Kapitel 1

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Allein das leise Rascheln der Bettdecke verriet, dass Angela von Alpträumen heimgesucht wurde. Unruhig drehte sie sich herum und schob die Decke von sich, um sich dann doch an ihr festzuhalten, als wäre sie ein Rettungsanker. Das blonde Haar der Ärztin fächerte sich zerzaust über das orangefarbene Kissen, in dem sie nunmehr ihr Gesicht verbarg. Mit einen tiefen, japsenden Atemzug erwachte Angela schließlich. Schweißgebadet und schwer atmend. Adrenalin rauschte durch ihre Adern und vertrieb jeden Gedanken an Schlaf. Langsam richtete sie sich auf, fuhr sich durchs Haar und suchte mit den Augen die schemenhafte Umgebung ab, die in der Dunkelheit so sehr verschwamm, dass sie doch nur Umrisse erkennen konnte. Sie war in ihrem Zimmer. In Gibraltar. Overwatch. Nach und nach sickerte die Realität durch und vertrieb die Bilder des Alptraums weitestgehend. Am liebsten wäre sie einfach in das Wohnzimmer gegangen. Vielleicht hingen dort Hana und Lena noch an ihrem Video-Spiel. Das würde sie ablenken, sie wäre nicht allein. Denn wenn sie allein war, kamen die Erinnerungen umso einfacher zurück und rissen sie in ihre eigene, dunkle Welt. Sie hätte aufstehen können, doch brachte es nicht recht über sich. Seufzend zog Angela die Beine an und legte ihren Kopf auf die Knie.


So viele Jahren waren nun schon vergangen, so viel war geschehen und doch suchte sie dieser verhängnisvolle Tag noch immer heim. Die Explosion, die das Hauptquartier in Zürich zerstört hatte, hatte nicht nur ein Gebäude ausgelöscht, sondern auch viele Leben und die Gemeinschaft von Overwatch. Als Winston sie vor etwa einer Woche zurück zu Overwatch gerufen hatte, war die Schweizerin mehr als überrascht gewesen. Sie hatte sich nach Overwatchs Fall in verschiedenen Krisengebieten als Sanitäterin und Ärztin eingefunden, um wie stets denen beizustehen, die ihrer Hilfe bedurften. Allerdings hatten sie die Erinnerungen nirgends auf dieser Welt je allein gelassen. Ob im Iran oder in Ägypten, ob in Sibirien oder Mexiko. Überall war sie mehr als eine Nacht aufgeschreckt und hatte die Bilder von einst nicht vertreiben können. Die Ruinen des Hauptquartiers und den zerschmetterten Körper, den sie darin gefunden hatte. Gabriel Reyes. Gabriel, der sie verraten hatte, der Overwatch verraten hatte und alles, wofür Overwatch stand. Gabriel, den sie Freund genannt hatte. Wann immer sie die Augen schloss, konnte sie ihn wieder vor sich sehen, wie er da lag. Gabriel war gestorben. Ihr innerer Dämon, der sie daran erinnerte, welchen Frevel sie begangen hatte, gleich wie oft sie ihn beiseite schob und versuchte, Gutes zu tun als könne es ungeschehen machen, was sie nie jemandem anvertraut hatte. War nicht "Helden sterben nicht" ihr Leitsatz? Wahre Ironie. Doch sie konnte es sich nicht gestatten, einfach aufzugeben und in Selbstmitleid zu versinken.


♪♫ They say don't let them in

Close your eyes and clear your thoughts again

When I'm all alone, they show up on their own

Cause inner demons fight their battles with fire

Inner demons don't play by the rules

They say "Just push them down, just fight them harder,

Why would you give up on it so soon?" ♪♫


Gerissene Muskeln, Blessuren, Brüche, zerfetzte Haut. Sie hatte in ihrer Karriere als Medizinern all das und sehr viel mehr gesehen, doch Gabriel so zu erblicken, hatte mehr geschmerzt, als sie je geahnt hätte. Gerade erst hatte man ihr mitgeteilt, Strike Commander Morrison - Jack - sei unter den Trümmern begraben gestorben und dann fand ausgerechnet sie den sterbenden Gabriel.


"Gabriel, bleib bei mir. Halt durch! Ich helfe dir. Ich... Wie gerne hätte sie Wort gehalten, aber sie hatte genau gesehen, dass jede Hilfe zu spät kam. Er starb unter ihren Händen und es hatte nichts gegeben, was sie dagegen hätte tun können. Und was sie schließlich getan hatte, war unverzeihlich. Ein Verbrechen gegen Gabriel, gegen alle ethischen und moralischen Vorstellungen, für die sie stand und sogar gegen die Natur selbst. Ihre Nano-Bots hatten funktioniert. Sie hatte es selbst kaum geglaubt, immerhin war es ein rein experimenteller Status - weit davon entfernt, auch nur an Tieren getestet zu werden. Gabriel war wiederauferstanden, keine Stunde nach seinem Tode. Zu sehen, wie seine Zellen starben und regenierten zugleich, hatte für sie beide einen Schock dargestellt. Diese Mutation hatte sie nicht erwartet und der ehemalige Blackwatch-Commander erst recht nicht. Schwarzem Rauch gleich hatte er sich teilweise aufgelöst und wieder zusammengefunden. Seine Augen waren vor Schreck und Abscheu geweitet, ehe seine Hand nach ihrer Schulter griff, seine Finger sich schmerzhaft in ihr Fleisch bohrten. Noch heute konnte sie seinen durchdringenden, hasserfüllten Blick förmlich spüren, der ihr damals durch Mark und Bein gegangen war. "Was hast du aus mir gemacht?" Dunkel, rauchig und drohend hatte Gabriels Stimme geklungen, mehr noch als zuvor. Sie war zurückgewichen - und er war in einem Wirbel schwarzen Nebels verschwunden, ohne eine Antwort von ihr erhalten zu haben.Wenn sie heute die Augen schlossen, mischten sich die Bilder Gabriels. Der alte Gabriel, mit dem sie gescherzt und oft gestritten hatte, aber der trotz allem ein warmherziger Mensch gewesen war. Gabriel, den sie zurückgeholt hatte, zerstört und voller Hass auf sein eigenes Sein und sie, die ihn erschaffen hatte. Andere hätten - wohl zurecht - den Vergleich zur Geschichte Dr. Frankensteins gezogen.

Inner Demons - Inner AngelsWhere stories live. Discover now