Ich muss erst einmal nachdenken, was er damit meint, doch als mir Viyans Frage mit der Jungfräulichkeit wieder einfällt, halte ich empört die Luft an. "Was hörst du uns zu?!" "Die Wände sind nicht gerade dick", lacht Can. Das ist so... argh! "Komm, die anderen warten." Er läuft gelassen runter, während ich immer noch nicht realisiere, was er gerade gesagt hat. Ich laufe ihm stumm nach. Wie peinlich! Dann haben es bestimmt die beiden anderen auch gehört! Oh Gott! "Ich hätte echt nicht gedacht, dass du Aleyna schlagen würdest." Can lacht kurz. "Und was ist daran so lustig?", murre ich. "Du bist so zierlich. Man erwartet sowas nicht von dir, und dann greifst du plötzlich ein Mädchen an", erklärt er mir immer noch lachend. "Anders hat sie es nicht verdient", schnaube ich. Während unseres Besuches haben wir uns noch weitere Tiere angeschaut und sie mit unseren Freunden verglichen. Des weiteren lagen wir unter einer Art Decke, auf der Planeten projiziert wurden. Jetzt haben wir wieder Freizeit und laufen geradewegs zu einem Ort, wo früher anscheinend gebaut wurde - es aber nie beendet wurde. Wir springen von Mauer zu Mauer, da man nicht drauf klettern kann. Nicht, dass uns jemand erwischt. Allen, außer mir fällt es leicht, da ich leichte Höhenangst habe. "Wir sind in drei Tagen schon wieder weg", sagt Saliha. Cathleen ist nach wie vor still. Über das Ereignis will sie nicht reden. "Morgen gehen wir ins Horrorhaus, dann ins Matrix und dann am letzten Tag werden wir wohl essen gehen", erzählt Viyan, woraufhin ich genervt aufstöhne.

"Muss man ins Matrix?", jammere ich. "Ja und du wirst sogar geschminkt", grinst Saliha. Ich esse augenverdrehend Chips und höre, wie alle anderen, Ramazan zu. "Matrix hört sich gut. Essen zu gehen auch, aber ich will nicht ins Horrorhaus", quengelt er. Stimmt, er hat ja Angst vor Gruseligem. Das bringt mich zum Schmunzeln, da Ramazan mit seinem Aussehen nicht so aussieht, als würde er vor solchen Dingen Angst haben. "Keine Sorge. Ich beschütze dich", sagt Malik und streichelt Ramazan über den Kopf, während er sein Gesicht in Maliks Brust vergräbt. "Glatte Haare stehen dir", sage ich, woraufhin mir Viyan und Saliha zustimmen. "Ja, aber dieses ständige Föhnen nervt." Dabei fährt er sich durch die Haare. Ich stelle mir Ramazan in einer Beziehung vor. Wie das wohl wäre? Wie er wohl wäre? "Ramazan? Oder ihr alle. Was würdet ihr machen, wenn eure Tochter einen Freund hätte?" Bei der Frage kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich sehe schon, wie sich Cans Kiefer verkrampft. Ja, er wäre ein strenger Vater. "Ich wäre schon sauer. Meiner Tochter würde ich zwar nichts antun, aber dem Jungen", nuschelt Malik irgendwie unsicher, wie süß. "Also meine Tochter würde ich dann in den Libanon abschieben. Und den Jungen, den würde ich schlagen", grinst Ramazan. Er wäre ein typisch südländischer Vater. "Can würde den Jungen töten", fügt er düster hinzu. Wir schauen grinsend zu Can, dessen Blick angespannt auf den Betonboden gerichtet ist, auf dem wir sitzen. "Und wie wärt ihr als Mutter oder generell als Ehefrauen?", fragt Malik. "Also mein Mann soll gar nicht daran denken mit anderen Frauen zu schreiben", summe ich und schwinge den Kopf hin und her. "Wieso?", fragt Ramazan.

"Wieso? Er hat mich. Wozu braucht er da noch eine andere Frau? Er kann mir alles erzählen. Selbst seine intimen Probleme." Dabei verschränke ich stur die Arme vor der Brust. "Und was, wenn er es dir nicht erzählen will?", fragt Can jetzt. Ich drehe meinen Kopf zu ihm. "Dann wäre er nicht mein Mann", gebe ich schlicht von mir. "Shana wäre der Mann im Haus", sagt Saliha und zeigt demonstrativ auf mich. Die anderen Mädchen sagen nichts. Anscheinend haben sie dieselben Ansichten. Nach einer Stunde beschließen wir wieder zurück zum Hotel zu laufen und uns dann zu treffen, damit wir essen gehen. Wir müssen runterspringen, womit ich Probleme habe, da ich sowas hasse und mich davor fürchte. Alle sind schon unten und warten auf mich, doch ich winde mich die ganze Zeit. Ich gehe nach vorne, doch dann wieder zurück. Meine Angst ist zu groß. "Shana, komm ich fange dich auf", meint Malik und streckt die Arme aus. "Ich auch!" Nun stellt sich Ramazan zu Malik und wartet mit ihm auf mich. Mir ist es unangenehm. Ich kann einfach nicht. Ich schüttele ängstlich den Kopf. "Shana, wir versprechen, dir passiert nichts!", verspricht mir Malik. "Ich wünsche, ich könnte, aber es geht nicht", murmele ich ängstlich. "Geht, wir kommen nach", mischt sich Can in einem bestimmenden Ton ein. Was wird das jetzt hier? Die anderen schauen kurz zu mir und laufen dann unbeholfen zurück. Was zum?

Als sie dann außer Reichweite sind, fängt Can an zu reden. "Shana, komm." "So einfach ist das nicht", murre ich. "Ich fange dich schon auf, keine Sorge." Wenn ich dir bloß glauben könnte. Wieder gehe ich einen Schritt nach vorne und dann wieder zurück. "Shana, bitte." Die Entfernung ist so groß für mich. Zwar ist Can größer als Malik und Ramazan, trotzdem habe ich Angst. "Vertraust du mir?", fragt er sanft. Vertraue ich ihm? Tue ich das? Sein jetziger Tonfall erscheint mir so widersprüchlich. "Nein", flüstere ich. Ich sehe einen Hauch von Enttäuschung in seinem Gesicht, aber es ist nun mal die Wahrheit. "Dann versuche es wenigstens für diesen Moment. Ich schwöre es dir, dich niemals loszulassen." Er sieht mich dabei eindringlich an. Irgendwann muss ich runter. Außerdem habe ich Hunger. Ich atme einmal tief durch und gehe auf die Knie. Es ist nicht gerade praktisch, dass ich heute ein T-Shirt anhabe, in dem man mein Dekolleté gut sehen kann, wenn ich mich bücke. Ich ziehe es schnell hoch und sehe, wie Can schmunzelt. "Schmunzel' nicht!" "Ich versuche es", sagt er und wackelt mit den Augenbrauen. "Sei bereit, ich komme jetzt." Gar nicht zweideutig. Auch Can scheint es anders zu verstehen, denn er fängt an zu grinsen. Ein verdammt schönes Grinsen, Idiot. Ich beuge mich immer tiefer, bis Can meine Oberarme im Griff hat. Meine Angst ist immer noch nicht verflogen. "Keine Angst. Ich hab' dich." Ich lasse mich fallen und klammere mich sofort an Can ran, der mich an der Taille festhält. Meine Augen sind zusammengekniffen und mein Herz schlägt schneller, als sonst. "Keine Sorge, du hast es geschafft. Es ist doch alles gut", flüstert er mir zu und krault mich kurz mit der rechten Hand, die sich auf meinem Schulterblatt befindet. Wie sanft seine Stimme doch sein kann, ohne eine Aversion mir gegenüber. Jetzt herrscht wieder diese Harmonie. Diese Harmonie, die ich so sehr liebe. Sie fühlt sich gut an, sie beruhigt mich.

"Danke", flüstere ich in seine Halsbeuge und schlinge meine Arme noch fester um seinen Nacken. Wieso mache ich das? Gerade habe ich ihn noch gehasst, aber irgendetwas in mir lässt es jetzt nicht zu, wütend zu sein. Er drückt mich ebenfalls fester an sich. Wahrscheinlich spürt er auch den Frieden zwischen uns und will genau so wenig, dass er jetzt endet. Es erscheint meinem Stolz jetzt falsch. Bestimmt wird es mir selber später schlecht vorkommen, aber ich genieße es gerade. Ich atme seinen Duft ein und drücke mich danach weg von ihm, sodass ich ihn angucken kann. Wir schauen uns stumm an. Braun trifft auf gelb. Seine Augen ziehen mich immer wieder in einen Bann, schon seit dem ersten Mal, als ich sie gesehen habe. "Siehst du? Du konntest mir vertrauen", sagt er leise. Man könnte meinen, er meinte es eher zu sich, als zu mir. "Wie oft werden wir uns streiten?", rutscht es mir aus. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Es ist so verrückt, dass wir uns gerade in dieser Lage befinden. "Wie meinst du das?" "Can, wir streiten uns so oft. Dann kommen diese Momente, wo wir beide das Gefühl haben, dass wir auch mal friedlich miteinander umgehen können und dann entsteht wieder Streit. Das wird immer so sein", nuschele ich und senke den Blick. "Bald wird es nicht mehr so sein", murmelt er. Ich schaue ihn fragend an. Was soll ich darunter verstehen? Er schüttelt nur den Kopf. Seine Pupillen sind wieder so geweitet. Seine Wimpern so schön gebogen. Seine Augen leuchten, die grauen Sprenkel machen es umso einzigartiger. Seine Haut ist so rein und das Gesicht etwas markant. Die Lippen sind füllig und rosa. Als ich mit dem Inspizieren fertig bin, schaue ich ihn wieder an. Mir war es irgendwie nicht peinlich, ihn gemustert zu haben. Mir fällt jetzt auf, dass mein Mund leicht geöffnet ist, genau wie seiner jetzt. Er schluckt, was seinen Adamsapfel kurz aufspringen lässt und kommt mir näher. Die Wette! Der Test!

Schnell löse ich mich von ihm und fahre mir durch die Haare. Mist! Das war alles nur ein Test. Ich... ich fühle mich irgendwie schlecht. As fühlt sich scheiße an. "Lass uns zurück", gebe ich mit einer etwas strengen Stimme von mir und schaue mit zusammengezogenen Augenbrauen auf den Boden. Zum Glück kam es mir wieder in den Sinn. Es war geplant. Und ich bin drauf reingefallen. Wie konnte ich nur so naiv sein? Ich muss sagen, dass es ein sehr gutes Timing war, indem er mich getestet hat, aber zum Glück habe ich mich daran erinnert. Selbst wenn, dann hätte ich ihn nicht geküsst. Kann man das als Fast-Kuss sehen? Ich meine, ich bin ihm ja nicht entgegengekommen. Er war es. Vergessen. Ich muss es vergessen. Er ist ein Player. Gestern hat er noch Aleyna geküsst und jetzt versucht er es bei mir?

Nein, Can. So einfach ist das nicht.

ArroganzWhere stories live. Discover now