Kapitel 1

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"Dr. Ziegler." Nicht mehr als ein Flüstern, doch es genügte, um die Aufmerksamkeit der Ärztin zu gewinnen. "Ich bin hier." Es war schon fast drei Stunden her, dass sie in die Basis zurückgekommen waren, völlig verdreckt, alle an ihren körperlichen Grenzen angelangt, übermüdet; jedoch viel zu angespannt, um schlafen zu können. Deshalb hatte sie getan, was sie in solchen Situationen immer tat und sich in Arbeit versenkt. Inzwischen machte sich allerdings auch in ihr tiefe Erschöpfung breit. Das medizinische Team - namentlich zwei ein Pfleger, zwei junge Ärzte und Lúcio - hatte sie bei ihrer Ankunft bereits erwartet und zügig die Verletzten behandelt. Angela war stolz auf ihre Kollegen und hatte nur in der Erstversorgung die Führung übernommen, aber sich, nachdem sicher war, dass alle kritischen Wunden versorgt waren, zurückgezogen und Soldier 76 zugewandt. Um den Soldaten zu versorgen, der ihr heute beigestanden und mehrfach das Leben gerettet hatte, schob sie die Müdigkeit gerne noch ein wenig beiseite. Der hochgewachsene Mann saß benommen und mit hängenden Schultern vor ihr auf einem Stuhl. Seine Wunde hatte sie gereinigt und genäht, ahnend, dass sich womöglich eine weitere Narbe bilden würde, von denen schon so viele den Torso des Mannes zierten.


Sein Schädel brummte und sein Sichtfeld war verschwommen. Zweifellos eine Nebenwirkung der Betäubung, die ihm die Ärztin verpasst hatte, kaum dass er Platz genommen hatte. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, bei der Erstversorgung aller im Einsatz Verletzten zu helfen, obgleich sie selbst gerade aus dem Einsatz kam. Das Nötigste war inzwischen getan und das Team kümmerte sich um alles weitere, doch ihn hatte sie mit einem Tonfall zum Sitzen aufgefordert, der jeden wissen ließ, dass sie - und nur sie - in dieser medizinischen Station das Sagen hatte. Soldier 76 hatte gar nicht erst versucht, sich zu wehren. Auch nicht, als sie ihm eine Betäubung geben wollte, gegen die er sich sonst vehement sträubte. Jetzt bereute er das ein wenig. Er hasste das Gefühl, nicht Herr seiner Sinne zu sein."Es wird gleich besser. Trink etwas." Ein Plastikbecher wurde ihm gereicht. Ihre weichen Hände schlossen sich um seine rauen, um ihm zu helfen. Vorsichtig nahm er ein paar Schlucke, verschwommen blieb sein Sichtfeld dennoch. Der Weißhaarige schloss die Augen für einen Moment und versuchte, sich einfach auf seine Atmung zu konzentrieren, während der Raum um ihn herum ein wenig zu kippen schien. Nicht gut. Ein leises Ächzen kam über seine Lippen. Wie ihm Dr. Ziegler den Becher wieder aus den Händen nahm, bekam er kaum mit. "Du hast viel Blut verloren. Vielleicht sollten wir doch eine Infu-" "Nein. Es geht schon." Er brauchte die Augen nicht zu öffnen, um den abfälligen Blick auf ihrem Gesicht zu sehen, den sie immer aufsetzte, wenn er eine medizinische Behandlung ablehnte. Je weniger Daten sie über ihn bekam, desto besser. Er wählte für Check-Ups bewusst die Termine, an denen eben sie nicht da wäre, immer in der Angst, irgendeine Kleinigkeit könnte ihn verraten. Eine winzige Narbe, eine Geste oder einfach nur seine Reaktion auf sie.

Die meisten Leute hatten die Krankenstation inzwischen verlassen, hatten sich entweder ihren Aufgaben zugewandt oder aber der wohlverdienten Ruhe im eigenen oder im Krankenbett. Nur Angela war noch da, hielt sacht seine Hand. Während ein Teil von ihm gerne geblieben wäre, um diesen Moment zu genießen, riet der rationale Teil in Jack ihm doch, sich möglichst bald zurückzuziehen. Der Soldat rang mit sich, um die richtigen Worte zu finden, die es ihm erlaubten, schnell die Flucht zu ergreifen, ohne, dass es genau danach aussah.

Räuspernd durchbrach Jack schließlich die Stille und entzog der Ärztin seine Hand. "Dann werde ich jetzt gehen. Danke für die Versorgung, Dr. Ziegler." So nannte er sie bewusst. Nicht Angela, obgleich sie es allen Agenten freimütig angeboten hatte. Es wahrte Distanz, sie mit ihrem Titel und Nachnamen anzusprechen. Eine Distanz, um die er jeden Tag aufs Neue rang. Vor allem mit sich selbst.Dieser Mann war wirklich zum Haareraufen! Die Schweizerin bezweifelte stark, dass er überhaupt sicher in sein Zimmer kam. Die Betäubung währte sicher noch an und wenn sie raten müsste, würde sie sagen, dass ihm höchstwahrscheinlich schwindelig und etwas übel war. Sie seufzte. Dass er unvernünftigerweise versuchte, sich um die Nacht in der medizinischen Station zu drücken, hatte sie ja schon erwartet, aber das hier, das grenzte an Dummheit. Wie oft hatte sie schon versucht, mit dem Supersoldaten darüber zu diskutieren, dass er noch immer ein Mensch war und wie alle Menschen ausreichend Ruhe und Erholung brauchte? Wie oft war er ihr einfach ausgewichen, war zu Check-Ups unter fadenscheinigen Entschuldigungen nicht gekommen und hatte in jeder ruhigen Stunde einen weiten Bogen um sie gemacht? Zu oft, fand die Ärztin. Vielleicht war es Zeit, offen zu sprechen. "Jack. Du wirst dich noch ein wenig ausruhen und über Nacht hier in der Krankenstation bleiben."

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