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Aber Noel musste noch nicht einmal eingeben, dass er die Aufgabe erfüllt hatte. Die App hatte schon bestätigt.

"Aufgabe erfüllt. Sende Email", stand da. Und dann tauchte ein Email-Symbol in der Statuszeile auf.

Noel las. Es war eine Mail seiner Schwester an eine Firma mit Namen "Rüsthaus".

Noel kannte das "Rüsthaus". Die Pfadfinder aus seinem Stamm kauften dort ihre Sachen ein: Die langen braunen Hemden und bunten Halstücher, die zur "Kluft", der internationalen Pfadfinderuniform, gehörten, aber auch Zelte, Wasserfilter, Kochgeschirr und alles andere, was man in einem Pfadfinderlager brauchen konnte.

In ihrer Mail hatte Agnes einen besonders schönen Aufnäher bestellt, sowie das Schnitzmesser, das Noel sich schon seit Monaten gewünscht hatte.

Da Noel in wenigen Wochen Geburtstag hatte, was das sicher Agnes' Geburtstagsgeschenk für ihn.

Noel fühlte sich noch etwas schlechter, dass er ihr Buch bemalt hatte. Und das, obwohl sie ihm so ein tolles Geburtstagsgeschenk machen wollte!

Das war zwar ein Geheimnis, aber kein gutes.

Nun war endgültig der Augenblick gekommen, diese App zu stoppen und wieder zu deinstallieren, damit er gar nicht erst in Versuchung kam, weiter mit ihr zu spielen.

Gerade, als er im Anwendungsmanager die Funktion zum Deinstallieren suchen wollte, fing das Telefon zu klingeln an. Vor Schreck stieß Noel einen kleinen Schrei aus und ließ das Handy auf die Bettdecke fallen.

"Herr im Himmel", stieß er aus, wie es seine Mutter manchmal sagte, wenn sie sehr erschrocken war.

"Geht es Dir gut, mein Kleiner", fragte sie.

Im Hintergrund hörte man tobende Kinder. Es musste Pause sein, und rufende und lärmende Kinder umringten seine Mutter.

Noel spürte auf ein Mal so ein tiefes Heimweh nach seiner Mutter, dass er am liebsten losgeweint hätte. "Bitte, komm' nach Hause", hätte er gerne gesagt. "Es ist so unheimlich hier."

Aber er riss sich zusammen und sagte. "Alles OK."

"Gut", sagte Mama. "Dann bin ich ja beruhigt. Ich muss jetzt in einen anderen Klassenraum. Mach's gut!"

Dann hatte sie auch schon aufgelegt.

Das verwunderte Noel. Normalerweise kriegte seine Mutter immer alles mit. Vor ihr konnte er keine Geheimnisse haben. Vor Vater schon, der war oft mit einen Gedanken noch bei der Arbeit, oder irgendwo anders, nur nicht bei Noel. Vater konnte man alles erzählen.

"Soll ich dir verraten, warum Mama sich Sorgen macht", fragte die App verständnisvoll.

Ohne nachzudenken tippte Noel "Ja".

"Dann pinkel' auf den Schneemann."

Irgendwas an dieser App war vollkommen unheimlich. Dass sie gewusst hatte, was Agnes zu Noels Geburtstag verschenken wollte, war ja noch irgendwie normal. Das hatte ja in einer Email gestanden, und die war ja letztendlich auch von irgendeiner anderen App geschrieben worden. Und vielleicht handelten die Apps ja auch untereinander Geheimnisse, wie die tuschelnden Kinder auf dem Schulhof?

Diese ganzen Apps existierten ja nicht nur auf dem Handy, sondern auch noch irgendwie in der "Cloud", also auf Rechnern, die irgendwo in Amerika standen, und von denen keiner mehr genau wusste, wo sie waren und was sie taten. Manchmal war das gut, so wie wenn man eine Email aus Versehen gelöscht hatte, und sie dann noch von der Cloud zurück bekommen konnte, weil sie dort eben doch nicht gelöscht war. Aber vielleicht unterhielten sich die Apps in der Cloud auch miteinander und tauschten Geheimnisse aus.

Vielleicht wusste ja eine dieser Apps in der Cloud auch, was für Sorgen ihre Mama hatte, und warum sie nicht mitbekam, dass Noel sie angeschwindelt hatte, und dass es ihm überhaupt nicht gut ging, und er Angst hatte und sie am liebsten angefleht hätte, nach Hause zu kommen, statt in die nächste Klasse zu gehen?

Auf den Schneemann zu pinkeln war gar nicht richtig böse. Auf jeden Fall nicht so schlimm, wie Agnes' Buch vollkrickeln. Noel mochte den Schneemann sowieso nicht. Und als er so in Pyjamahose barfuß im Schnee stand und den Schneemann begoss, hatte er überhaupt kein schlechtes Gewissen. Das war fast schon wieder ein Abenteuer.

Aber dann schaute er zu seinem Fenster hoch.

Das Handy stand auf seinem Schreibtisch und schaute hinunter.

Noel war sich sicher gewesen, dass er das Handy aufs Bett gelegt hatte. Aber nun stand es auf dem Schreibtisch, das eine Kameraauge genau auf Noel gerichtet, wie er um den Schneemann herum tanzte und die rote Karottennase aus Plastik vollstrullerte.

Augenblicklich versiegte der Strahl. Noel drehte sich mit dem Rücken zum Fenster und bekleidete sich wieder ordentlich. Dann rannte er nach oben und riss sein Handy an sich.

"21 Bilder gesichert" verkündete die App.

Noel öffnete sofort die Foto-App.

Normalerweise waren die Fotos vom Handy mal verwackelt, mal unscharf oder unterbelichtet. Die 21 Fotos von Noel und dem Schneemann waren jedoch von außergewöhnlicher Schärfe. Wie von einem Profi-Fotografen geschossen. Noel besah eines der Fotos genauer und löschte sie dann alle angewidert.

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