Herr Kaplan

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Ich saß bis vor kurzem noch auf einen der harten Stühlen in der Uni und hatte Mathe. Ich glaube, ihr wisst sofort wie meine Laune während des Kurses war: im Keller war sie. Ich hatte fast gar nicht zugehört und bin ziemlich oft sogar kurz eingenickt. Mathe ist ja sowieso schon so ein Fall für sich, aber da es Stoff war, denn ich besser hätte unterrichten können, als mein Dozent selbst, machte es für mich noch unerträglicher als es schon war. Ich döste vor mich hin und schaute aus dem Fenster auf den Uniplatz. Ich hatte ein riesen Glück, dass ich der Erste war, der diesen Platz direkt am Fenster bekam; das war aber in diesem Semester auch das einzige Glück, was ich hatte. Auf einmal sah ich einen schwarz gekleideten Herrn mit Aktentasche unter seinem linken Arm geklemmt auf das Schulgelende zukommen. Er sieht interessant aus, dachte ich, und betrachtete ihn. Von Näherem erkannte ich, dass er längere Haare hatte, die ihm als Locken bis kurz über den Schultern hingen. Er hatte eine Brille auf und er hatte einen schwarzen Anzug an, mit eng anliegender Hose. Er sah ja so attraktiv aus; was er wohl hier wollte?
Ich zuckte umgehend von einem lauten Knall zusammen und schreckte vom Fenster weg. Herr Oberdoof schaute böse auf mich herab, doch ich erwiderte seinen strafenden Blick nur erschrocken. ,,Immer wieder erwische ich Sie beim Träumen. Da vorne spielt die Musik, Herr Olusola, nicht dort draußen bei Ihren Freunden!" Ein Vogel flog in genau diesem Moment direkt an der Scheibe vorbei und ich hörte meine Kommilitonen leise kichern. ,,Wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie-", es klingelte eher er aussprechen konnte. Alle gingen schnell aus den Raum, einschließlich meiner Wenigkeit. Ich hasste den Typen. Denn warum sonst kam er immer ausgerechnet zu mir? Normaler Weise, und er ist da wirklich die einzige Ausnahme, juckten den Dozenten das gar nicht, wenn man nicht aufpasste, solange man still war. Er hatte definitiv was gegen mich, wahrscheinlich weil ich schlauer war, als er und seine andauernden Fehler, die er machte, korrigierte. Dafür stand ich nicht gut bei ihm da, ebenso wenig auch bei meinen Kommilitonen. Aber das war mir egal, ich brauchte die nicht.
Als ich vor dem Uni-Eingang stand, sah ich, wie bereits viele Studenten gingen, die meisten von ihnen waren wohl bloß für ein paar Seminare hier. Seufzend holte mein Frühstück raus, Volkornbrot mit Senf und Schinken und einmal mit Ei und Käse. Gott, es war mein Lieblingsessen! Als ich den ersten, genüsslichen Bissen nahm, hielt ich Ausschau nach den unbekannten, heißen Mann von eben. Doch er war nirgends mehr zu sehen. Wahrscheinlich ist er schon drinne, dachte ich mir und seufzte. Gerade dann, wo ich einen so gut aussehenden Mann sah, musste mich dieser Idiot von Dozent stören. Noch lange dachte ich über den Mann mit Vollbart nach, bis ich von einigen Studenten, die sich an mir vorbei einen Weg banten, um wieder ins Gebäude zu gelangen, gestört wurde. Ich drehte mich widerwillig um, schmiss die Frischhaltefolie von meinem Brot weg, und schwang meinen Rucksack über eine Schulter, während ich die ersten, stampfenden Schritte ins Schulgebäude setzte. Ich wurde auf den vollgerammelten Gängen, wie sonst auch immer, von allen Seiten gestoßen und fast umgeworfen. Dabei war ich auch noch einer der größten und stärksten, aber anscheinend für alle anderen unsichtbar.
Ich betrat den Hörsaal für mein Seminarbesuch. Es stand mir wieder eine langweilige Vorlesung bevor. Ich seufzte, woran ich mich hustend verschluckte, als mich jemand von hinten stark anrempelte. Langsam reichte es mir. Weiter ließ ich mich nicht hin und her schubsen; ich war zwar schwarz, aber trotzdem doch nicht zu übersehen! ,,Hey, sag mal spinnst du, siehst du mich denn-" Ich drehte mich zu dem Typen um und hielt sofort inne mit meiner Standpauke. Ich starrte mit aufgerissenen Augen in zwei grüne andere. Ich sah aus dem Augenwinkel heraus, dass er ganz schwarz gekleidet war, und nun keine offenen, sondern zu einem kleinen Zopf gebundene Haare hatte. Er war es. Mein Herz pochte sofort schneller gegen meine Brust und mein Atem stockte. ,,Oh, es tut mir leid, Mister. Ich habe Sie nicht gesehen, ich war in Eile." Ein Lächeln bestückte seine Lippen, und er streckte mir höflich seine rechte Hand aus. ,,Kaplan, Ihr neuer Dozent", sagte er, und es gefroren mir die Adern samt Blut darin. Seine Stimme war unheimlich tief, wie ich sie noch nie in meinem Leben gehört habe. So sanft, voller Bass und einfach passend zu seiner Gestalt. Ich nahm vorerst zögernd seine Hand an, und er schüttelte sie freundlich, aber mit einem festen Händedruck. ,,Olusola. I-Ihr Zuhörer" Bitte was redete ich da zum Teufel? Sein Zuhörer? Ich machte mich steif, und starrte weiter unbemerkt in sein makelloses Gesicht. Zum Glück kann ich nicht rot werden, sonst hätte er mir meine Verlegenheit angemerkt und das wollte ich unter keinen Umständen. Er schmunzelte mich an, was mich schwach werden ließ. Sein Schmunzeln war so himmlisch, und er sah mich so an, wie noch nie einer zuvor. ,,Okey, Olusola. Setzen Sie sich doch, es geht gleich los." Er ließ meine Hand los, und ging mit einem letzten, zauberhaften Lächeln zu seinem Tisch vor der großen Tafel. Ich schluckte schwer meinen Kloß im Hals runter. So nah war er noch viel heißer, als ich je gedacht hätte. Doch er hatte sicher eine Frau. Es war schwer, mich als schwuler Schwarzer durchzuschlagen und ich hatte bisher noch keine feste Beziehung.
Leise vor mich her nuschelnd setzte ich mich auf einen Platz, der zum Glück noch frei war. Ich saß in der zweiten Reihe und packte meinen Block und Bleistift aus. Ein paar restliche Studenten kamen reingetapst und ehe die letzten saßen, fing Kaplan an zu reden. Ich sah erneut stocksteif zu ihm vor. Mir war egal, was er sagte. Ich wollte auch nicht wissen, was für langweiligen Kram er von sich gab. Ich gab mich komplett nur seiner engelsgleichen Stimme hin. Er stellte sich als vor uns als Herr Kaplan vor, dass er neunundzwanzig Jahre alt war und unser neuer Dozent war. Bis auf das Alter alles das, was ich zuvor schon wusste. Über eine ganze Stunde hinweg redete er ununterbrochen, und mein Blatt war komplett leer. Ich zuckte zusammen, als es lauter um mich herum wurde. Alle standen auf, und packten ihre Sachen zusammen, um dann den Raum zu verlassen. Ich machte es ihnen gleich. Ich war leicht enttäuscht, dass ich Herr Kaplan nicht weiter sehen konnte. Erst nächste Woche hatte ich den nächsten Kurs. Ich seufzte, schwang meinen Rucksack über meine Schulter, und stieg die paar, Treppen hinunter. In dem Geplauder der vielen Studenten um mich herum, hörte ich auf einmal eine tiefe Stimme meinen Namen sagen. Ich erkannte sie unter vielen sofort und ich blieb augenblicklich stehen. Ich drehte mich zu dem Klang um, woher es kam und Herr Kaplan stand einige Meter vor mir. Er lächelte mich wieder mit einem warmen Blick an. Etwas unsicher ging ich auf ihn zu, und wartete aufgeregt ab, was nun passierte. Ich fragte mich, was er mit mir zu besprechen hatte. Ich hatte keineswegs den Unterricht gestört, oder bin auf irgendeiner Weise aufgefallen; oder etwa doch? Mein Herz schlug mir bis zu den Ohren und meine Hände zitterten. ,,Ja, Herr Kaplan?", fragte ich leise, und sah ihm in die Augen. Mittlerweile waren alle Studenten draußen und wir waren nun allein. ,,Sie haben sich nicht einmal gemeldet, wenn ich Fragen gestellt habe." Ich seufzte leise und nickte. Ich war zu sehr damit beschäftigt, über ihn nachzudenken. Was seine Hobbys waren, was er gerne isst, was seine Lieblingsorte sind oder ob er schwul ist. ,,Warum? Was war mit Ihnen los?", fragte er interessiert und betrachtete meine Mimik genauestens. Ich konnte ihm darauf nicht antworten. Ich wusste nicht, wie ich ihm erklären sollte, dass ich ihn anstarrte und alles andere um mich herum ausblendete. Mein Mund bewegte sich keinen Milimeter und ich sah ihn mich schämend an. Kaplan grinste mich seltsam sanft an. ,,Ich verstehe, Olusola. Vielleicht erklären Sie es mir ja bei einem Kaffeetrinken", raunte er mit einer bassvollen Stimme und übergab mir einen kleinen Zettel, auf dem eine Nummer geschrieben stand.
Es war seine Nummer.

Der Neue Dozent. -AvinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt