Kapitel 52: Mission Impossible

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Es war relativ früh, als ich aufwachte.

Nachdem wir in der vorigen Nacht noch ewig geredet hatten, war es schon sehr spät gewesen, als wir endlich eingeschlafen waren. Ich hatte die wenigen Stunden, die mir zum Schlafen geblieben waren, einfach nicht still halten können. Zu sehr verfolgten mich Noras Worte. Wie sehr musste ich mich in Jannis getäuscht haben? Nur weil ich seine Gefühle nicht nachempfinden konnte, hieß das doch nicht, dass er keine hatte. Und niemals hätte ich geglaubt, dass ich so einen großen Einfluss auf ihn haben könnte. Gleichzeitig warf mich der Gedanke, dass Nora glaubte, er könnte möglicherweise an irgendetwas kaputt gehen, aus der Bahn. Was war ihrer Meinung nach schlimm genug, um ihn kaputt zu machen, und welche Umstände zwangen ihn permanent dazu, stark zu bleiben, so dass er Gefahr lief daran zu zerbrechen?

So viele Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, dass ich geradezu auf den Morgen wartete, wenn ich aufstehen und meiner inneren Aufgewühltheit durch emsige Geschäftigkeit Luft verschaffen konnte.

Wie sollte ich mich ihm gegenüber denn nun verhalten? Konnte ich kitten, was kaputt gegangen war, bevor es erst richtig begonnen hatte? Wollte ich wirklich das Risiko eingehen, nochmal so sehr von ihm verletzt zu werden, nochmal - und wahrscheinlich würde das noch mehrmals passieren, wenn er schon so dicke Mauern um sich gebaut hat- hart von ihm weggestoßen, ausgesperrt zu werden. War ich stark genug, dass er bei mir schwach sein, sich gehen lassen konnte?

Ich stand früh in der Küche und bereitete Pfannkuchen vor, um irgendwas zu machen, aber um ehrlich zu sein, brachte es kaum etwas. Ich wurde von Minute zu Minute nervöser. Als es an der Tür klingelte, schrak ich so heftig zusammen, dass mir der Pfannwender aus der Hand fiel, und ich mich einen Moment lang zitternd an der Arbeitsplatte abstützen musste, bevor ich überhaupt imstande war, in den Flur zu gehen.

Als ich schließlich zur Tür ging, hörte ich Stimmen. Meine Mutter stand vor dem Eingang und versperrte mir zunächst die Sicht auf Jannis, dessen Stimme ich jedoch hören konnte.

„...gehen in den selben Jahrgang", sagte er gerade zu ihr.

Ich blieb hinter der Tür stehen, so dass ich ihn immer noch nicht sehen konnte und er vor allem mich nicht.

„Oh okay, ich denke ich hole sie dann m...", sagte meine Mutter und ich räusperte mich. Sie drehte sich aus dem Konzept gebracht zu mir. „Anscheinend ist das nicht mehr nötig", sie lächelte nochmal freundlich in Jannis Richtung und ließ uns beide dann allein.

Ich stand immer noch hinter der Tür und wrang nervös meine Hände. Ich brachte es nicht über mich, den entscheidenden Schritt zur Seite zu tun und damit in sein Sichtfeld zu treten. Ich hatte einfach noch nicht meine Entscheidung getroffen, wie ich nun mit ihm umgehen wollte. Umso länger ich den Moment heraus zögerte mich seinen Augen auszusetzen, umso schwerer wurde es, nicht einfach weg zu rennen. „Nora schläft noch", presste ich mir heraus und hätte mir am liebsten dafür auf den Mund geschlagen.

Ich hörte, wie er einen Schritt nach vorne tat, langsam die Tür weiter aufdrückte und damit auch die Wand zwischen uns zur Seite schob. Ich ließ erschrocken meine Hände fallen und sah auf. Er stand jetzt im Eingang, kaum einen Meter von mir entfernt und sah zu mir herunter. Wir sahen uns mehrere Sekunden nur schweigend an.

„Seit wann hast du Angst vor mir?", fragte er leise.

„Hab ich nicht"

Er musterte mich skeptisch und näherte sich mir kaum merklich. Ich ging einen Schritt zurück, woraufhin er kritisch seine Arme vor der Brust verschränkte. Aber er sagte nichts weiter zu meinem merkwürdigen Verhalten. „Gestern Abend hast du nur gesagt, du wärst Nora in einer misslichen Lage zufällig über den Weg gelaufen. Was genau ist passiert?" Er stellte die Frage in einem fordernden Ton.

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