Albtraum im Dschungel

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"Darf ich mit Karte zahlen?"
Die füllige Dame hinter dem Steuer schaut uns an, als habe ich sie gerade aus heiterem Himmel um die Hand ihrer jüngsten Tochter angehalten. Unter dem indigofarbenen Kopftuch sieht sie nicht gerade sehr wohlwollend aus.

Ich zeige ihr meinen leeren Geldbeutel. "Wir hatten noch keine Gelegenheit Bargeld abzuheben".
Energisch klopft sie auf ihr Kartenlesegerät. Das Ding scheint total im Eimer zu sein. Na toll!
Mitternacht ist schon lange durch und das Taxi steht in einer nicht sehr vertrauenerweckenden dunklen Gasse. Vor uns erhebt sich das Shalimar Park Hotel. Der Name mag zwar imposant klingen, doch weiß ich es besser. Noch immer habe ich die Bewertung im Kopf, die ich gestern gelesen habe:
"Das Zimmer ist unter aller Sau! Schimmel wohin man schaut. Kakerlaken waren vor uns eingecheckt. Kein Bad, nur eine desolate Dusche. Kein Service, nur eine dunkle Ecke, wo man das Frühstück hingeknallt bekommt. Toilettenpapier mussten wir mitbringen. Mein Mann wurde in diesem Hotel krank."
Naja, Anna* wollte es eben billig. Sie ist die etwas genervte Dame, die neben mir sitzt. Und vor uns liegt ein Abenteuer. Oder der bisher schrecklichste Monat in meinem Leben. Aber das weiß ich ja jetzt noch nicht. (*Name geändert)
"Vielleicht können die im Hotel uns etwas Bargeld leihen", schlägt sie vor. Mir fällt auch nichts anderes ein und ich versuche es. Zu meiner großen Überraschung ist der Portier noch wach. Ein hagerer Mann Mitte dreißig mit kurz gestutztem Vollbart. Neben ihm steht ein nervöser, rundlicher Kerl, der so aussieht als habe er sich bisher nur von Haribo ernährt.
Hinter den beiden prangen etwa einhundert Bilder von Muhammad bin Raschid Al Maktum, dem Premierminister der Emirate und dem Alleinherrscher von Dubai. Bis auf Mohammed gibt es in diesem Land vermutlich keinen Menschen, dem mehr Ehre gebührt.
Nachdem ich auf Englisch mein Problem mit dem Bargeld erklärt habe, setzt sich der runde Junge in Bewegung. Ich bin zwar nicht sicher, was er genau möchte, doch wedelt er mit den Armen, damit ich ihm folge. Es geht hinaus auf die Straße, am Taxi vorbei und dann in eine dunkle Gasse. Rechts und links stehen dampfende Mülltonnen, in den Ecken Unrat und fast trete ich in eine tote Ratte. Ich hoffe der Typ hat nicht den Auftrag mich zu exekutieren, doch macht er irgendwie einen zu niedlichen Eindruck.
Nach ein paar Minuten präsentiert er mir einen Geldautomaten, der meine Karte stotternd entgegennimmt. Nach einigen Geräuschen, die irgendwie an einen Aktenvernichter erinnern, kommt aber tatsächlich ein Packen Geldscheine zum Vorschein. Echte Dirham. Geschafft.

Wenige Minuten später haben wir sowohl die dicke Taxifrau, als auch das Hotel bezahlt und stehen auf der Türschwelle zu unserer "Unterkunft". Anna drückt skeptisch auf der Matratze herum.
"Das Ding ist hart wie Beton."
"Achwas", sage ich, "meine Matratze zu Hause ist auch recht hart. Sowas ist gut für den Rücken!" Doch als ich mich hinlege werde ich eines besseren belehrt. Das Ding ist vermutlich für keines meiner Organe sonderlich gut. Ich denke mit blutendem Herzen an meine Matratze in zurück. (Ref. zu anderem Bericht) Sogar die war vermutlich gemütlicher. Aber ich hatte schon ganz andere Strapazen erlebt.

Eine Stunde später schaue ich mit offenen Augen an die Decke. Anna schläft schon, doch trotz des langen Fluges kriege ich kein Auge zu.
Ich denke über die Reise nach, die vor mir liegt. Erst ging es nach Dubai, morgen nach Singapur und dann wollen wir durch Malaysia, Thailand und Laos nach Sepa in Vietnam reisen. Dann die vietnamesische Küste runter bis zum Mekong Delta, über den es dann nach Angkor in Kambodscha gehen soll. Von dort dann zurück nach Bangkok. Unserem Reiseziel.
Krass, was wir uns da vorgenommen haben. Eine Strecke von vielen tausend Kilometern und das nur mit dem Rucksack. Ein Traum. Zumindest glaube ich das bis zu diesem Moment noch und lächle glücklich in mich hinein. Es gibt doch nichts besseres als fremde Kulturen zu erkunden. Dass ein Albtraum vor mir liegt weiß ich ja noch nicht. Denn das Lächeln wird mir schon bald vergehen. Aber das dauert noch ein paar Tage.

Anna kenne ich noch nicht so gut. Ich habe sie auf einer Party vor einigen Monaten getroffen und nach kurzem Gespräch stellte sich unser gemeinsames Problem heraus. Niemand im sozialen Umfeld, der ebenfalls gerne mit dem Rucksack irgendwelche Schurkenstaaten bereist. Entweder fehlte die Zeit, die Lust oder das Geld. Doch wir hatten alles. Und schnell war unsere Reise geplant.

Ich hoffe die nächsten Stunden auf Schlaf, doch daraus wird nichts. Zu aufgeregt bin ich. Und erst um kurz nach fünf merke ich, wie ich langsam ruhiger werde und irgendeinen komischen Traum habe.
Und dann höre ich in der Ferne einen leisen Singsang: "Lā ilāha illā ʾllāh"...
Oh wie schön, jemand singt mich in den Schlaf, denke ich mir und kringle mich zufrieden auf der Steinmatratze zusammen.
"Muḥammadun rasūlu ʾllāhi"... , die süßlichen Töne eines Muezzin, weit entfernt auf einem hohen Turm.
"Alīy walīyu ʾllāhiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiIIIII"..., jetzt wird es doch etwas nervig.
Und dann ging es plötzlich los. "LA ILAHA ILLA ILLA ILLA LAHAHAAAAA".
Ich reiße verzweifelt die Augen auf. Direkt über mir zerfetzt der Muezzin die Stille als gäbe es keinen Morgen. Auch Anna scheint inzwischen wieder aufgewacht und bewegt sich. Doch nach dem ersten Schreck finde ich die Situation irgendwie sehr komisch und muss lachen. Gut dass Raschid Al Maktum das nicht weiß.

Albtraum Im DschungelWhere stories live. Discover now