12. Kapitel

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Tjelvar saß vor der Burg und hob sein Gesicht zur Sonne, die zwar schien, aber an Kraft verloren hatte. Wieder war es Herbst und seit Adeens Zusammenbruch waren drei Wochen vergangen. Zwei Wochen lang hatte er um ihr Leben gekämpft und er hatte gewonnen.
Immer wieder hatte sie einen Zusammenbruch erlitten. Sie hatte nach Luft geschnappt und mehr als einmal waren er oder Runar mit ihr in den Armen in die Schwitzhütte gerannt. Doch seit einer Woche war sie soweit stabil, dass sie auch alleine aufstehen und einige Schritte alleine gehen konnte.
Natürlich hatte Fionnghula nichts davon wissen wollen, dass sie ihre Tochter alleine in den Händen der Wikinger lassen sollte. Tjelvar wusste, dass sie es nur akzeptierte, dass Runar und Adeen sich liebten und Adeen mit seinem Freund in den Norden segeln wollte. Es würde Runar noch viel Überzeugungsarbeit kosten, bis er Adeen endlich zur Frau nehmen konnte.

Er bekam irgendwie keine Ruhe.

Tjelvar war einfach nur erschöpft.
Er hatte in den drei Wochen kaum ein Auge zugetan. Immer wieder hatte er um Adeens Leben gekämpft, bis Kierra ein Machtwort gesprochen hatte und ihn für wenigstens ein paar Stunden zum Schlafen geschickt hat. Doch kaum hatte er geschlafen, hatten andere Patienten nach seiner Aufmerksamkeit verlangt.
Clodagh hatte zwar versucht, ihm Arbeit ab zu nehmen, aber er war noch jung und die Leute vertrauten ihm noch nicht so wie Tjelvar.
Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen.
Nur ein paar Minuten!
Mehr wollte er nicht.
„Heiler?"
VERFLUCHT!
Er öffnete ein Auge und sah die Frau an, die ihm völlig unbekannt war.
„Ja?"
Sie druckste etwas herum, aber Tjelvar klopfte auf die Stufe und sie setzte sich endlich.
„Ich weiß, ihr benötigt Ruhe. Aber ich kann nicht mehr länger warten."
Tjelvar seufzte. Niemand konnte warten. Alle wollten immer sofort behandelt werden. Er fragte sich, ob seine Mutter auch diese Probleme hatte. Er schwor sich, wenn er wieder nach Hause kam, würde er sie unterstützen und sie nicht monatelang alleine lassen. Wenn er schon so erschöpft war, wie erging es dann seiner Mutter?

Seufzend stand er auf.

„Dann lass uns in meine Räume gehen, Mädchen. Welches Leiden hast du?"
Sie hob eine Augenbraue, dann fing sie an zu lachen.
„Ich bin kerngesund, Heiler. Es geht um Cormac!"
Tjelvars Kopf ruckte nach oben.
„Was ist mit ihm? Braucht er meine Hilfe?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Das weiß ich noch nicht. Ich habe die Befürchtung, dass der Mönch, der bei uns lebt, Cormac vergiften will."
Sie hob ihn eine kleine Flasche vor die Nase.
„Das bekommt er immer zu trinken und der Mönch bereitet es ihm selbst zu. Er sagt, es wäre zur Stärkung, doch Cormac wird immer müder und kann sich gegen Abend kaum auf den Beinen halten."
Tjelvar wurde hellhörig.
„Immer gegen Abend? Nicht morgens?"
Sie nickte heftig.
„Ich habe etwas von dem Wein abgefüllt, den er bekommt. Ich habe Cormac eingeredet, dass er den Wein nicht mehr trinken darf. Der Wein ist nun zwar schon ein paar Wochen alt, aber vielleicht könnt ihr etwas erkennen!"
Er nahm ihr die Flasche ab und öffnete den Verschluss, dann roch er am Wein.
„Manche Giftpflanzen entfalten erst nach Wochen ihr Aroma. Vorher kann man kaum etwas erkennen."
Doch er roch leider nichts.
Dann nahm er einen Tropfen auf den Finger auf und leckte ihn ab.
Er schnaubte.
„Belladonna! Verdammt, wo hat der Mönch das her?"
Die Frau riss die Augen auf.
„Ich hatte Recht?"
Tjelvar nickte.
„Oh ja. Bei allen Göttern, wenn man zu viel davon nimmt, ist der Tod sicher."
Noch einmal leckte er am Finger.
„Da ist noch ein Kraut, das ich herausschmecke. Aber auch das kommt hier nicht vor. Er muss das Zeug gekauft haben. Will er Cormac umbringen?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Da ich noch nichts von seinem Tod gehört habe, denke ich, er will Cormac nur gefügig machen!"
Tjelvar stand auf und schnaubte.
„Ich muss mit unserem Mönch sprechen. Er weiß bestimmt, was das alles ist. Komm, Mädchen. Wir dürfen keine Zeit verlieren!"



Bruder Anselm rieb sich zufrieden die Hände.
Cormac ging es immer schlechter.
Erst sah es so aus, als ob er ihn auf die Schliche gekommen war. Cormac hatte den Wein nicht mehr angerührt und nur noch Wasser getrunken, das er sich auch selbst aus dem Brunnen geholt hatte. Doch Anselm hatte schnell reagiert und das Essen vergiftet.
Nun lag Cormac in seinem Raum und vegetierte nur noch vor sich hin. Und er konnte sein Werk fortsetzen. Mittlerweile predigte er beinahe jeden Tag von der Kanzel aus gegen Oran.
„Erst starb unser alter Anführer bei einem Krieg, den er nicht gewinnen konnte. Und nun hat eine heimtückische Krankheit unseren jungen Herrn in seinen Klauen. Und wo ist sein Bruder? Der hat sich versteckt! Aber ich sage euch: Oran wird nicht weit weg sein! Er ist mit dem Satan einen Bund eingegangen und will nun dafür sorgen, dass Cormac zu unserem Herrn im Himmel gerufen wird. So wird er der Anführer! Wir müssen das verhindern!"
Die Leute, die zu ihm auf die Kanzel starrten, nickten stumm. Die meisten hatten ihre Augen entsetzt aufgerissen. Die Älteren beteten stumm um die Genesung des Herrn.
Anselm holte weit mit seinen Armen aus, um seine Worte zu unterstreichen.
„Wir müssen Cormac vom Satan befreien und dafür sorgen, dass er sich seines Bruders entledigt. Er ist die Ausgeburt der Hölle und hält uns schon zu lange zum Narren! Betet mit mir, meine Brüder und Schwestern, dass der Herr endlich von dem Dämon ablässt und ihn tötet!"
Nun wurden einzelne Rufe laut.
„Er soll den Dämon töten!"
„Wir suchen ihn und werden ihn gefangen nehmen!"
„Tötet ihn! Tötet ihn!"
Anselm lächelte zufrieden.
Jetzt konnte sich Cormac nicht mehr dagegen wehren. Wenn er wieder klar war, dann würde er erkennen, dass er seinen Bruder töten musste. Und dann wäre er wieder am Zug. Er würde dem Herrn schon klar machen, dass er ohne ihn nicht fähig war ein Volk zu führen.


TjelvarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt