Kapitel 2

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Vermutlich war der Anrufer sowieso nur meine Mutter, die mir wie so oft Bescheid sagen wollte, dass sie mal wieder nicht nach Hause kommen wird. Auch wenn sie weiß, dass es mich nicht großartig interessiert, ob sie nun da ist oder nicht, ruft sie jedes mal an, um mir zu sagen das sie Übernacht bei ,,dem Micha''  bleibt.

,,Der Micha'' , mit dem eigentlichen, von mir bevorzugten Namen Michael, ist angeblich der beste Freund meiner Mutter. Zumindest glauben die beiden ich sei so naiv und würde ihnen das freundschaftliche Verhältnis abkaufen. Aber um zu verstehen, dass da mehr ist, braucht es nicht viel an Verstand. Allein deswegen, da meine Mutter mehr Zeit bei ihm verbringt, als zu Hause.

Aber ich kenne es gar nicht anders, bereits als ich noch ganz klein war, habe ich sie selten gesehen. Immer auf der Suche nach der wahren, großen Liebe zu sein fordert vieles an ihrer begrenzten Zeit, wodurch ich dementsprechend stets zu kurz komme. Im Leben muss man halt Opfer bringen.

Zu keiner großen Überraschung ist unser Verhältnis somit recht unterkühlt.

Vor allem ihre Versprechungen, von wegen ,,dieses Mal  wird alles besser  du wirst schon sehen",  gehen mir gewaltig auf den Sack. Jedes mal das selbe Spiel: Erst sind sie nur Bekannte oder Kollegen, dann gute Freunde und zum Schluss wird urplötzlich der geplante Zusammenzug verkündet. Natürlich soll ich bei all dem immer brav mitspielen und den lieben Sohn geben, der sich nichts sehnlicher wünscht, als den neuen ,Papa' willkommen zu heißen.

Um meine Mutter nicht gänzlich als Rabenmutter dastehen zu lassen, muss ich hinzufügen, dass ich kein Wunschkind war.

Sie war gerade einmal 17 als sie auf ihn traf. Er kam kurz nach ihrer ersten Liebe Tom, ist somit die Nummer zwei auf ihrer endlos langen Liste. Sobald sie auf ,,ihn'' angesprochen wird verzieht sie sofort das Gesicht. Nur einziges Mal meinte sie, dass ich ihm ähnlich sehe. Außerdem hat mir meine Tante Mimi einst erzählt, dass er ein Italiener auf der Durchreise war, womit wohl das Meiste erklärt wäre, ich bezweifle, dass er überhaupt weiß, dass ich existiere.

Das er Südländer war, zeigt sich an meinem hellbraunen Teint und den dunklen Haaren, bloß meine Augenfarbe passt nicht ganz ins Bild. Ich habe grüne Augen.

Als ich noch jünger war habe ich mich oft gefragt, warum es in meiner Familie nicht so sein könne wie bei meinen Freunden. Wieso meine Mutter mir kein Pausenbrot schmieren kann oder mein Vater mich nicht mal von der Schule abholt. Warum ich keine Geschenke von meinen Eltern bekomme, noch nicht mal eine Umarmung.

Wäre meine Tante Mimi nicht gewesen, wüsste ich nicht was heute mit mir sei.

Wahrscheinlich wäre ich längst tot. Verhungert oder so.

Erneut muss ich an Emily denken. Was war geschehen? Wieso musste ausgerechnet ihr Name so oft fallen?

Meine Beine fangen an schwer zu werden, ich hatte nicht registriert, dass ich die ganze Zeit starr vor der Telefonstation stehen geblieben war.

Ich gehe zur Treppe und schlurfe langsam die Stufen hinauf.

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