Chapter 01

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„Der König ist tot! Der König ist tot!"

Ein Junge vom Hofe des Königs rannte über den Markt und schrie die Worte hysterisch heraus, als würde dadurch das ganze Dorf Elend ereilen. Bereits vor dem Tod des Königs hatten die Bewohner von Sajukowo Leid erfahren. Dennoch hielt sich der Hunger mit dem alten König im Rahmen des Erträglichen.

Was würde nun passieren, da der König tot war? Das wusste niemand. Er war ein guter König gewesen, obwohl auch er nichts gegen die harten, kalten Winter und die heißen Sommer hatte unternehmen können, sodass seine Bauern seit langem hungerten.

Im Laufe der Zeit war das Königreich trotz der Mühen seines Herrschers ärmer und ärmer geworden. Durch dessen Tod würde es sich nie wieder erholen. Auch die Krönung des Prinzen würde daran nichts ändern. Vor allem weil die Fußstapfen, in die der Prinz treten musste, ziemlich groß waren.

Mitten in der Bewegung innehaltend sah Misha dem Jungen hinterher. Der Tod des Königs bedeutete eine große Veränderung. Schnell warf der Bauernjunge seine Arbeit hin, ergriff die Zügel seines Pferdes und hievte sich mit einer geübten Bewegung auf den Kaltblüter.

„Wasilisa, los mein Mädchen", trieb er das Pferd an.

Donnernd schallten die Hufschläge, gefolgt von einem lauten Wiehern in seinen Ohren. Es ließ sein Herz aus dem Rhythmus kommen.

Seit seiner Geburt hatte Misha ein hartes Leben. Von Jahr zu Jahr wurde es immer unerträglicher. Es gab wenig Nahrung. Hunger und Krankheit raubten den Menschen die letzte Lebensfreude. Nun würde nichts mehr so sein, wie früher. Für Misha ging etwas zu Ende. Durch die Krönung des Prinzen verlor er einen Teil seiner Selbst, das wusste er.

Atemlos erreichte er ihren geheimen Platz. Vor neugierigen Blicken verborgen im Dickicht des Waldes. Misha suchte nach dem vertrauten Gesicht, welches er in vielen Nächten geküsst hatte. Er wollte es aus seinem Mund hören. Er brauchte Gewissheit. Vorher würde er es nicht glauben. Doch niemand kam. Die Bäume rauschten im Wind. Klagten über etwas, das Misha nicht verstand. Ein Sturm zog auf.

Kraftlos ging Misha in die Knie. Sein schönes, blondes Haar bedeckte sein Gesicht. Gemeinsam mit den ersten Regentropfen fielen bittere Tränen zu Boden und befeuchteten die trockene, raue Erde. Es waren nicht seine ersten Tränen, aber gewiss auch nicht seine letzten.

Misha und das goldene RehWhere stories live. Discover now