Alma jagt Frau Brook einen Schrecken ein

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Alma beendete die Zeichnung der Orchidee und betrachtete ihr Werk. Es war ihr gelungen, das ganze Blatt auszufüllen. Und jetzt? Frau Brook hatte nicht gesagt, mit welcher Blume sie weitermachen sollte. Wenn sie überhaupt weitermachen sollte. Sie dachte an die Worte über ihren Vorgänger. Was, wenn auch ihre Arbeit die Dame nicht zufrieden stellte?

»Du bist eine Handwerkerin, nicht?«, hatte Frau Brook gesagt.

Ja, das war sie, sie wollte sich nützlich machen, wo sie konnte. Ihre Cousine Minna arbeitete als Dienstmädchen und sagte, man müsse Arbeit sehen, bevor die Hausherrin sie sah. Alma inspizierte die Blumentöpfe. Nirgendwo entdeckte sie ein trockenes Blatt. Frau Brook hielt ihr Gewächshaus sauber und untadelig aufgeräumt. Die leeren Töpfe waren ordentlich in einer Ecke gestapelt, sämtliches Gärtnerwerkzeug hing an den Haken neben der Tür, und auf den Steinplatten fand sich kein einziger Krümel Erde. Alma griff nach einem Unkrautstecher und ging auf die Knie, um aus der Froschperspektive nach etwas zum Herausreißen zu suchen. Die Platten waren einladend warm, aufgeheizt von der Sonne. Alma konnte nicht widerstehen, legte sich hin und streckte sich aus. Ihr wollenes Schultertuch hätte zusammengerollt ein bequemes Kissen ergeben, aber sie löste den Knoten nicht. Niemals nahm sie das Tuch ab, es war ihre Rüstung gegen kriechendes Getier und die tückische feuchte Kälte, die sich in die Lungen stahl und das Feuer der Schwindsucht anfachte. Auch wenn sie beides im Gewächshaus nicht zu fürchten brauchte, würde sie sich ohne das vertraute Kratzen der Wolle im Nacken mulmig fühlen. Ihre Wange berührte den Stein. Unter einer Palme, nah bei ihrer rechten Schulter, stand eine Flasche. Das Etikett war in unbeholfener Handschrift beschrieben und kaum leserlich. Alma streckte den Arm aus und hob den Kopf ein Stück.

»Andendünger«, entzifferte sie.

Frau Brook gab sich wohl nicht mit gewöhnlichem Mist zufrieden. Ihr Dünger musste vom anderen Ende der Welt kommen. Alma sollte das Recht sein. Gewiss hatte die Dame dann auch Geld für eine Hilfsgärtnerin übrig. Alma wollte alles tun, um im Gewächshaus bleiben zu können, diesem wohligen Glaskasten, der den schneidenden Wind, den zermürbenden Regen und den Gestank der Stadt ausschloss. Behutsam stellte sie den Dünger wieder ab. Sie würde gleich etwas davon ins Gießwasser träufeln und den Blumen geben, sie würde ...

Mitten im Gedanken fielen ihr die Augen zu. Müdigkeit hing an vielen Tagen schon mittags an ihr, wie bleierne Gewichte, die ihre Glieder beschwerten. Trotzdem legte sie sich erst nieder, wenn ihr der Schlaf die Füße wegzuziehen drohte. Auf den Lagern, die sie benutzte, mochte man sich nicht herumwälzen, auf denen war man froh, wenn die Erschöpfung einem sofort das Licht löschte. Ein Nickerchen am helllichten Tag war etwas, das sie nicht mehr gemacht hatte, seit sie zu groß für die Kommodenschublade geworden war. Leider währte ihr Ausflug ins Land der Träume nur kurz.

ENDE DER LESEPROBE

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Die Orangerie - LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt