An diesem Montag beschloss ich, so spät wie nur möglich, in den Stall zu fahren, denn ich wollte niemanden um mich haben. Deshalb schrieb ich Stephan, dass ich es heute nicht, in den Stall schaffte und er beide reiten konnte. Ich wusste, es war gelogen, aber ich wollte sicher gehen, dass er auch wirklich nicht da war. Leider ging mein Plan überhaupt nicht auf, oder eher gesagt, Stephan hatte die gleiche Idee.
"Was machst du denn hier?", fragte er mich erstaunt, als ich den Putzplatz betrat.
"Ganz ohne meine Pferde geht es eben doch nicht." Ich schenkte ihm ein kurzes Lächeln, holte ein Lederhalfter aus der Sattelkammer und ging zu Feli. Ein kleiner Spaziergang schadete uns beiden nicht.
Ohne zu fragen, ob es mich vielleicht störte, schloss sich Stephan unserem Spaziergang an. Immerhin schwieg er, tätschelte nur ab und an Felis Hals. Meine Gedanken rasten. Den ganzen Tag schon hatte Quirin mir geschrieben, jetzt war ich alleine mit Stephan. Dinge die eigentlich nicht so sein sollten. Nelly meinte, ich sollte auf keinen Fall Quirin schreiben. Bestimmt hatte sie recht. Allerdings sollte ich genau so wenig hier alleine mit Stephan sein.
Wir waren auf einer großen Wiese stehen geblieben, damit Feli grasen konnte. Ich sah zu Stephan, dessen Blick bereits auf mir ruhte. Sofort spürte ich, wie mir Röte ins Gesicht stieg, dennoch konnte ich nicht wegsehen. Er lächelte und machte einen Schritt auf mich zu und noch einen und noch einen, bis er ganz nah vor mir stand. Mein Herz machte einen kleinen Salto, wer brauchte schon Quirin, wenn es Stephan gab? Langsam strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht. In Filmen ist das doch immer der Moment vor dem Kuss, oder? Tja, wir waren hier aber nicht im Film und vor mir stand auch kein Ryan Gossling. Stephan nahm seine Hand aus meinem Gesicht, damit er wieder einen Schritt zurückgehen konnte. Was sollte das?
"Ich äh, tut mir leid.. äh, ich wollte dir nicht zu nahe treten.", entschuldigte er sich hastig. Oh nein, ich hatte ihm ja gesagt nicht mehr Körperkontakt als nötig.
"Schon gut, ich verzeihe dir nochmal." Schüchtern lächelte ich ihn an. Aber nur wenn du mich jetzt küsst, fügte ich in Gedanken hinzu.
"Du hast eben so unglücklich ausgesehen, ist alles gut bei dir?", lenkte er von sich ab.
"Äh.. ja klar, was soll schon sein?" Meine Stimme ging schlagartig zehn Oktaven nach oben. Da er einer der Gründe war, konnte ich ihm kaum die Wahrheit sagen.
"Ist es wegen Quirin?", harkte er nach.
"Unter anderem." Ich senkte meinen Kopf, da ich ihn nicht ansehen wollte.
"Ich weiß, das willst du bestimmt nicht hören, aber du solltest ihn so schnell wie möglich vergessen.", sagte er vorsichtig. Keine Frage, er hatte recht mit seiner Aussage, dennoch verletzte es mich ein bisschen. Er durfte mit anderen flirten und ich sollte mich von Quirin fernhalten? Das war nicht fair.
"Ich weiß, das willst du bestimmt nicht hören, aber du solltest aufhören so viel mit Marie zu flirten, wenn das hier nicht aufliegen soll.", äffte ich ihn mit der gleichen Stimme nach. Er lachte auf, "ich kann das Ganze auch offiziell beenden und mit Marie zusammen sein, die liebt mich nämlich wirklich."
Da ich nicht weit von Feli wegstand, machte ich einen Schritt auf ihn zu und vergrub mein Gesicht in seinem Fell. Ich wollte nicht, dass Stephan meine Enttäuschung sah.
"Mach doch was du willst.", murmelte ich trotzig. Auch wenn ich diejenige war, die in jeder Hinsicht den Kürzeren zog, wenn Stephan mich verließ. Cutie ging so gut, wie selten, ich war drauf und dran mich in ihn zu verlieben und Marie müsste ich auch kündigen. Anstatt mir zu antworten, hörte ich, wie er tief Luft holte, kurz ansetzte, etwas zu sagen, um nur wieder auszuatmen. Minuten verstrichen, in denen keiner von uns beiden ein Wort sagte. Meine Gedanken flogen wieder zu Quirin. Ich sollte uns beiden noch eine Chance geben. Immerhin schrieben wir wieder regelmäßig. Denn ob Stephan jemals mehr in mir sehen würde, als eine gute Bekannte, war fraglich. Nein, ich war mir ziemlich sicher, dass er sich mittlerweile ärgerte, eine offizielle vorgetäuschte Beziehung mit mir zu führen. Jetzt, da er wusste, was Marie für ihn empfand.
Irgendwie hatte ich es geschafft die Woche zu überleben. Also würde ich es auch schaffen den heutigen Tag zu überleben. Was hatte sich Nelly eigentlich dabei gedacht? Und was hatte Stephan sich dabei gedacht zuzustimmen? Es gab für mich einfach keine logische Erklärung. Seufzend zog ich mein Kleid wieder aus, um doch in eine Jeans zu schlüpfen. In zehn Minuten wollte Stephan mich abholen. Noch könnte ich absagen, unter dem Vorwand Kopfschmerzen zu haben. Nelly würde mich dafür umbringen, das war der einzige Grund, nicht abzusagen.
Wie immer klingelte Stephan. Da ich bereits vor der Türe stand, öffnete ich sie ihm. Ich hatte die Türe noch nicht ganz geöffnet, da stürmte er herein, nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich. Wie beim letzten Mal war ich so überrascht, dass ich nicht wusste, was ich machen sollte. Zumal ich hörte, wie meine Mutter angelaufen kam. Da konnte ich ihn kaum von mir wegschieben. Und war es nicht das, was ich die ganze Zeit wollte, ihn küssen? Als mich sein zarter männlicher Duft umhüllte, war es sowieso um mich geschehen. Mit einem kleinen Seufzer erwiderte ich seinen Kuss, der meinen Puls schlagartig beschleunigen ließ. Er war mir so nah, dass ich befürchtete, er spürte meinen viel zu schnellen Herzschlag. Ich vergaß alles um mich herum, warum wollten wir noch einmal ins Kino gehen? Der direkte Weg in mein Zimmer wäre doch viel angebrachter gewesen, oder?
Das Quieken meiner Mutter holte mich zurück in die Realität. Langsam taumelte ich ein paar Tritte zurück. Zum Glück griff Stephan nach meiner Hand, sonst wäre ich wahrscheinlich rückwärts über den Regenschirmhalter gestolpert. Gerade so bekam ich noch mit, wie Mama sich kurz mit ihm unterhielt und uns einen schönen Abend wünschte. Erst als ich in seinem Golf saß wurde mir bewusst, was er da eben getan hatte.
"Was sollte das?", fragte ich scharf.
"Menschen, die in eine Beziehung sind küssen sich, Mila.", antwortete er mir, während er den Motor startete.
"Wirklich? Das ist mir aber neu."
"Außerdem ist küssen gut für das Immunsystem.", fügte er noch hinzu. Für ihn war das alles nur Spaß. Eigentlich sollte es das für mich auch sein, doch stattdessen tanzten meine Hormone mal wieder Karneval.
Wir fuhren gut 20 Minuten bis zu dem Kinoparkplatz, in denen jeder, seinen Gedanken nachhing. So machte es die Fahrt unerträglich lange. Als Stephan endlich sein Auto parkte sprang ich heraus, knallte die Türe hinter mir zu und lief schnurstracks zum Eingang. Dort hatten wir ausgemacht uns zu treffen. Jap, ich hätte definitiv daheim bleiben sollen. Neben Nelly und Francis standen Quirin und Marie. Nun ärgerte ich mich, vorausgelaufen zu sein. Kurz nach mir kam Stephan an, der erfreut war, Marie zu sehen. Nachdem Nelly uns Francis vorstellte, gingen wir in das Foyer des Kinos. Während die anderen die Karten und Popcorn kauften, hielt ich mich mit Nelly etwas abseits.
"Was soll das? Was machen die beiden hier?", fragte ich Nelly, doch die zuckte nur mit den Schultern, "das kann ich dir leider nicht sagen, sie standen einfach hier. Zufall, denke ich." Zufall, dass ich nicht lachte. Marie überließ nichts dem Zufall, einer der Gründe, weshalb ich sie überhaupt eingestellt hatte.
Wir hatten uns auf eine romantische Komödie geeinigt. Lustlos schlenderte ich hinter den anderen her. Ein großer Fehler wie sich herausstellte, denn nun saß ich zwischen Quirin und Francis. An sich nichts Schlimmes, doch es machte mich rasend, dass Marie neben Stephan saß. Immer wieder rief ich mir in Erinnerung, dass meine Beziehung zu Stephan nur gespielt war. Trotzdem ertappte ich mich, wie ich alle paar Minuten zu ihm sah. Als es dunkel genug war und Marie sich sicher fühlte, sah ich, wie sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte. Morgen durfte sie den LKW auf Hochglanz putzen, da konnte sie sich sicher sein. Ich war so auf die beiden fixiert, dass ich weder etwas vom Film mitbekam, noch wie Quirin ebenfalls seine Hand auf meinen Oberschenkel legte.
"Du sollst dich auf den Film konzentrieren.", raunte er mir zu, während er anfing mit seinem Daumen hin und her zu streichen. Ich legte meine Hand auf seine. Genau wie Früher. So hatte alles angefangen, geheimes Händchen halten unter dem Tisch, kleine Küsse zwischen den LKWs auf den Turnieren, wenn wir sicher waren, dass uns keiner sah. Wir waren glücklich. Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung, da er noch zu mir gebeugt war, wäre es ein Leichtes gewesen ihm einen dieser kleinen Küsse zu geben. Obwohl der Kinosaal nur spärlich beleuchtet war, konnte ich seine Lippen genau erkennen. Schnell wand ich meinen Blick wieder ab und versuchte mich auf die restlichen Minuten des Filmes zu konzentrieren. Es gelang mir nur mäßig.
Gerade, als der Film am Ende angelangt war, fing mein Handy das Vibrieren an. Ich zog es aus meiner Hosentasche und sah, dass es die Nummer des Stallbesitzers war. Da es bereits nach halb zehn war, konnte es nichts Gutes bedeuten. Wenn es etwas zu besprechen gab, meldete er sich meist morgens. Und ich sollte recht behalten, Cutie hatte eine Kolik. Der Tierarzt sei schon auf dem Weg. Ich bedankte mich und legte auf.
"Einer von euch muss mich in den Stall fahren.", sagte ich ernst, "Cutie kolikt."
"Das mache ich.", sagten Stephan und Quirin gleichzeitig. Die beiden Jungs sahen sich angespannt an.
"Meine Freundin, mein Pferd. Ich fahre.", knurrte Stephan.
"Kleiner Tipp, kümmere dich besser um sie, sonst ist sie bald weg.", erwiderte Quirin gelassen. Stephan wollte gerade noch etwas dazu sagen, doch ich fiel ihm ins Wort: "Das können wir später diskutieren, wir sollten jetzt schleunigst los." Stephan warf Quirin noch einen hasserfüllten Blick zu, nahm meine Hand und zog mich mit sich zu seinem Auto.
KAMU SEDANG MEMBACA
Springreiter küsst man nicht
Fiksi RemajaMila hat eigentlich alles was man zum Leben braucht, tolle Eltern, ein Studium, welches ihr Spaß macht und drei wunderbare Pferde. Doch etwas fehlt ihr, ein Freund. Für sie nichts wichtiges, doch in den Augen ihrer Mutter ein absolutes Muss. Eines N...
