Der Junge voller Leben

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(kein Gedicht)

Manchmal ist da dieses Drängen in meinem Körper, zwischen den Schultern, an den Fingerspitzen, in der Brust. Ein Treiben wilder Schmetterlinge, ein Schlagen heftiger Wellen. – 17:45

Es war ein Junge, ungleich der anderen. Ein Junge, der voller war von Leben, als jeder andere. Man sah es ihm an, man sah es an seinen Händen, die nie zitterten, in seinen Schritten, die nie zögerten, an seinem Mund, wenn er ohne Scham lächelte und ohne Zweifel sprach, man sah es an seinen Augen, blauen Augen, dunkel wie ein stürmendes Meer, wie prasselnder Regen und peitschender Wind. Und in seinem Inneren war eine schiere Unendlichkeit an Sehnsucht, an Drang und an Willen.
Seine erste und einzige Liebe verschlang er. Er verwüstete sie in all seiner Sanftheit mit seinen Fingerspitzen an ihren Wangen, zog sie zärtlich in seine Tiefen mit dem Lächeln seiner Augen, begehrte nach den leichtesten Küssen, die ihr den ganzen Atem nahm. Denn wenn er eine stürmische See war, dann war sie eine Möwe, die sich viel zu weit nach außen treiben lies, vom Sturm geleitet, von den verschluckenden Wellen verschlungen.
Bald schon war der Junge alleine, mit sich und seinem Sturm. Er war noch nicht erwachsen, aber das würde er nie werden.
Und all das, was er zurückließ, hätten Geschenke sein können, an das Leben selbst, wortgedrängte Werke von keinem Thema, aber von allen Gefühlen, und allen Ideen, und allen Gedanken.
Und als er all diese Werke geschrieben hatte, regnete es in sanften Stößen vom Himmel herab. Ohne Jacke lief er hinein, in des Regens Zentrum, auf eine weite Fläche, Wind und Wasser stießen ihn nach vorne, in die Mitte des Himmels. Der Junge schrie, es ward nicht gehört in dem Gewitter, er lachte und ein Strom heißer Tränen vermischte sich mit den Wassergeschenken des herrschenden Gewölks. Und als er so lachend, und weinend, und schreiend seine Arme zum Himmel öffnete, wurde er aufgenommen und löste sich in kleinste Teilchen auf, kleiner als die Atome, die seinen Körper einst gebildet hatten und sie stoben auseinander wie das Flattern tausender Schmetterlinge. Schneller, viel schneller, als alles, raste er auf den Regen zu, aus der Wolkendecke hinaus, losgelöst der Erde, losgelöst der Tatsachen und fast erreichte er die Grenzen der Wirklichkeit.


Zeitgleich seiner Auflösung und erst zögerlich fing anderswo an, das Papier zu brennen, auf dem er sich niedergeschrieben hatte. Zeitgleich stoppte der Regen, der Wind und das Gewitter. Ein Vorhang fing Flammen. Holz krachte.
Nichts ließ der Junge zurück, außer der Asche seiner Worte und die verbrannten Ruinen seines Landes.

Immer wieder Regenfenster - und andere Gedichte (2015)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt