CCC 4

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So am Rand mit dem Blick auf Hamburg. Schön. Auf einmal hörten wir Schritte. Ich wirbelte herum - scheiße, Security, das wars jetzt. A. wandte halb gelangweilt den Kopf. Ich stand schon, sah, wer die Leiter hochkletterte. Security Leute tragen keine pastellfarbenbunten Teddyfleece Hoodies. "Hey, stören wir euch oder habt ihr Bock, zusammen zu erkunden?", fragten die eine Person. "Na klar.", rief ich. A. lächelte und stand auf. Ein bisschen wie ein Meister, der geschwiegen hatte, um seinen Schüler beim Lernen nicht zu stören.

Der Rest war einfach super. Mit einer Leiter, die wir aus einer Halterung an der Wand fädelten, kletterten wir auf eine noch höhere Ebene, die wir die ganze Zeit aus Spass "Dach vom Dach" nannten. Wir wärmten uns oben die Hände an den Lüftungsschächten und lachten überrascht darüber, dass man aus ihnen das Wummern der Technoparty 4 Etagen unter uns hören konnte. Die Welt war so klein und die Musik so stark, dachte ich. Wir kletterten wieder hinab und verstauten die Notfall-Leiter sorgfältig in ihrer Halterung, dann machten wir uns auf den Weg über die Dachlandschaft, um einen Kumpel unserer beiden neuen Freunde zu abzufangen, der auch den Weg auf das Dach gefunden hatte. Einer der beiden telefonierte die ganze Zeit wild mit besagtem Kumpel und wir folgten ihm schweigend, uns wieder unter Metallschächten und -rohren entlang duckend. Es erinnerte mich an stromerndes Erkunden, als Kind, mit Freunden. Wenn viel entdeckt wird, ist Reden nicht mehr nötig. Jeder erspäht die Dinge für sich. Es sind eh zu viele. Hinweisen nützt nichts, und ist es doch wichtig, so wird es eh erblickt.

So wie wir den Kumpel entdeckten. Er war schon ordentlich angetrunken, navigierte sich nicht so natürlich mit uns, wie wir als Gruppe. Doch auch unabhängig davon verlor ich langsam die Geduld, lief viele weitere Wege für mich allein. Das war eine Eigenschaft, die mir später noch mehr als etwas Negatives auffallen sollte. Nur zwischendurch fotografierte ich A., das war die immer wiederkehrende Annäherung.

A. beugte sich über eine Brüstung, vieleviele Meter unter ihm stand in weißer dicker Schrift "LADEZONE" auf dem Asphalt, daneben weitere Schraffierungen, Muster, wie man sie von den Landstraßen und Autobahnen kennt. Daneben bunte Container und Poller und Schranken. Ich weiß nicht, doch ich erkenne in organistorischer Infrastruktur, in Verkehrszeichen, in Ver- und Entsorgungssymbolik immer eine solche Schönheit, die mich irgendwie an Spielen erinnert. Nicht an Game, was es eigentlich ist, sondern an Play. Nicht geplant, sondern frei. Ich weiß nicht, warum ich das denke. Ich weiß nicht, warum ich solche Nicht-Orte so schön finde. Vielleicht, weil ich die Beste im Romantisieren bin. Darum vielleicht.

Dann führten uns unsere neuen Guides zum Höhepunkt des Abends. Eine leere Wasserflasche lag in einem Türspalt, damit dieser nicht zufiel. Wir drückten die Tür auf, die kleine Plastikflasche knisterte kurz erleichtert auf, dann quetschten wir sie wieder ein und stiegen das Treppenhaus hinab. Es war weiß und fensterlos und winzig. Ich lief in tonloser Bereitschaftserklärung hinter dem angetrunkenen Kumpel her und erinnerte ihn, nicht zu trödeln und nicht zu schreien. Als wir das Treppenhaus verließen und uns wieder vorsichtiger durch die leeren Gänge bewegten, sah ich meine Aufgabe als getan und bereit zur Weitergabe an. Jedoch nahm sie niemand so richtig an, und so kam es, dass der Angetrunkene auf einmal beschloss zu rennen. "Pssht.", rief einer seiner Freunde halbherzig. Ich stupste A. an, welcher bereits schmunzelte. "What would adventures be without those stupid friends who cause more trouble than needed?". Nun lachte A., mit geschlossenem Mund, aber in hohen Tönen und mit bebenden Schultern, ich blickte ihn dabei von der Seite an. Er war schön.

Dann waren wir da. Hinter der nächsten Tür unser Ziel: die Scheinwerferbühne vom größten Saal. Wir bewegten uns leise über Gitter und an Geländern. Wir blickten auf die Bühne und die Stuhlreihen 10 Meter unter uns, begutachteten Kabel und Gerüststruktur. Ich fühlte mich ein wenig wie ein Vogel in einem überdimensionierten Nest, mit Aussicht auf eine hügelige Stuhllandschaft. Man musste sich leise und vorsichtig bewegen, die Gitter klirrten, manchmal war da auch einfach mal ein nicht umzäuntes Loch. Plötzlich schaltete der Chaoskumpel das Licht an. Jemand unten aus der großen Halle rief etwas. Wir sammelten ihn routiniert und hastig ein und zogen uns so schnell es ging zurück. Wieder in den Gängen lachten wir, ich warf den Arm um A. und strubbelte ihm über den Buzzcut.

Als wir nach unserem Abenteuer wieder in die noch belebten Etagen nach unten, zu den anderen Leuten gingen, machten wir eine ernste Miene.

Unsere Freunde gingen zu einem Securitymann. Ich verstand es nicht, bemerkte dann, dass sie anscheinend Bekannte waren. Und er sagte: "Ich hab ja gehört man kann aufs Dach?". Ich sah ihn offen begeistert an. Die anderen witzelten. A. verstand nicht, doch er lächelte auch.

Dann trennten wir uns von den drei anderen.

Und ich weiß nicht ob es daran lag, dass wir sonst immer ganz still und entspannt oder komplett in Bewegung gewesen waren und nun, auf der Rolltreppe stehend, uns zum ersten mal bewegten und gleichzeitig nicht bewegten, doch ich lehnte mich, eine Stufe über A. stehend, an ihm an. Es war keine große Sache, doch ich glaube, gerade weil es so unnötig war, und ich an meinem gesamten Bauch die Wärme seiner Schulter und seines Arms spürte, war es irgendwie doch merkwürdig viel wert. Er drehte sich zu mir um, drückte seine Stirn an meinen Hals, dann seine Lippen. Hätte ich danach die Kälte nicht gespürt, hätte ich den Kuss vielleicht nicht einmal identifiziert. Kurz wunderte ich mich, wieso alleine auf dem Dach, oder in einem der engen und stockdunklen Gänge, oder bei einer der Umarmungen nichts passiert war, doch hier auf der Rolltreppe, wo uns theoretisch alle, aber wahrscheinlich am Ende doch niemand sah, warum das hier nun dieser kleine Moment sein sollte. Warum wir uns diesen hier ausgesucht hatten. A. hatte sich wieder weggedreht und ich ließ mein Kinn und meine Lippen und meine Nasenspitze an seinem Kopf ruhen, noch unindentifizierbarer, ich tat es aber ganz automatisch, ich wusste kaum, wieso. Dann war die Rolltreppe zuende.

Ich dachte auch kaum mehr darüber nach. Sein Kumpel holte uns zurück in eine Realität die mich daran erinnerte, dass wir uns ja erst ein paar Stunden kannten. Mittlerweile war es schon nach drei.

Anonymous Analog ClubWhere stories live. Discover now