11. Kapitel

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Cormac war müde. Aber er war eigentlich nicht erschöpft. Irgendwie schien es, als ob er nicht mehr schnell genug denken konnte.
Er rieb sich erschöpft die Stirn.
Das Gefühl hatte er schon seit einiger Zeit.
Morgens ging es ihm gut, aber nach dem Mittagsmahl ging es ihm immer schlechter. Die Arbeit am Nachmittag bekam er meistens nicht mehr hin. Er legte sich meist sehr früh ins Bett und schlief wie ein Stein.
Am anderen Morgen musste er dann immer schauen, was der Mönch angerichtet hatte. Und das war nicht wenig. 
Auch seinen Bruder vernachlässigte er immer mehr.
Oran hatte sich immer mehr zurückgezogen und lebte lieber in seiner eigenen kleinen Welt. Die Leute beschimpften ihn hinter Cormacs Rücken. Doch bisher hatte sich noch keiner getraut, es vor Cormac zu tun. Sie wussten alle, dass Cormac seinen Bruder liebte und ihnen nie glauben würde, dass er mit dem Teufel einen Bund eingegangen ist. Dennoch wusste Cormac, dass es Oran nicht leicht hier hatte.
Cormac wankte in sein Gemach und schmiss sich auf sein Bett.
Bei allen Göttern, wenn das nicht bald aufhörte, musste er zu dem Wikinger gehen. Oder er sollte ihn rufen lassen. Das wäre noch besser.
Aber erst musste er sich ausruhen.
Er hatte keine Ahnung, was sein Vater alles getrieben hatte, aber nun war ihm klar, warum er nach Nuallans Reichtum gestrebt hatte. Er hatte Schulden gemacht und nicht nur bei Nuallan, sondern auch bei anderen Clanführern. Und die bestanden nun auf Zahlung.
Cormac war die Bücher durchgegangen, aber er hatte keine Ahnung, warum das Gold fehlte. Es erschien in den Büchern, dann verschwand es auf einmal und war nicht wieder auf zu finden. 
Er drehte sich auf den Rücken und legte seinen Arm auf die Augen.
Immer wieder ging er die Zahlen im Kopf durch, bis er beinahe eingeschlafen war.
Ein leises Klopfen störte die Ruhe.
„Ja?", rief er böse.
Er wollte doch nur seine Ruhe.
„Ich bin es. Darf ich rein kommen?"
Oran! Bei den Göttern, ihn wollte Cormac nicht so an meckern.
„Ja natürlich, kleiner Bruder. Komm rein!"
Die Tür ging auf und Oran kam herein. Cormac sah sofort, dass er geweint hatte. Schnell setzte er sich auf.
„Was ist passiert?"
Oran setzte sich zu ihm ans Bett.
„Sie haben mich wieder geärgert."
Cormac nahm ihn in seine Arme, als er wieder anfing zu weinen.
„Wer?", fragte er.
Oran schnüffelte leise.
„Jeder! Darf ich wieder zu Nuallan? Dort war es nicht schlimm!"
Cormac konnte hier nicht weg. Nicht solange der Mönch sein Unwesen noch trieb. Und er tat es schlimmer als zuvor. Das Dumme war, dass die Leute, seine eigenen Leute, sich von ihm beeinflussen ließen. Das war ein Ärgernis. Cormac wusste, dass sie ihn für zu jung hielten. Aber er versuchte alles, um ihnen zu beweisen, dass er sehr wohl ein guter Anführer werden konnte.
„Ich kann dich nicht begleiten, Oran."
Sein Bruder schnüffelte wieder leise.
„Ich kann alleine reiten. Ich will weg von hier!"
Cormac schüttelte den Kopf. Wenn es schon so weit war, dass sich Oran allein auf dem Weg machen wollte, dann war es wirklich sehr schlimm. Dennoch konnte Cormac es nicht zulassen, dass Oran sich allein auf den Weg machte.
„Das kann ich nicht zulassen. Ich möchte nicht, dass dir irgendetwas geschieht!"
In dem Moment kam eine kleine Gestalt hinter dem Wandvorhang hervor.
„Ich werde ihn begleiten. Ich will auch nicht mehr hier sein!"
Cormac riss die Augen auf.
„Morwenna! Du auch? Warum?"
Sie schüttelte leicht den Kopf und zeigte mit dem Kinn auf Oran. Cormac wusste, was es zu bedeuten hatte. Sie wollte Oran nicht noch mehr aufregen.
Sie kniete sich vor Oran und wischte mit ihren Schürzenzipfel über sein verweintes Gesicht.
„Darf ich mit dir reiten? Oder bin ich dir auch nicht gut genug?"
Oran blinzelte etwas verwirrt, dann schüttelte er den Kopf.
„Du darfst mit! Du bist immer lieb zu mir, Morwenna!"
Sie lächelte leicht.
„Dann lass dir Sachen packen. Wir werden bald aufbrechen!"
Oran stand gleich auf und rannte regelrecht aus Cormacs Zimmer. Die Tür schlug hinter ihm krachend zu.
Morwenna wollte auch gehen, doch Cormac hielt sie an der Hand fest und zog sie zu sich. Er legte ihr den Kopf auf den Bauch und atmete tief ein.
„Warum?"
Sie lachte bitter, strich ihm aber einige Haarsträhnen aus der Stirn.
„Es ist offensichtlich, mein Herr. Du magst mich und dein Volk würde eine solche Verbindung nicht billigen. Das ist ganz einfach. Ich bin die Tochter eines Bauers. Egal, wie ich mich anstelle, ich werde nie genug in den Augen eurer Männer und Frauen sein, mein Herr!"
Cormac schüttelte den Kopf und sah sie ernst an.
„Das hat vorher niemanden interessiert. Warum jetzt?"
Sie schnaubte.
„Der Mönch...er giftet sonntags von der Kanzel herunter und hat auch Erfolg damit. Erst war es nur dein Bruder, Herr. Aber jetzt scheint ihm zu stören, dass du mich für dein Gemach eingeteilt hast. Er billigt es nicht, dass ich offenbar alles mit dir teile. Dass es nicht so ist, davon lässt er sich nicht überzeugen!"
Cormac lachte leise. Er konnte sich schon denken, warum das so war.
„Er ist von der Idee besessen, dass ich Lady Adeen hier her bringe. Aber den Gefallen werde ich ihm nicht tun. Außerdem werde ich mich bestimmt nicht mit einem wütenden Wikinger anlegen, nur weil ich seine Braut hier her bringe, die dann Freiwild für den Mönch ist!"
Morwenna lachte leise. Es klang auch irgendwie befreit.
„Dann...dann habt ihr nicht vor Lady Adeen oder Lady Kierra zur Frau zu nehmen?"
Er schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nein! Wenn das deine Sorge war, kann ich sie dir nehmen. Ich habe mich schon vor langer Zeit entschieden, wen ich haben will. Auch wenn meine Dame mich verlassen will."
Sie atmete heftig, als er aufstand und ihr einen sanften Kuss auf den Mund gab.
„Aber...aber!"
Er legte einen Finger auf ihren Mund.
„Nein. Ich habe mich entschieden und ich werde es auch durchsetzen. Aber im Moment habe ich so viel zu tun und daher ist es mir Recht, wenn du Oran begleitest. Du solltest nicht hier sein, wenn ich es anspreche, denn sonst heißt es, du hättest mich beeinflusst!"
Ein Schwindel erfasste ihn und er musste sich wieder hinsetzen. Leicht fuhr er sich über die Stirn. Morwenna betrachtete ihn besorgt.
„Was ist mit dir?"
Er schüttelte den Kopf, um den verdammten Schwindel los zu werden, aber es nutzte nichts.
„Es war wohl zu viel in der letzten Zeit. Die ganze Arbeit und die Verantwortung. Es kann auch sein, dass ich einfach krank bin!"
Morwenna zwang ihn, sich hin zu legen.
„Ich bin mir nicht so sicher, ob es nur daran liegt! Wenn ihr es zulasst, werde ich mit dem Heiler sprechen!"
Cormac lachte leise.
„Ich denke, Tjelvar wird auch mit dir sprechen wollen. Ich habe ihm von dir erzählt. Frag ihn nach einem Stärkungsmittel oder so etwas in der Art."
Sie nickte und deckte ihn zu.
„Ich lasse dich nicht gerne alleine."
Er zog sie zu sich herunter.
„Das wirst du aber. Ich will, dass du zu Nuallan gehst. Erzähle ihnen, was los ist und frage nach Rat!"
Sie nickte und küsste ihn zaghaft auf die Wange.
„Das werde ich tun. Und dir rate ich...nehme nichts vom Mönch an. Nichts! Hast du mich verstanden?"
Cormac verstand zwar nicht ganz, was sie damit sagen wollte, aber er versprach es.
„Jetzt versuche zu schlafen! Ich werde mich beeilen und bald wieder zurück sein!"
Er nickte, aber war schon beinahe eingeschlafen.


TjelvarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt