Kapitel 6

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Zwei U-Bahnen,  drei Busse und eine Bootsfahrt später stand ich endlich am Fuß der Freiheitsstatue und war vollkommen überwältigt. Sie war noch viel größer und eindrucksvoller als ich erwartet hatte und ich kam mal wieder aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Leider war die Schlange für die Tickets schon ziemlich lang, anscheinend war ich nicht die Einzige, die die Statue besichtigen wollte.  Ein wenig genervt reihte ich mich in die Reihe der Wartenden ein und seufzte. Hätte ich an der U-Bahnstation nicht so viel Zeit vertrödelt,  wäre ich jetzt schon oben und könnte die Aussicht genießen. Aber rückgängig machen konnte ich es schließlich auch nicht mehr und als ich in meine Jacke griff und das kühle Papier mit Sams Handynummer spürte,  war mir klar,  dass sich die Verspätung doch gelohnt hatte, langes Warten hin oder her. Der Gedanke an Sam lenkte mich ab und irgendwie verflog die Zeit vor der Kasse dann doch noch. Als ich dann endlich mein Ticket hatte,  stieg ich in den Aufzug,  der mich die ersten zehn Stockwerke weit nach oben brachte. Jetzt war Treppensteigen angesagt und bereits nach drei Treppen war ich völlig außer Puste. Immer wieder überholten mich andere Besucher und irgendwann war ich einfach nur noch völlig fertig. Deshalb blieb ich erst einmal stehen und trank gierig die Hälfte meiner Wasserflasche leer. An diesem Punkt war ich tatsächlich kurz davor aufzugeben,  doch dann dachte ich an Isabelle und daran,  dass ich ihr zuliebe etwas erreichen musste. Ihr zuliebe würde die Liste erledigen, um ihr zu beweisen,  dass ihre verrückten Einfälle manchmal das Beste waren,  was mir je passieren konnte. Und mit Treppensteigen ging es weiter,  ob ich wollte oder nicht.  Entschlossen packte ich die Flasche zurück in meinen Rucksack und quälte mich Stufe für Stufe nach oben. Es dauerte eine geschlagene Dreiviertelstunde, bis ich endlich das Ende der Treppe sah. Erleichtert erklomm ich das letzte Stück und freute mich schon auf die Aussicht, doch überall standen Leute, die mir die Sicht versperrten. Aber ich fand eine Lücke und als ich nach unten sah war ich so sprachlos wie noch nie zuvor. Wenn ich damals im Flugzeug gedacht hatte,  es ginge nicht mehr besser, hatte ich mich getäuscht.  Tief unter mir klatschen die Wellen gegen die Insel und ein eisiger Wind peitsche mir um die Ohren. Wieder sah man Manhattans atemberaubende Skyline, die Brooklyn Bridge und New York, soweit das Auge reichte. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich mich so frei gefühlt wie hier. Eine ganze Weile war ich nun damit beschäftigt, diesen Anblick zu genießen,  als mir plötzlich einfiel,  warum ich eigentlich hier war. Mit zitternden Händen kramte ich die Polaroidkamera hervor,  die Millie mir gegeben hatte,  um das Foto schnell parat zu haben. Ich atmete tief durch und dann tippte ich die asiatisch aussehende Frau neben mir zaghaft auf die Schulter. "Entschuldigung,  könnten Sie bitte ein Foto von mir machen?", fragte ich sie und sah im nächsten Moment betreten zu Boden. "Natürlich,  komm her", sagte sie freundlich und griff nach der Kamera. "Cooles Teil! Wo hast du das denn her?" Ich musste lachen. Diese Frau war mir irgendwie sympathisch. "Von einer Freundin, ist aber nur ausgeliehen", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Ich liebe diese alten Kameras. Die machen so viel bessere Fotos als die Digitalkameras heutzutage, findest du nicht auch?" "Das stimmt", pflichtete ich ihr bei. "Sorry,  ich habe dich schon viel zu lange aufgehalten... wo möchtest du dich denn hinstellen?" Ich zögerte nicht lange und lief an den Rand der Brüstung. "Hierhin." Sie grinste. "Alles klar." Ich setzte mein schönstes Lächeln auf und die Frau drückte den Auslöser. Ein sirrendes Geräusch ertönte und kurze Zeit später wanderte ein noch blasses Fotopapier aus der Kamera. Sie gab es mir,  aber ich winkte ab. "Behalten Sie's." Verwundert sah sie mich an, steckte es dann aber doch ein.  Okay,  Punkt eins war erledigt,  jetzt folgte der zweite. "Wollen wir nochwas zusammen essen gehen?", fragte ich. "Ich lade Sie auch ein." Langsam und bedächtig nickte sie. "Gerne! Ich habe ein eigenes Restaurant,  wenn du möchtest können wir ja dorthin gehen."  "Okay", stimmte ich ihr zu und gemeinsam stiegen wir die Treppen wieder nach unten.

Next Station: New York City *abgeschlossen*Where stories live. Discover now