Prolog

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❛❛Dass man lebt, ist Zufall; dass man stirbt, ist gewiss.❜❜

Regen durchnässt mich bis auf die Haut. Der Himmel über Chicago ist wolkenverhangen und leiser Nebel steigt aus den Deckeln der Kanalisation empor. Während ich die letzten Stufen hinabgehe, spannt sich mein ganzer Körper an. Es ist wie damals. Mein Herz rast, der Puls hämmert gegen meinen Hals und mein Mund fühlt sich staubtrocken an. Doch einiges hat sich in den letzten Jahren verändert. Ich bin kräftiger geworden, hab an Muskeln zugelegt und meine Schläge sind effizienter wenn nicht sogar tödlicher geworden. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, gleich werde ich herausfinden, ob auch er schlauer geworden ist. Wohl kaum, so wie ich ihn kenne. Arrogant und aggressiv, das gleiche könnte man von mir auch behaupten.

Doch, es gibt einen feinen aber sichtbaren Unterschied, ich tue nicht nur so, sondern bin es wirklich. Ich verstecke mich nicht hinter einer Maske.

Die Dunkelheit umhüllt mich mit ihren grossen, seidigen Schwingen. Meine Augen gewöhnen sich schnell an die neuen Lichterverhältnisse und ich bleibe in der Mitte der Unterführung stehen. Hier unten ist es klamm und es riecht nach Urin und anderen ekelhaften Gerüchen. Der Treffpunkt passt zu ihm, denn eine Ratte verlässt ungern ihr Versteck. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass er zu spät ist. Noch eine Eigenschaft, die sich nicht geändert hat. Von der Decke tropft Wasser, direkt auf meinen Nacken. Mit einer einzigen Bewegung meiner Hand wische ich den Tropfen weg und wippe ungeduldig mit den Füssen auf und ab.

«Sieh an, sieh an. Wie gross du geworden bist», höre ich plötzlich eine raue, kratzige Stimme. Ich wirble herum und stehe ihm gegenüber. Er ist älter geworden, aber er sieht noch genauso aus wie vor zehn Jahren. Eine verdammt lange Zeit und doch nur ein winzig kleiner Bruchteil im Universum. Ich spüre wie ich mich innerlich wieder zu dem Jungen zurück entwickle, der ich damals war. Zitternd vor Angst und doch bis zum Hals gefüllt mit Hass. Ich lecke mir über die Lippen, balle die Hände zu Fäusten und versuche mich nicht provozieren zu lassen.

«Ein stattlicher junger Mann bist du nun, doch wie ich gehört habe, ist aus dir genau der geworden, der du nie sein wolltest. Du lügst, betrügst und tötest. Oh ja, ich habe stets ein Auge auf dich gehabt. Ich weiss, was du treibst und ich weiss auch mit wem. Ein nettes Mädchen das du dir da angelacht hast. Vielleicht borge ich sie mir mal aus. Was meinst du?» Ich schlucke, kann es nicht fassen, dass er sie da mit hineinzieht. Mein Körper bebt vor Wut und angestautem Hass, nie hätte ich gedacht wieder solchen Hass zu empfinden. Doch da habe ich mich wohl geirrt.

«Weiss sie von deiner Doppelmoral? Tagsüber der nette Student und nachts der kriminelle Bastard, der Abschaum, der du schon immer warst? Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie es weiss . Ah, ah. Wir wollen doch nicht das jemand verletzt wird. Das wäre doch jammerschade.» Er holt etwas aus seiner Tasche, es blitzt im grellen Licht der Neonröhre und entpuppt sich als Messer. Der Griff ist aus Holz, der mit Schnitzereien verziert wurde und die Klinge ist zwanzig Zentimeter lang. Ein falscher Schritt und sie bohrt sich in meine Rippe und ich bin tot. Das würde ihm so passen, diesem Wichser.

«Du scheinst mich nicht zu kennen, wenn du es nur ansatzweise tätest, würdest du wissen, dass ich nie ohne meine Dagger 9mm aus dem Haus gehe.» Langsam ziehe ich die Waffe aus dem Hosenbund und entsichere sie, lasse sie im Mondlicht schimmern. Das Klicken hallt an den Wänden wieder und jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich spüre wie er einen Moment innehält, wie es aussieht kennt er mich wirklich nicht mehr, vielleicht hat er das auch nie. Wie schade für ihn.

«Wie dir sicher bekannt ist, weiss ich mit einer Waffe umzugehen. Schon manch einem habe ich so das Leben genommen, bevor er es überhaupt bemerkt hat. Doch es scheint mir so, als wären einige eine Katze mit neun Leben. Du stimmst mir doch zu, oder?» Meine Braue schiesst nach oben und das Lächeln, dass mein Gesicht ziert, wird immer triumphierender. Ich bin heute nicht hierhergekommen, um ihm zu beweisen was aus mir geworden ist, sondern um zu sehen, dass wir nichts gemeinsam haben und es auch nie hatten.

♛Chicago Kings♛ - Du gehörst mir ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt