Selbst wenn...

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Mein Kopf lag auf seiner nackten, warmen Brust. Seine Hand ruhte auf meiner Schulter, die andere strich mir sanft durch die Haare. "Hast du mit deiner Mutter gesprochen?" Ich antwortete nicht, stattdessen lauschte ich seinem Herzschlag. Hektisch und eindringlich drang das laute Geräusch in mein Ohr. Bumbum, bumbum, bumbum.
"Ruby?"  Nervös wandte ich mich ab.
"Warum muss ich ihnen überhaupt Bescheid sagen? Sie kennt dich doch nicht einmal." Ich konnte spüren, wie sich sein verständnisloser Blick in meinen Rücken bohrte. "Weil wir heiraten, das wirst du deinen Eltern erzählen." Ich schloss die Augen, ich wollte das nicht hören. Das Bett quietschte, als Eric näher an mich heran rutschte, mein Gesicht liebevoll in beide Hände nahm und mich somit zwang ihn anzuschauen. "Hör zu, ich weiß nicht genau, was damals alles zwischen euch vorgefallen ist, aber sie sind deine Familie. Ich möchte sie kennen lernen und ich denke, sie haben auch ein Recht darauf zu erfahren, dass es dir gut geht. Sie werden zu deiner Hochzeit kommen wollen." Ich schlang meine Arme um seinen Hals und zog ihn an mich, sodass er mein Gesicht nicht sehen konnte. Dann flüsterte ich mehr für mich, als für ihn: "Ich wünschte nur, das würden sie nicht." 

zehn Tage später
Die kalten Fließen der Badezimmerwand drückten sich unangenehm hart gegen meinen Rücken. Ich hatte die Augen geschlossen und hielt den kleinen Stab fest umklammert. Weder die Übelkeit, noch das schlechte Gefühlt waren im Laufe des Vormittags verschwunden. Also hatte ich irgendwann den Weg in die Apotheke auf mich genommen.

Ich hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass mein Kiefer schmerzte. Schweigend, angespannt und mit zitternden Händen wartete ich auf das Geräusch des Weckers, der mir signalisierte, dass die Wartezeit vorüber war. 

Um neun Uhr abends klingelte es an der Tür und ich öffnete. Ich war alleine, trug bereits meinen Pyjama und hatte mir zum Abendessen eine Pizza in der Mikrowelle warm gemacht, was sich in Form von einigen roten Flecken auf meinem Oberteil bemerkbar machte.

 Vor der Tür standen Noelle und vier Mitarbeiterinnen aus der Kanzlei. Verwirrt wanderte mein Blick von einem zum anderen.  Alle trugen schicke Cocktailkleider und hohe Schuhe. Noelle war zu sehr damit beschäftigt, von einem Ohr zum anderen zu grinsen, als dass sie mein eigenes desaströses Auftreten bemerkt hätte. Sie fasste in ihre Tasche und zog eine Flasche Sekt hervor, die sie mir nicht minder strahlend entgegenstreckte. Langsam verstand ich, was das hier werden sollte. Und begeistert war ich davon nicht.
Nicht heute, nur nicht jetzt. 

Ich bat alle einzutreten, packte Noelle am Arm, entschuldigte uns und zog sie in die Küche, wo ich umgehend die Tür hinter uns schloss. "Noelle das war wirklich keine gute Idee!" Sie schaute mich überrascht an. "Warum nicht?" Ich deutete in Richtung des Wohnzimmers. "Was machen die Leute aus der Kanzlei hier?" Jetzt räusperte sie sich verlegen. "Nun ja, ich habe mit den Leuten aus Island gesprochen und sie wären gerne gekommen, aber sie konnten sich das mitten im Jahr leider nicht einrichten." Ich schluckte, ja das war abzusehen, aber es tat trotzdem weh. Ich hätte sie gerne mal wieder gesehen. 

"Von Erics Freunden konnte ich keinen erreichen. Und weil du doch noch nicht so lange hier wohnst, wusste ich nicht, wen ich fragen sollte, deswegen habe ich einfach ein paar Leute von deiner Arbeit gebeten, vorbeizukommen. Sie wirken alle ganz nett." Ich atmete tief ein. Das konnte ich jetzt wirklich nicht auch noch gebrauchen. "Von der Hälfte von denen kenne ich nicht mal den Vornamen! Ich habe wirklich keine Lust so einen Abend zu verbringen. Vor allem nicht heute, mir...mir geht es nicht besonders gut." Das Strahlen ihrer Augen wurde nun von einem verletzten Ausdruck überschattet. Sie tat mir Leid. "Hör zu, ich weiß, du hast dir viel Mühe gegeben, aber ich kann das heute einfach nicht. Es tut mir Leid. Lass uns doch einen gemütlichen Abend zu zweit verbringen." Erst jetzt betrachtete sie mein Outfit skeptisch. "Es ist noch Pizza da", setzte ich hinzu. Jetzt grinste sie wieder. "Einverstanden" 

Eine Stunde später saßen wir gemeinsam auf dem Sofa. Meine Kolleginnen waren mit einigen Entschuldigungen hinausgeleitet worden. Auf dem Tisch stand eine offene Flasche Wein, die bereits zur Hälfte geleert war. Noelle hatte den Kopf auf meiner Schulter abgelegt  und lallte einige unverständliche Worte. Ich wollte mich gerade auf den Weg zur Toilette machen, als es ein zweites Mal an der Tür klingelte. Ich schob Noelle vorsichtig beiseite und lief zum Eingang. Die Tür öffnete sich und davor stand eine alte Bekannte. Ich wünschte, ihr Anblick hätte mich überrascht, aber insgeheim hatte ich mir vorgestellt, wie schön es wäre, wenn sie käme.  

Auch Hazel war sehr stilvoll gekleidet: Sie trug ein kurzes, schwarzes Cocktailkleid, welches am Dekolleté mit Spitze verziert war. Dazu hatte sie sich eine kleine schwarze Tasche um die rechte Schulter gelegt. Ihre Haare waren seitlich zu einem französischen Zopf geflochten, aus dem sich bereits einige Strähnen gelöst hatten. Sie war wunderschön. 

Für einige Augenblicke sagte keiner von uns ein Wort. Dann trat ich ein Stück beiseite, um sie hineinzulassen. Zögernd trat sie über die Türschwelle. "Noelle hat mich angebettelt, damit ich komme. Ist sie nicht da?" Die Situation schien sie sehr zu irritieren. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich von meiner eigenen Verwirrung zu erholen. "Doch ist sie, aber wir... Wir haben den Abend etwas umgestaltet." Ich wies auf das Sofa, auf dem Noelle sich mittlerweile eingerollt hatte und selig schlief. "Oh", murmelte Hazel bloß und wurde rot. Ihre Finger begannen nervös an einem losen Faden ihrer Tasche zu ziehen. "Ich glaube, es war ein Fehler, überhaupt her zu kommen. Ich sollte jetzt lieber gehen!" Mit diesen Worten drehte sie sich um und wollte gerade den Weg zurück zur Tür antreten, da traf ich kurzentschlossen eine Entscheidung. Sanft legte ich eine Hand auf ihre Schulter.  Sofort verharrte sie mitten in der Bewegung. Langsam, wie in Zeitlupe, drehte sie sich zurück zu mir um. Unsere Blicke trafen sich. Einige Atemzüge lang traute sich keiner von uns, sich zu bewegen. Ich versank tief in ihren gold-braunen Augen. Vorsichtig trat ich einen Schritt näher, sodass ich mich direkt vor ihr befand. Ich traute mich kaum zu atmen, mein Herz schlug so schnell, als müsste es jeden Augenblick zerbersten und dann trafen sich unsere Lippen. 

Aus den zarten Schmetterlingen in meinem Bauch wurden unzählige, die wild hin und her zu flattern schienen. Meine Knie wurden weich. Der Kuss dauerte nur wenige Sekunden, doch es fühlte sich an, wie eine Unendlichkeit. Wir lösten uns voneinander und Hazel wich zwei Schritte zurück. Ich war unfähig mich zu bewegen, so starrte ich bloß unsicher geradeaus. 

"Empfindest du etwas für mich?", flüsterte ich nach einigen unerträglichen Momenten des Schweigens. Sie schluckte. Ihr Blick war traurig. "Selbst wenn es so wäre, es wäre nicht richtig." Dann hob sie plötzlich die Augenbrauen, als hätte sie etwas erkannt. "Es geht hier gar nicht um mich." "Was?" "Es geht nicht um mich", wiederholte sie, "Du machst dir Sorgen, um deine eigenen Gefühle." 

 Meine Finger zitterten. Schnell verbarg ich sie hinter meinem Rücken. Dann senkte ich den Blick voller Scham. Wahrscheinlich hatte sie Recht. "Ruby, du hast einfach nur zu viel getrunken. Das war nichts Ernstes. Lass es uns einfach vergessen." Ich lachte bitter. "Du kannst nicht weiterhin so tun, als wäre da nichts zwischen uns. Ich habe heute keinen Tropfen Alkohol getrunken." Überrascht zog Hazel die Augenbrauen hoch.

 Ich konnte förmlich spüren, wie die kalte Verzweiflung langsam meinen Rücken empor kroch und mein Herz erbarmungslos in ihrem eisernen Griff umklammerte.  

Ich hatte keinen Tropfen Alkohol getrunken, weil der Schwangerschaftstest heute Morgen positiv gewesen war. 


Hazel EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt