Kapitel 8

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Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Immer schön vorsichtig,  um bloß nicht zu stolpern. In meinen Händen trug ich ein überdimensionales Tablett mit einer Gläserpyramide, das ich über einen Holzbalken balancieren musste. Wenn ich mir ja auch nur einen einzigen Fehltritt erlauben würde,  wäre alles dahin. Plötzlich hörte ich ein leises Lachen,  aber ich konnte nicht genau sagen,  aus welcher Richtung es kam. Unbeirrt lief ich weiter,  Schritt für Schritt. Doch es kehrte wieder. Irgendjemand machte sich wohl über mich lustig.  Ich versuchte vergeblich,  diese Tatsache zu ignorieren,  was mir jedoch nur schwer gelang.  Meine Hände begannen zu zittern und ich spürte,  wie ich ins Wanken geriet. Auf einmal gab mir jemand einen Stoß und ich ließ vor Schreck das Tablett fallen. Die Gläser zersplitterten in tausend scharfkantige Scherben auf dem Boden und glitzerten im Licht.  Hinter mir hörte ich Schritte. Panisch drehte ich mich um und fiel,fast schwerelos und leicht.  Bis ich auf den Boden aufprallte und  sich unzählige spitze Glassplitter in meinen Körper bohrten.

Erschrocken fuhr ich hoch. Dieser Traum hatte sich so real angefühlt, dass ich eine Weile brauchte,  um wieder normal atmen zu können.  Worauf hatte ich mich denn nur eingelassen?  Mittlerweile hatte ich so Angst vor dem Kellnern übermorgen,  dass ich schon mit dem Gedanken gespielt hatte,  einfach abzusagen. Aber ich konnte Annie und Jem nicht einfach so hängen lassen. Nicht in der Situation. Plötzlich merkte ich,  dass mein Handy klingelte und das vermutlich schon eine ganze Weile. Hastig durchwühlte ich meine Tasche und ging dran. "Hallo?"   "Hi Sarah,  wie gehts dir denn? Ich hab schon lange nichts mehr von dir gehört", drang Isabelles vorwurfsvolle Stimme an mein Ohr. Unser letztes Telefonat lag zwei Tage zurück, an dem Tag,  an dem ich angekommen war, hatte ich das letzte Mal mit ihr geredet. Irgendwie konnte ich verstehen,  dass sie sich Sorgen machte, aber das war noch lange kein Grund,  mich mitten in der Nacht anzurufen!  "Hey Isabelle", sagte ich müde,  "weißt du wie spät es ist?" "Also ich bin grad auf dem Weg zu meinem neuen Job,  bei mir ist es halb acht", verkündete sie stolz, bevor ihr langsam etwas dämmerte.  "Oh Verdammt,  ich hab ganz vergessen,  dass ihr in New York ne andere Zeit habt als hier!" Für einen kurzen Moment herrschte Stille,  doch dann begannen wir gleichzeitig zu lachen. Es tat so gut,  fast hatte ich das Gefühl, als wäre Isabelle bei mir. "Hast du meine Liste schon gesehen?", fragte sie nach einer Weile.  "Klar", gab ich zurück,  "Ich hab auch schon ein paar Sachen gemacht."  "Echt?  Welche denn?"  Isabelles Stimme klang ganz schön aufgeregt.  "Die mit der Freiheitsstatue,  also die ersten beiden Punkte und das mit dem Straßenmusiker. Ich hab jetzt einen Job als Aushilfskellnerin und schon Alpträume davon,  bevor ich überhaupt angefangen habe", jammerte ich und ehe ich mich aufhalten konnte,  erzählte ich ihr jedes noch so kleine Detail. Isabelle hörte aufmerksam zu und unterbrach mich nicht ein einziges Mal,  was eigentlich untypisch für sie war.  Als ich geendet hatte sagte sie: "Wow, das hört sich ja richtig interessant an!" Da musste ich ihr allerdings Recht geben. Ich hatte hier schon so viel erlebt,  dass es mir vorkam,  als wäre ich schon eine Ewigkeit her, dabei waren es gerade mal zwei Tage. "Und dieser Sam...?", fuhr meine Freundin fort, "hast du ihn denn schon angerufen?" Grinsend verdrehte ich die Augen. Isabelle hatte sich schon immer mehr für meine Geschichten mit Jungs interessiert als für ihre eigenen. "Nein,  noch nicht...", antwortete ich gedehnt. "Du musst ihn anrufen!  Er wartet bestimmt schon darauf! Ogott,  ich glaub das ist dein absoluter Traumtyp!", kreischte sie so laut in mein Ohr,  dass ich mein Handy reflexartig auf Abstand hielt. "Beruhig dich", lachte ich, "ich ruf ihn später mal an, versprochen." Isabelle seufzte hörbar.  "Okay. Aber wehe du erzählst mir danach nicht jedes kleinste Detail."    "Mach ich schon,  keine Sorge", meinte ich. Wir redeten noch eine ganze Weile,  aber irgendwann mussten wir dann doch wieder auflegen.  Zufrieden kuschelte ich mich in mein Bett und schloss die Augen. Jetzt würde ich noch ein kleines bisschen Schlaf gebrauchen können,  schließlich würde morgen bestimmt wieder ein ganz schön erlebnisreicher Tag werden.

Next Station: New York City *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt