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Bridon streckte sich, genoss die warme Mittagssonne der Steppe auf seinem Gesicht, die durch ein Loch in der Zeltdecke schien, und drehte sich auf seinem Halidh auf die andere Seite. Dann war er plötzlich hellwach. Heute war der Tag.
"He, Faulpelz, steh auf!", rief Drines und steckte den Kopf in Bridons Zelt. "Heute ist ein großer Tag, kleiner Bruder!"
"Ich komme!" Bridon sprang auf und nahm im Hinausrennen das Messer von seinem Vater mit, das er immer neben sich legte, wenn er schlief. "Du wirst doch wohl nicht mit diesem alten Ding dein Tier erlegen wollen?" Sein großer Bruder schaute ihn skeptisch an, als Bridon mit dem Messer neben ihm stand. Dann übergab er Bridon eine Waffe, die Drines selbst vorher immer am Gürtel getragen hatte. "Nimm mein Kjak. Ich kann mir immer wieder ein neues machen wenn ich will."
Bridon war erstaunt. Drines war nicht oft so großzügig, aber vielleicht lag es an dem heutigen Tag, dass er so in Geberlaune war.
Heute war Bridons Hyjilka. Der Tag, an dem er in die Wüste Kanam gehen und ein Mann werden würde, indem er das erste Tier, das ihm begegnete, tötete. Er hatte sich schon lange vor diesem Tag gefürchtet. Drines und Brasen hatten ihn früher immer damit aufgezogen, dass er keine Ameise umbringen konnte. Doch Bridon war heute ein anderer Mensch.
Mit hocherhobenem Kopf nahm er die Klinge von Drines an und ging dann mit ihm an den Rand der Wüste, wo schon der Älteste mit Bridons Vater wartete. Neben den beiden Männern stand Brasen, Bridons Zwilling, der heute auch seinen Marsch in die Wüste antreten würde. Er hatte sich ein Kurzschwert von einem der Söldner geliehen, die in der Zeltstadt oftmals Rast machten.
Als Bridons Vater seine anderen beiden Söhne sah, breitete er die Arme aus und rief: "Bridon! Wieso musst du immer so spät sein?" Und als Bridon und Drines sie erreicht und den Ältesten mit einer förmlichen Verbeugung begrüßt hatten, sagte er: "Ich weiss natürlich schon, welches Tier ihr erledigt! Alle in unserer Familie haben bisher nur ein Tier in der Wüste gesehen." Bridon und Brasen verdrehten die Augen. Die Geschichte, dass alle in ihrer Familie an ihrem Hyjilka ein Nashorn erlegen, hatten sie schon huntertmal gehört und nachdem auch Drines mit dem Kopf eines Nashorns in die Zeltstadt zurückkehrte, war ihr Vater der festen Überzeugung, dass Bridon und Brasen ebenfalls mit einer Nashorntrophäe zurückkehren würden und dann seine Schmiede weiterführen könnten.
"Es weht kein Wind heute.", sagte der Älteste, Grunar, und Bridon war froh, nicht noch einmal die Geschichte seines Vaters hören zu müssen. "Ihr seid hier, um eure Bestimmung zu finden. Wenn das erste Tier auch noch so klein ist, müsst ihr es töten, so verlangt es die Tradition. Der Ältestenrat und ich wünschen euch viel Glück. Auf dass die Wüste euch den Weg zeigen werde."
Bridon und Brasen sahen sich an. "Ihr werdet das erste Stück zusammen gehen. Nach zwei Stunden werdet ihr euch trennen. Drei Tage und drei Nächte sollt ihr in der Wüste verbringen." Grunar übergab den beiden Jungen jeweils ein Paket. "Das sind eure Vorräte. Nutzt sie weise!"
Dann entließ er Brasen und Bridon mit einer Handbewegung und trat den Weg zurück in die Zeltstadt an. Drines und sein Vater folgten ihm.
"Was denkst du, was du für ein Tier finden wirst?", fragte Brasen, während Bridon seinem Vater hinterher sah. "Ich weiss es nicht. Ich habe das Gefühl, dass es eine Ameise sein wird.", grinste Bridon und drehte sich zur Wüste.

Der Junge, Der Aus Der Wüste KamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt