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Noch 435 Kilometer bis Las Vegas

Logan hatte seine Sachen im Truck verstaut, seiner Mutter einen Kuss auf die Wange gedrückt und war auf der Beifahrerseite eingestiegen.

„So, dann lass uns starten!", meinte er aufgeregt, doch alles was ich tun konnte war, nervös auf meine Finger am Lenkrad zu starren. Ich wollte mit keinem Schönling durch das Land fahren, ich wollte einen netten, ruhigen Collegestudenten dabei haben, der mir keine Probleme machte und mir wenn nötig, mit Verstand aus der Patsche half. Ich ging in Gedanken alle Ausreden durch, die mir einfielen. Aber so recht wollte keine über meine Lippen kommen, also drehte ich den Schlüssel im Zündschloss und erweckte unseren fahrbaren Untersatz zum Leben.

„Ja, lass uns starten", gab ich schließlich doch noch zurück.

„Also, wir werden die nächsten neun bis zehn Tage hier gemeinsam verbringen, irgendetwas, das ich wissen sollte? Allergien, Ticks oder gar ein Thema das totgeschwiegen werden muss?", er grinste mich frech an, während er in seiner Tasche etwas zu suchen begann.

Als er eine kleine schwarze Box gefunden hatte, nickte er sich selbst einmal zur Bestätigung zu und verstaute sie wieder. Ich wusste nicht, ob ich seinen Humor sympathisch oder doch eher nervend finden sollte. Mit seinem Aussehen hatte er mich total überrumpelt, was meine Meinung über ihn derartig über den Haufen warf, dass ich ihn nicht mehr objektiv einschätzen konnte. Alles an ihm wirkte plötzlich arrogant. In Gedanken ging ich seine E-Mails noch einmal durch und ärgerte mich über jeden Seitenhieb, den ich vorher als Witz genommen hatte.

„Keine Allergien, von denen ich wüsste. Keine Zwänge, die dich stören könnten und was unsere Gesprächsthemen angeht, können wir uns vorarbeiten."

Gedanklich fügte ich hinzu, dass mir sein Schweigen wesentlich lieber wäre. Mir war klar, dass ich nicht gerade freundlich klang, aber ich war eben immer noch etwas durcheinander.

„Keine, außer deinem chronischen Kontrollzwang, meinst du wohl."

Sein Grinsen gefror auf seinem Gesicht, als er meinen Blick sah. Entschuldigend hob er die Hände und sprach kein Wort mehr.



Die letzten zwei Stunden hatte ich mir das Hirn zermartert, was ich zu Logan sagen konnte. Die Stimmung war eisig, und auch wenn ich vorerst keine tiefgründigen Gespräche führen wollte, war die aufgezwungene Stille schlimmer. Ein Bisschen Smalltalk hätte sicher zu einem besseren Klima im Auto geführt. Er hatte weitestgehend still da gesessen, am Radio gedreht oder mir Anweisungen gegeben. Doch seit wir auf der Interstate unterwegs waren, hatte Letzteres auch aufgehört und der Mash-Up eines unbekannten Radiomoderators hallte durch den Wagen.

„Vegas also, hast du dort was Bestimmtes vor?", fragte er und nahm mir die Bürde des ersten Schrittes ab.

„Ehrlich gesagt, bin ich nie aus Los Angeles rausgekommen und ich wollte Vegas immer schon mal sehen. Warst du schon einmal dort?"

Ich hoffte er würde antworten, auch wenn ich ihn zuvor abgewiesen hatte. Aber Logan hatte weitaus bessere Manieren, wie ich, denn er schien den Vorfall vergessen zu haben.

„Ja, ich war mit ein paar Freunden dort. Ich könnte dein Guide sein, wenn du willst?"

Als ich zu ihm rüber sah, lächelte er freundlich. Er sah so aufrichtig aus, dass ich am liebsten sofort auf eine Führung bestanden hätte. Stattdessen spielte ich wieder die Unberührbare, lächelte kurz und nickte, was die Stimmung im Truck um Welten veränderte.

„Also, bis wir zur Ausfahrt kommen, kann ich dich lotsen, doch danach bräuchten wir dann das Navi, wo hast du es denn?"

„Navi?", frage ich ihn perplex, schließlich hatte ich ihm doch mein Kartensammelsurium geschickt.

„Na, dein Navigationssystem."

„Ich weiß was ein Navi ist, aber ich habe dir doch die Karten geschickt."

Er sah mich unsicher an, blickte dann noch einmal im Auto umher, um mich dann mit großen Augen anzustarren. Damit hätte er locker einer Eule Konkurrenz machen können. Es war zum Schreien. Beinahe hätte ich laut losgelacht, doch ich konnte mich zurückhalten und funkelte ihn deshalb nur amüsiert an.

„Du hast auf eine Reise, die über vier Tausend Kilometer geht, kein Navigationsgerät eingesteckt? Du willst dir ernsthaft mit Karten weiterbehelfen?"

Ich konnte sehen, wie er die Information verarbeitet. Vermutlich hatte er die Frage deshalb so langsam gestellt, weil er an meinem Verstand zweifelte. Doch ich wollte mich auf dieser Reise nicht auf irgendein Gerät verlassen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen mein Handy auszuschalten, doch seit Logan in den Wagen gestiegen war, hatte ich mir das noch einmal gründlich überlegt. Während ich sorgfältig meine Worte abwog, wechselte mein Blick zwischen Logan und der Straße hin und her.

„Ich wollte einen echten Roadtrip", antwortete ich letztlich kleinlaut, was ihn zum Lachen brachte.

„Okay."

Dann suchte er wieder nach etwas in seiner Reisetasche, holte Karten und die kleine schwarze Box hervor. Da ich immer nur kurz zu ihm sehen konnte, erkannte ich nicht, was er tat, bis er es ausgepackt hatte. Die Karte war auf seinem Schoß ausgebreitet, seine linke Hand strich über das wellige Papier, während seine rechte Hand die Brille zurechtruckte, die ich mir während unseres E-Mailkontaktes vorgestellt hatte. Der Anblick des gutaussehenden Logans, mit einer dicken Hornbrille war herrlich amüsant und ließ mein Herz einmal schneller schlagen. Es machte ihn sympathisch und er verwandelte sich nun doch langsam in den Nerd, den ich auf meiner Reise als Begleitung dabei haben wollte.

Frei wie ein VogelWhere stories live. Discover now