Blondie zieht in die Welt hinaus

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Hätte ich meine Kopfhörer nicht aufgesetzt, hätte ich vielleicht mitbekommen wie eine kleine, jähzornige, blonde Gestalt mein Zimmer betrat nur um zu sehen, ob ich etwas verbotenes mache, um es meinen Eltern zu erzählen. Nun, hätte diese blonde, aggressive Gestalt, alias mein kleiner Bruder, sich nicht durch das anheben meiner Kopfhörer, sowie das Schreien in mein Ohr bemerkbar gemacht, wäre er vielleicht nicht aufgefallen. Aber das will er ja gar nicht. Er will ja unbedingt auffallen, sonst bekäme er ja nicht meine Aufmerksamkeit.
Also, wie schon gesagt fühlte ich, wie kleine Hände meine Kopfhörer abnahmen und eine laute Stimme, die mir schrill ins Ohr schreien musste:"Was machst du da?!"
Erschrocken fuhr ich zusammen, begleitet von einem Gefühl, als wäre mein Trommelfell nun mein Leben lang unbrauchbar und klappte dabei (reflexartig) meinen Computer zu. Jene kleine Gestalt, mit dem Stimmorgan einer Todesfee, ist übrigens mein jüngerer Bruder Yano. 17 Jahre alt, kleinwüchsig, aggressiv und eine ziemliche Dramaqueen. Anders als ich, ist er bei dem Volk relativ unbeliebt, was er aber nicht einmal zu bessern versucht. Eigentlich sind wir komplett verschieden. Ich bin ziemlich groß, er nicht. Ich bin beliebt, er nicht. Ich komme mit jedem gut aus, er (große Überraschung) nicht. Nein, er versucht es nicht einmal. Er ist sogar die Person, die immer Streit anfängt. Aber kommen wir zur oben beschriebenen Situation zurück, damit es weiter gehen kann mit meinem Leben. Also, weiter im Dialog. "Sag' mal, spinnst du?! Reiß mir doch gleich mein Gehör heraus!"
Derartige Attacken meines Bruders sind mir natürlich nicht unbekannt, da er sie praktisch täglich ausübt. Vielleicht reißt er mir sogar eines Tages mein Gehör heraus. Zutrauen würde ich es ihm jedenfalls.
"Wieso klappst du denn den Computer so schnell zu...? Geheimnisse?"
"Nein, Yano. Und jetzt verpiss' dich aus meinem Zimmer."
"Oh, welch schreckliche Umgangssprache! Wie vulgär du doch bist!"
"Schön, dann orinieren Sie sich bitte weg von hier."
So einfach ließ sich diese kleine Banshee natürlich nicht abschütteln. Wir sind ja schließlich verwandt und in so manchen Sachen doch ziemlich ähnlich. Mit "nicht so leicht abwimmeln" meine ich also, dass er mir den Laptop förmlich aus den Händen reißt, ihn öffnet und das Gesehene kommentiert.
Seine blauen Augen (ich habe auch ganz wunderbare, blaue Augen) weiteten sich, wegen des Anblicks den mein Laptop, oder eher gesagt ein Facebookprofil ihm bot.
"Wer zum Teufel ist "Masoneedsstrenght"?",fragte er mich, mehr angeekelt als neugierig. Ich antwortete nicht um seiner Fantasie freien lauf zu lassen. Es wäre vielleicht witziger gewesen, hätte er diese Person nicht gekannt, doch leider war diese Person schon öfters bei uns zu Besuch und hat sich schon oft mit Yano auseinandergesetzt. Diese Person war mein Kumpel Aislynn, dessen Vorlieben nicht nur in seinem Facebookprofil, sondern auch immer wieder durch sich selbst verdeutlicht werden. Aber zu ihm kommen wir später. Warten wir bis Aislynn seinen großen Auftritt hat!
Mein kleines Brüderchen ließ sich jedenfalls seine Enttäuschung darüber, dass es nichts zu petzen gab nicht anmerken und gab mir endlich meinen Laptop wieder.
"Könntest du jetzt bitte mein Zimmer verlassen, oder bist du noch aus anderen, wirklichen Gründen hier?", fragte ich ihm in der Hoffnung er ginge endlich wieder. Doch anstatt zu gehen lächelte er nur und setzte sich neben mich, auf mein Bett.
"Es gibt Essen!"
"Das hättest du mir auch von meiner Zimmertür aus sagen können."
Diesen Kommentar ignorierte Yano geschickt und fing an mit meinen langen Haaren zu spielen. "Papa ist ganz außer sich, Evan."
"Was meinst du?"
"Er sagte du seist schon fast 20 und noch nicht einmal verlobt. Du sollst dir endlich eine Frau suchen, ansonsten heiratet er dich."
Wir sahen uns gegenseitig angeekelt an, ein Moment der vollkommenen peinlichen Stille. Mein Bruder unterbrach diese indem er aufstand und endlich mein Zimmer verließ. "Rede doch einfach selbst mit ihm!", waren seine letzten Worte, bevor er die Treppe hinunter eilte um genug von der Vorspeise zu bekommen.
'Ja, Essen ist  vermutlich keine schlechte Idee' beschloss ich und folgte Yano zum Esstisch, an dem unsere Eltern uns schon erwarteten. Ich setzte mich gegenüber meines Vaters und nahm mir etwas von der Vorspeise: Pudding. Ich mag kein Pudding, er wabbelt immer so. Alles was schwabbelt ist in meinen Augen ziemlich ekelig, tut mir leid. Wieso ich mir dann überhaupt Pudding nahm ist eine gute Frage. Eigentlich eher aus Höflichkeit. Mein Vater ist einer dieser "es wird gegessen, was auf den Tisch kommt"-Personen. Sehr zu meinem Nachteil.
Ich verzog etwas angewidert das Gesicht, was von meinem Vater beäugt wurde. Die Stille, die herrschte war beinahe erdrückend. Niemand sagte etwas. Man hörte nur wie Yano ständig ungeduldig mit seinem Löffel gegen den Teller schlug, was drohte mich bald in den Wahnsinn zu treiben.
"Mein Sohnibär, ich muss mit dir reden."
Ich hätte Gott, also mir, gedankt für das Brechen des Schweigens, hätte mein Vater einmal das "Sohnibär" weg gelassen. Doch ich ging nicht weiter darauf ein, sondern sah ihn fragend an. "Was gibt es?"
"Du wirst langsam eine alte Schachtel. Bald will dich keiner mehr, also heirate endlich und zieh' hier aus!"
Ich hätte eigentlich schockiert sein sollen, aber mein "Papabär" drängt mich schon seit ich 15 war dazu auszuziehen. Meine Mutter hat schon aufgegeben, also meinen Vater aufgegeben. Sie lieben sich zwar immer noch, aber mittlerweile hatte nicht einmal sie noch Lust auf diese Diskussion, weshalb sie genervt die Augen verdrehte. Mein Vater ließ sich eh nie aufhalten, also nahm er mitfühlend meine Hand und sah mir in die Augen.
"Es ist uns doch egal, ob Mann oder Frau...Wenn dein Herz für Männer schlägt ist das nicht schlimm. Ich kenne mich bei diesem Thema aus. Als, ich 16 Jahre alt war, war ich der absolute Männerschwarm! Also, wenn du Fragen hast...ich bin immer da!"
Es entstand eine weitere Stille. Aber eine ziemlich peinliche. Jeder hier versuchte irgendwie zu begreifen, was mein Vater eben gesagt hatte. Außer meine Mutter und mein Vater selbst natürlich. Mein kleiner Bruder fing an zu lachen und ich stand auf. Ich entschuldigte mich mit:"Ich bin satt." und eilte in mein Zimmer. Dort ließ ich mich auf mein Bett fallen und sah zur Decke. Was man vielleicht auch noch wissen sollte: Ich nehme es mit der Liebe nicht so genau. Also, es ist nicht so, dass ich nur einen Hang zu Frauen habe, das ist mir zu einseitig. Nein, ich habe schon so manchen männlichen Freund nach Hause gebracht. Man verliebt sich schließlich in Menschen, in Personen. Nicht in Geschlechter.
Meine Gedanken rasten durch meinen Kopf, bis ich zu einem Entschluss kam. Ich bin schon 19, nicht? Ich kann arbeiten, Auto fahren, eine Wohnung mieten...Ich bin auch nicht an irgendjemanden hier gebunden. Mein Vater geht mir eh furchtbar auf die Neven und eine Auszeit von Yano könnte ich wirklich gut gebrauchen! Heiraten werde ich hier definitiv auch niemanden, also was habe ich zu verlieren? Alles ist sicher spannender, als hier zu sein und sich die Finger ablecken zu lassen. Ich wollte irgendwo anders hin. Irgendwo hin, wo mich niemand kennt. Ganz neu anfangen, neue Freunde kennen lernen, mir ein Leben aufbauen! Und wer weiß? Vielleicht heirate ich dann irgendwann wirklich.
Bei dem Gedanken musste ich unwillkürlich lächeln.
Ich würde weg gehen.
Von hier verschwinden.

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⏰ Last updated: Jul 31, 2017 ⏰

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"Why be a king, when you can be a god?"Where stories live. Discover now