fluss schwimmen dutzende kleiner Lichter. Das ist so viel besser, als der bunte Kitsch in Đà Nẵng.
Wir laufen abends fasziniert durch die Gassen und schauen uns die kleinen Lädchen an, in denen aufdringliche Verkäufer uns ihre Waren anpreisen. Für Anna ist das hier ein Paradies, denn sie liebt es Souvenirs zu kaufen und shoppen zu gehen. Daher ist ihre Laune hier auch besser und wir verstehen uns ganz gut. Für ihren Freund sucht sie ein passendes Geschenk und weil sich das gar nicht so einfach gestaltet, gehen wir abends (ohne fündig geworden zu sein) zurück in unser Hostel.
Doch nach einem erneuten Shoppingmarathon am nächsten Tag fangen ihre Sticheleien schon wieder an. Sie hat sich inzwischen überlegt, wie sie zurück nach Bangkok reisen möchte und stellt mich vor vollendete Tatsachen.
Weil wir inzwischen noch nie länger als zwei Tage an einem Ort verweilt haben, wünsche ich mir etwas mehr Ruhe zum Ende unserer Reise. Doch Anna will so viel wie möglich sehen und plant die komplette Strecke zurück nach Thailand mit dem Bus.
"Das ist mir ehrlich gesagt etwas heftig", sage ich, "wir sollten lieber den letzten Abschnitt fliegen, damit ich noch etwas Urlaub bekomme. So richtig erholsam war unsere Reise ja bisher nicht."
"Dazu habe ich aber keine Zeit", beharrt Anna auf ihrer Meinung. Ich frage mich, ob ich mich auf ihren Plan einlassen soll. Wir haben schließlich in zwei Wochen von Singapur bis hier her tausende Kilometer zurück gelegt und viel zu selten einmal Zeit zum Ausruhen gehabt.
"Also ich habe da schon Zeit für", antworte ich, "du kannst ja gerne deinen Plan alleine durchziehen aber ich fliege das letzte Stück von Kambodscha." Ich sehe wie sehr Anna sich jetzt zusammen reißen muss nicht schon wieder auszurasten. Wie ein aufgebrachtes Rhinozeros stampft sie neben mir her. Wir betreten das Terminal des Bahnhofs, wo bald unser Zug nach Ho-Chi-Minh-Stadt abfährt.
"Aber du warst doch auch von Anfang an mit dem Plan einverstanden", sagt sie und ihre Kiefer malmen dabei aufgebracht hin und her.
"Nee, ich habe gesagt wir können mal gucken, wie es läuft", antworte ich, "und es ist jetzt bisher nicht so super stressfrei gelaufen."
Ich merke schon wieder, wie mein Puls steigt. Inzwischen werde auch ich viel schneller sauer auf Anna und bereite mich innerlich auf einen erneuten Kampf mit ihr vor. Ich schlage vor die Diskussion später fortzusetzen, wenn sich die Lage abgekühlt hat.
Wir sitzen also eine ganze Weile, beide mit unseren eigenen Gedanken nebeneinander und die Katastrophe scheint zunächst abgewendet.
Doch Anna will schließlich doch weiter darüber reden und beginnt erneut mich mit Gegenargumenten zu überschütten.
"Sorry, aber das läuft nicht", sage ich, "bisher habe ich mich ja gerne an dein Reisetempo angepasst, aber ich fände es einen guten Kompromiss es ab jetzt anders zu machen."

Und dann tickt Anna doch noch aus.

Albtraum Im DschungelWhere stories live. Discover now