r e d e n

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Sie steigt in die gleiche Bahn wie vor einer Woche und setzt sich direkt gegenüber von ihm auf den freien Platz.

Er kann seine Freude kaum unterdrücken, am liebsten würde er jetzt laut losschreien, aber das würde vermutlich ziemlich komisch kommen. Also genügt er sich mit einem breiten Lächeln und beginnt sie zu mustern. Sie ist nicht so stark geschminkt wie letzte Woche, das fällt ihm sofort auf. Er muss zugeben, dass sie dadurch noch besser aussieht.

Vorsichtig lukt sie von ihrem Handy hoch und blickt in das Gesicht ihres Gegenübers. Sie kann es kaum fassen. Er ist wieder da. Er sitzt auf dem gleichen Platz wie letzte Woche. Seine hell leuchtenden Augen erinnern sie an das Meer, in dem sie sich noch vor einigen Tagen befand. Nun hat das neue Schuljahr begonnen und bis zu den nächsten Ferien dauert es noch ein paar Wochen.

Er ist immer noch überrascht, dass sie wirklich aufgetaucht ist. Okay, vielleicht kommt sie gerade von der Schule und es handelt sich hierbei bloß um ihre alltägliche Bahnfahrt. Aber letzte Mal hatte sie doch nur eine Handtasche dabei? Vielleicht hat sie einen wöchentlichen Termin, überlegt er. Aber nein, dafür hätte sie sich letzte Woche nicht so schick gemacht.

Auch sie ist am Grübeln, wohin er fährt. Aber sie hebt sich das Denken für später auf, jetzt möchte sie erstmal ohne sich abzulenken seine Anwesenheit genießen.

Die Bahn wird langsamer und hält an der nächsten Station. Er wird erst später aussteigen, versichert sie sich. Eine Station habe ich noch mit ihr, erinnert er sich.

Erneut schweift sein Blick zu ihr und er bemerkt wieder die vielen kleinen Sommersprossen, die ihr Gesicht zieren als wäre es eine Leinwand, als wäre es der Nachthimmel und die Sprossen die Sterne.

Ihr ist inzwischen aufgefallen, dass die Nachrichten ihrer Freunde sie gar nicht interessieren und sie sich nicht mit so etwas Uninteressanten beschäftigen sollte, schließlich kann sie mit ihren Freunden jeden Tag kommunizieren, doch ihn sieht sie nur ein Mal in der Woche für zwei Stationen.

Bevor sie ihr Handy in die Tasche gleiten lässt, bemerkt er ihr Telefon und kann seinen Augen kaum glauben. Er besitzt genau das gleiche Modell, das kurz vor dem Aussterben ist, da mittlerweile Smartphones erhältlich sind, die doppelt so groß und halb so dick sind wie ihres.

Die Ansage für die nächste Station ertönt und sie prägt sich noch ein Mal sein Aussehen ein, damit sie sich die ganze Woche über daran erinnern kann.

Die Bahn hält erneut. Bevor sie aussteigt, schaut sie ihn natürlich nochmal an. In dem Moment treffen sich ihre Blicke.

Die Türen schließen, die Bahn fährt los.

Bis nächste Woche, denkt er. Bitte sei nächstes Mal auch da, denkt sie.

Vielleicht spricht er mich dann an, hofft sie.

Vielleicht reden wir dann miteinander, hofft er.

Vielleicht nächstes MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt