Chapter 03

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Das Haus des Bauernjungen lag etwas abseits der Mauern des großen Schlosses. Bis Mitternacht konnte Misha kein Auge zumachen. Seine Handflächen schwitzen und seine Gedanken wanderten unruhig in seinem Kopf umher. Er ging alle Möglichkeiten durch, wie ihr gemeinsames Leben aussehen könnte. Was sie gemeinsam unternehmen würden. Ihm blieb keine Zeit, um sie an negative Gedanken zu verschwenden. Zu groß war seine Freude.

Die ganze Familie schlief, als sich der zweitälteste Sohn aus seinem Bett erhob und aus dem Haus schlich. Seine Taschen waren nur mit dem Nötigsten gefüllt. Ganz so, wie er es Nazar versprochen hatte.

Sein Pferd war ein Arbeitstier. Für das Umpflügen harter Ackerböden und zum Ziehen der Kutsche gedacht, nicht zum Reiten. Die Familie teilte sich einen Sattel. Und damit besaßen sie bereits mehr, als manch anderer aus ihrem Dorf. Dieser Sattel war jedoch nicht für lange Ausritte geeignet. Seit seinen Kindheitstagen an war Misha gewohnt ohne Sattel zu reiten. Unbeachtet ließ er den Sattel zurück. Bereits das Pferd zu nehmen fiel ihm schwer. Doch Wasilisa war seine Gefährtin und er brachte es nicht übers Herz sie zurückzulassen.

Leise zog er sie an den Zügeln aus dem Stall in die Dunkelheit der Nacht. Sobald Misha außer Hörweite der Hütte war, sprang er auf den Rücken des Kolosses und galoppierte davon.

Die Könige des Waldes heulten ihr Lied und machten Wasilisa nervös. Auch Misha ergriff die Angst, obwohl er wusste, dass die Wölfe Menschen nicht angriffen, trotz der gemeinen Dinge, die man ihnen nachsagte. Misha glaubte nicht an den bösen, grauen Wolf. Doch nicht nur die Wölfe herrschten über den Wald.

Seine Stute schnaufte und bäumte sich auf, als funkelnde Augen im dichten Gebüsch auftauchten. Hungrige, rote Augen. Und wenn es gar keine Wölfe waren?

„Ruhig! Ruhig!"

Ängstlich tänzelte das Pferd auf einer Stelle, dann galoppierte es wieder los. Diesmal schneller. Obwohl Misha mit aller Kraft an den Zügeln zog, gehorchte Wasilisa ihm nicht. Sie trieb ihn vorwärts, mitten durchs Geäst. Peitschend schlugen die Äste in Mishas Gesicht, rissen an seiner Kleidung, zogen an seinem blonden Haar.

Eine Lichtung tat sich vor ihnen auf. Ein kleiner Fleck, den Sonne und Mond besser erreichten, als den Rest des Waldes. Etwas glänzte am Boden. Reflektierte den Schein des fahlen Mondes.

Abrupt blieb Wasilisa stehen und Misha wäre fast über den Hals des Pferdes nach vorn gefallen, hätte sie sich nicht gleich mit schreckenslautem Wiehern aufgebäumt. Mischa purzelte über ihren Rücken nach hinten und fiel auf den weichen Boden, der dick mit Moos und Blättern bedeckt war.

Unschlüssig trabte Wasilisa einige Schritte von der Lichtung weg, anschließend blieb sie stehen. Da erkannte Misha, was es war, das so geglänzt hatte. Ein Reh. Aber kein Einfaches. Es war das goldene Reh, worüber so viele Märchen erzählt, so viele Legenden niedergeschrieben worden waren. Worüber die Dorfbewohner redeten und träumten. Das goldene Rehe, auf das alle hofften, es aber niemand je erblickt hatte. Es sollte dem Königreich Reichtum und Glück bringen, sofern die Soldaten des Königs es zu fangen vermochten.

Zögerlich trat Misha näher an das Tier. Als der junge Mann in die Hocke ging und seine Hand danach ausstreckte, fing es plötzlich an zu sprechen.

„Tue mir nichts, Mensch."

Misha zog seine Hand zurück und schüttelte den Kopf.

„Ich tue dir nichts. Habe keine Angst. Was fehlt dir?"

„Ich leide, doch kann ich nicht sterben."

Mit klopfendem Herzen berührte Misha vorsichtig einen der Pfeile, der in der Brust des Tieres steckte. Er schluckte schwer. Das arme Tier. Es hieß, dass es vor der Krönung gejagt werden sollte, doch die Jäger waren ohne Beute zurückgekehrt, was nicht bedeutete, dass sie aufgegeben hatten.

Misha und das goldene RehWhere stories live. Discover now