Kapitel 2

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Es war mittlerweile fast eine Woche vergangen, seitdem ich Azaiah getroffen habe.
Doch auch,  wenn ich nur so auf ihn wartete, konnte ich verstehen, warum er mich warten ließ.  Er wollte mir möglichst viel Zeit geben um mir meine Entscheidungen gründlich zu überlegen und mich mit meinen Eltern zu beschäftigen. 

Für mich stand eigentlich schon fest, was ich machen würde,  wenn er auftauchte. 
Doch würde ich mich wirklich trauen zu ihm zu gehen oder würde ich an ihm vorbei gehen?

„Miss Davis“, holte mich eine viel zu hohe Stimme aus den Gedanken und ließ mich zu der Frau aufgucken,  die nun vor mir stand. „Was gedenken Sie da zu machen?“

Die Frau, Mrs.  Talbot, nahm mir den Collegeblock weg, in dem ich nur kurz zuvor mit einem Bleistift rumgekritzelt hatte.
Ich seufzte, was von meiner Lehrerin nicht unbemerkt blieb.
„Was haben Sie denn?“, fragte sie giftig. „Sind Sie vielleicht unterfordert?“
Diese Worte blieben von dem Kurs nicht unbemerkt,  denn alle kicherten.  Bis auf Sara. 

Sie machte sich seit letzter Woche ziemlich Sorgen um mich und wich mir kaum noch von der Seite.  Das konnte manchmal ziemlich nerven,  da sie wirklich überall mitging. 

Sara räusperte sich. 
„Mrs. Talbot,  wenn ich mal anmerken darf“, sagte sie vorsichtig. „Ich glaube Skye geht es momentan nicht so gut.“
„Mir ist es egal,  wie es Miss Davis geht und jetzt kümmern Sie sich bitte um Ihren eigenen Kram“, sagte sie streng. „Ach und Sie Miss Davis passen bitte ab jetzt auf.  Nächstes mal können Sie Ihre Sachen packen und sich beim Rektor melden.“

Es wunderte mich nicht, wie meine Englischlehrerin mit mir umging.  Sie konnte mich noch nie leiden und würde es wahrscheinlich auch nie tun.
Doch das basierte auf Gegenseitigkeit. 

Nachdem ich mich durch diese Stunde gequält hatte,  klingelte es auch schon zum Unterrichtschluss. 

Auf dem Weg nach Hause steckte ich mir meine Kopfhörer im die Ohren und schaltete das Lied Dancing on my own in der Version von Calum Scott an. 
Momentan liebte ich es einfach und hörte es rauf und runter.

Nach mehreren Minuten kam ich endlich bei unserem Haus an und schloss die Tür auf.
Kaum hatte ich einen Fuß in unser Haus gesetzt,  schlug mich der Geruch von Mums Heidelbeer-Sahne Kuchen entgegen. 

„Ich bin wieder da!“, rief ich,  als ich die Tür hinter mir zu machte, meine Schuhe auszog und meine Jacke auf unserem Jackenständer aufhängte. 
„Hallo, Süße“, sagte Mum,  die in dem Moment aus der Küche kam und mich mit einer Umarmung in den Kuchenduft einhüllte.
„Du hast Kuchen gebacken?“, fragte ich, doch es war eher eine Feststellung. 
„Ja,  Maggie war vorhin da“, sagte meine Mum und auf ihrem Runden Gesicht erschien ein sanftes Lächeln. „Sie fragt mich schon seit Monaten nach dem Rezept,  deswegen haben wir ihn gleich gebacken.“

Maggie war schon seit Mums Schulzeit ihre beste Freundin und wurde wenige Monate nach meiner Geburt,  zu meiner Patentante. 

„Soll ich dir eine Pizza in den Ofen schieben?“, fragte mich meine Mum und holte mich damit aus meinen Gedanken. 
„Ja,  gerne“, sagte ich und sah in ihre hellbraunen Augen. 

Was mein Aussehen anging,  kam ich vollkommen nach meinem Dad. Einzig und allein meine blonden Haare hatte ich von meiner Mum. 

Während Mum wieder in die Küche ging,  setzte ich mich an unseren Esstisch und schaltete den PC an,  den Dad am Abend hier stehen lassen hatte.
Dann öffnete ich das Internet und ging auf Google. 

Das Schuljahr, würde mein letztes werden,  doch auch,  wenn es grade erst begonnen hatte,  musste ich mich schon bei verschiedenen Universitäten bewerben. 
Dies wäre viel einfacher, wenn ich wüsste,  was ich später werden wollte,  denn das wusste ich noch nicht.

Letztendlich hatte ich ein paar Universitäten,  für die ich mich bewerben wollten.

Ein paar Minuten, nachdem meine Pizza fertig war, kam mein Dad wieder nach Hause und begrüßte meine Mum mit einem Kuss und mich mit einer Umarmung. 
Er arbeitete als Lehrer an meiner alten Grundschule,  was aber nicht gleich bedeutete,  dass er perfekte Noten von mir erwartete. 
Auch damals hatte er es nicht.
Nicht mal in Mathe und Sport, was die Fächer waren,  die er unterrichtete. 

Damals wusste ich leider noch nicht,  was ich für ein Glück mit ihm als Lehrer hatte. 
Ich wusste einfach nicht, wie ich mit dieser Barriere umgehen sollte,  die er zwischen dem Privatleben und der Schule aufgebaut hatte. 
Jetzt hätte ich gerne wieder als Lehrer,  und zwar nicht,  weil er mein Vater war,  sondern weil er ein unglaublich guter Lehrer war.

„Klappt es mit dem Spieleabend?“, fragte Dad mich,  als er sich zu mir setzte. 
„Klar“, sagte ich und lächelte. 
Wir hatten schon lange keinen Spieleabend mehr gemacht,  aber wenn,  dann machte es immer Spaß. 
Dieses mal war es sogar meine Idee gewesen,  den Spieleabend zu machen,  denn falls ich mit Azaiah gehen sollte und nie zurückkommen würde, dann wollte ich auf jeden Fall noch einen Abend mit meinen Eltern so verbracht, wie wir es heute Abend tun würden.

Und das taten wir auch,  denn nur wenige Stunden später, saßen wir an unserem Esstisch und sagte mit einem grinsen auf dem Gesicht: „Uno!“
Dad starrte mich nur gedankenverloren an. 
„Du wusstest, dass sie in dem Spiel fast noch besser ist,  als in Monopoly“, lachte meine Mum auf Dads Blick hin.
„Ich hole grade etwas neues zu trinken“, sagte ich lächelnd und nahm die leere Colaflasche gleich mit.

„Wir könnten ihr vielleicht alle schlechten Karten raussuchen“, schlug Dad leise vor,  als ich im Richtung Keller ging.
„Dann Gewinn ich trotzdem!“, rief ich ihm noch zu,  bevor ich die Kellertreppe runterging.
Ich stellte die leere Flasche zurück in die Kiste und nahm mir eine volle Flasche aus einer der anderen Kisten.

Ich wollte grade die Treppe hochgehen,  als ich an den kleinen Fenstern eine schnelle Bewegung wahrnahm.

Mein Herz schlug schnell gegen meine Brust,  als ich die kühle Flasche auf den nächsten Tisch stellte und all meinen Mut zusammen nahm.
Ganz vorsichtig bewegt ich mich zu der Kellertür,  die über eine Treppe in unseren Garten führte.

Mit einem leisen Quietschen öffnete ich die Tür und ging mit nackten Füßen die nasse Betontreppe hoch.

„Hallo?“, fragte ich leise in die Nacht,  doch das einzige,  was ich hörte,  war mein Herz,  welches mir schnell gegen die Brust klopfte.
„Wer ist da?“, fragte ich erneut und kam mir automatisch wie in einem schlechten Horrorfilm vor.

Ich hörte leise Schritte von hinten auf mich zu kommen und wollte mich umdrehen,  doch ich konnte nicht.
Und ich wollte auch nicht,  denn das ganze Szenario kam mir zu viel wie ein Horrorfilm vor. 
Und ich hasste Horrorfilme.

Plötzlich berührte mich eine, vom Regen, nasse Hand an der Schulter und ließ mich erschaudern.

„Skye!“, sagte die allmählich vertraute Stimme.
Ich drehte mich um und sah die Person an. Unwillkürlich erschien ein lächeln auf meinen Lippen.

„Azaiah“, erwiderte ich nach einem kurzen Moment der Stille.
„Und?“, fragte er nach einem weiteren Moment der Stille.
„Ich hab mich entschieden“, sagte ich,  während auf meinen Lippen ein sanftes,  aber auch nervöses lächeln ruhte.
„Und?“, fragte er erneut und wirkte schon fast nervöser,  als ich selbst es war.

Ich atmete einmal tief durch, bevor ich ihm in seine dunkelblauen Augen sah.
„Ich komme mit“, sagte ich letztendlich. „Und ich werde versuchen meine beste Freundin zu retten!“

Er seufzte.
„Das ist dein letztes Wort?“, fragte er in der Hoffnung,  ich würde meine Meinung doch noch ändern.
Ich nickte und sah, wie er einmal tief einatmete, bevor er in seiner Jackentasche rumwühlte und eine kleine Schachtel rausholte.

„Was ist das?“, fragte ich und sah ihn neugierig an. 
„Ein Ring“, war seine schlichte Antwort,  als er den dünnen silbernen Ring aus dem Kästchen nahm und och konnte mir ein ‚wow‘ nicht verkneifen. 

Er runzelte die Stirn. 
„Das ist ein modifizierter Lingusring“, erklärte er mir den Ring, doch ich verstand rein gar nichts. 
Dies musste er mir angesehen haben,  denn nur wenige Sekunden später erklärte er mir schnell die Nutzung. 

„Ein Lingusring setzt sich mit deinem Gehirn in Verbindung und übersetzt fast alle Sprachen die es im Universum gibt. Ein modifizierter Ring, wie dieser, übersetzt nicht nur die meisten Sprachen automatisch,  er passt auch deine Kleidung dem Zeitalter und der Situation an“, sagte er.  „Zumindestens meistens.  Meine Uhr hat momentan ein paar Probleme.“

„Okay“, sagte ich und sah den Ring misstrauisch an,  den er mir grade in die Hand gedrückt hat. „Ich verstehe den Großteil zwar nicht,  aber für Tessa!“

Ich schob den Ring vorsichtig und misstrauisch zu gleich auf meinen Finger, doch kaum saß er richtig,  fuhr für eine tausendstel Sekunde ein Stichartiger Schmerz durch meinen Finger,  bis hin zu meinem Kopf und verharrte dort für mehrere Minuten. 

Ich bemerkte erst, dass Azaiah mich besorgt ansah, als der Schmerz vorbei war, als ich ihn ansah. 

„Wieso tat das so weh?“, fragte ich ihn und rieb mir meine Schläfen, wo ich immernoch einen unangenehmen Druck verspürte.

„Der Ring musste sich mit deinem Gehirn verbinden, damit du die ganzen Sprachen verstehst und sprechen kannst“, sagte er und lächelte mich leicht an. 

„Und jetzt?“, fragte ich und sah ihn erwartungsvoll an.
„Wenn du bereit für deine erste Zeitreise bist, nimm meine Hand“, sagte Azaiah nur und sah mich lächelnd an. 

Ich nickte leicht und atmete ein paar mal tief durch,  bevor ich seine Hand ergriff und alles schwarz wurde.

Verlorene Zeit || Chronos 1Where stories live. Discover now