Kriegsgebiet

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Die Nachfrage bei meinen Eltern, ob bei ihnen in Deutschland alles okay wäre, erspare ich mir. Nach meinem Wissen hatten sie nicht vor irgendwohin zu fliegen, also wird es ihnen gut gehen. Da die Auflistung an Wetterdaten, Anschlagsorten und Promi News mich langweilt, beobachte ich lieber weiter die feierlichen Zeremonien. Kurz überlege ich, ob ich vielleicht auch noch zum Times Square fahren sollte, wo nachher noch eine Party statt findet. Es ist Freitag und ich habe morgen frei. Sorgfältig wäge ich die Pros und Contras ab, bis ich zu dem Entschluss komme, dass ich gehe.

Schon viel zu lange war ich nicht mehr aus und vielleicht lerne ich ja auch jemanden kennen. So schnell wie möglich gehe ich duschen und mache mich fertig. Doch die Zeit die ich im Bad rausgeholt habe, verschwende ich wieder vor meinem Kleiderschrank. Draußen ist es verdammt kalt und auch wenn ich in eine Bar gehen werde, muss ich noch immer den Weg zur U-Bahn und zurück überleben. Es dauert Ewigkeiten bis ich mich für eine enge schwarze Jeans, eine rosé farbige Bluse und eine schwarze Strickjacke entschieden habe. Wieder schlüpfe ich in ein paar High Heels, diesmal aber schickere, anstelle der, die ich immer zur Arbeit trage.

Den ungeliebten Mantel werfe ich mir auf dem Weg nach unten über. Im Treppenhaus kommen mir die seltsamsten Gestalten entgegen. Einige habe ich schon ein paar mal gesehen, andere müssen neu hier sein. Der eisige Wind fährt mir direkt durch die Kleider, als ich die Tür im Foyer öffne und raus trete. Die nächste Station ist glücklicherweise nah und lange muss ich auch nicht auf meine Bahn warten, da das U-Bahn System in New York fast so gut ist, wie in Berlin.

Ich ergattere noch einen freien zweier Platz. Um diese Uhrzeit ist es um einiges leerer, als zu Stoßzeiten aber trotzdem sind beinahe alle Sitze belegt. Die Fahrzeit vertreibe ich mir wie immer am Handy. Mein Chef hat mir noch ein paar Verträge geschickt, die ich übers Wochenende prüfen soll. Normalerweise würde ich mich direkt an meinen Laptop setzen und dies erledigen, doch heute Abend nehme ich mir nun wirklich einmal frei. Mit einem Ruck kommen wir zum stehen. Verwundert, wie schnell die Zeit verflogen ist, sehe ich auf. Noch immer ist es außerhalb der Bahn stockdunkel. Die gewohnten Lichter eines Bahnhofs fehlen.

Ich sehe mich im Wagen um, andere tun es mir gleich. Blicke treffen sich, kurz und flüchtig. Keiner scheint zu wissen, wo genau wir sind und was das soll. Aus der undeutlichen Durchsage kann ich nicht viel entnehmen, glaube aber etwas von nicht vorgesehene Sperrung verstanden zu haben. Geräuschvoll stoße ich Luft aus, drehe mich etwas zum Gang, um die anderen Fahrgäste beobachten zu können.

Einige beginnen mit ersten Spekulationen, dass die Gleise kaputt sein oder einer sich vor den Zug geschmissen habe. Da diese Diskussionen aber sowieso ins Leere führen werden, wir erfahren schon früh genug was passiert ist, lausche ich ein paar Jungs die sich darüber beschweren, nicht rechtzeitig zur Party zu kommen. Schon interessanter. Aber auch dieses Gespräch dreht sich irgendwann im Kreis und neben Langeweile kommt auch bei mir Frust auf.

Da verlässt man einmal seine Wohnung und dann passiert so etwas. Seit einer geschlagenen halben Stunde sitzen wir hier, unwissend. Lediglich wurde gesagt, dass es noch dauern kann.

Noch zehn weitere Minuten müssen vergehen, bis ein Bahnarbeiter in unserem Abteil erscheint. Der bullige Mann trägt eine orangene Warnweste, in der Hand hält er eine Taschenlampe. Seine tiefe Stimme bringt augenblicklich Ruhe in die aufgeregten Unterhaltungen und erklärt, dass wir zurück zur vorherigen Station laufen müssen, da ein Hindernis die Strecke blockiert. Auch wenn es noch nie so weit gekommen ist, dass ich durch U-Bahn Tunnel laufen musste, lebe ich lang genug in New York um zu wissen, dass damit vermutlich wirklich ein Selbstmörder gemeint ist, der sich rücksichtslos auf die Gleise geschmissen hat.

Ich mein natürlich ist es schrecklich, dass Menschen so etwas tun, doch wieso können sie sich nicht still und heimlich ein paar Tabletten einwerfen, anstatt so viele Leute da mit rein zu ziehen?

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