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Mein Mund formt sich zu einem stummen "oh". Das klingt echt brutal.
Irgendwie fühle ich mich in Aladars Nähe sehr wohl. Er ist ehrlich zu mir und beantwortet meine Fragen. Ich glaube, dass er mich mag. Vielleicht haben meine Zofen ja doch Recht. Tja, und Lucian...Er wollte irgendwas damit erreichen, dass ich von seinem Blut getrunken habe. Seine Motive sind mir absolut unklar. Aladar will mich wenigstens auf eine ehrliche Art und Weise kennenlernen, interessiert sich für mich und gibt mir ein Gefühl der Sicherheit.
,,Ravyn?"
Ich blicke ihm im die Augen. Sie sind grün, wie der Wald.
,,Ja?"
,,Magst du Lucian? Wenn man mal seinen...Fehler beiseite lässt."
,,Ich weiß es nicht."
,,Und... magst du mich?"
Ich zögere.
,,Ich erwarte auch nicht, dass du mir die Frage sofort beantwortest, weil wir uns noch gar nicht richtig kennen. Trotzdem bist du mir eine Antwort schuldig." Er lächelt verlegen.
,,Okay. Danke. Kurzer Themenwechsel: was müssen wir heute Nachmittag machen?"
,,Heute ist quasi ein freier Tag, das heißt, dass wir Prinzen ein oder mehrere Mädchen auswählen können, mit denen wir den restlichen Tag verbringen wollen."
,,Okay, und die anderen?"
,,Die werden anderweitig beschäftigt, aber das braucht dich nicht zu interessieren."
,,Hä, warum?"
,,Weil ich gerne den Tag mit dir verbringen möchte. Natürlich nur wenn du es willst!" Erwartungsvoll sieht er mich an.
,,Oh. Ja, ich möchte."
Er lächelt glücklich. Da klopft es und Lucian platzt herein.
,,Hallo, Ravyn. Möchtest du vielleicht ..." Er verstummt, als er seinen Bruder sieht.
,,So wie's aussieht hast du schon jemanden gefunden", sagt er kühl und knallt die Tür hinter sich zu, bevor auch nur einer von uns etwas sagen kann.

,,Was willst du gerne machen?", fragt er mich.
,,Gibt es hier eine Bibliothek?"
,,Ja, natürlich. Los, komm!" Er nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her. Über Lucian verlieren wir kein Wort.

Die Bibliothek ist riesig. Sie hat ein Kuppeldach aus Glas. Die Regale gehen bis zur Decke und alles ist voll mit Büchern. Der Geruch von bedrucktem Papier, altem Pergament und Holz ist atemberaubend. In der Mitte des Raumes gibt es Tische und Sofas. Es ist hier sehr gemütlich. Wir stehen auf einer Brüstung und haben einen guten Blick über alles. Was mir so gut gefällt ist, dass es keine normalen Regalreihen sind, sondern es ist ein richtiges Labyrinth mit Reihen, Treppen und Leitern.
,,Wow!", hauche ich begeistert.
,,Es gefällt dir?", fragt Aladar so dicht hinter mir, dass ich kurz die Luft anhalte. Ich nicke hastig. Plötzlich packt er mich und springt mit mir die Brüstung runter. Erschrocken kreische ich auf und er lacht.
,,Macht soetwas nie wieder! Ihr seid gemein!", rufe ich empört.
,,Das kann ich dir nicht versprechen", grinst er und fügt noch hinzu: ,,Du kannst mich ruhig duzen."
Ich gehe die Regalreihen entlang und streife mit der Hand über die Buchrücken. Schon immer war ich eine Leseratte, doch zu Hause hatte ich kaum Bücher und die Stadtbibliothek war sehr weit weg.
,,Du kannst dir auch welche mit nach oben nehmen", meint Aladár und ich nicke fröhlich.
Er taucht hinter mir auf.
,,Früher haben ich und meine Brüder hier immer Verstecken oder Fangen gespielt", erzählt er.
,,Das geht hier ja auch gut!"
,,Ja." Er versinkt in Gedanken.
,,Wie ist es eigentlich mit dem Vampirismus? Ihr seid doch unsterblich, oder?", reiße ich ihn aus seinen Gedanken.
,,Ja, aber nur solange wir die Blutprinzessinnen haben und ihr Blut trinken."
,,Okay, aber die Blutprinzessinnen sind ja nicht unsterblich. Wie geht das dann?"
,,Je mehr der Vampir von seiner Blutprinzessin trinkt, desto mehr wird sie zum Vampir. Jeder Vampir braucht daher in seinem Leben mehrere Prinzessinnen."
,,Okay. Das ist irgendwie blöd."
,,Ja, aber so entstehen weibliche Vampire."
,,Aha. Und Jungen werden geboren?"
,,Genau. Allerdings darf der Vampirmann nur mit seiner Vampirfrau Kinder kriegen. Wenn ein Mensch von einem Vampir ein Kind kriegt, ist der dann ein Halbvampir, was strengstens verboten ist, weil sich die Rassen nicht vermischen dürfen. Das ist gegen die Natur und dadurch wird wieder das Gleichgewicht gestört."
,,Aber was macht ihr, wenn es einen Halbvampir gibt?"
,,Er muss als Baby getötet werde. Je älter Vampire werden, desto schwerer ist es, sie zu töten."
,,Ihr altert ja nicht mit, sondern seht immer jung aus. Wir geht das?"
,,Jeder Vampir hört bei einem bestimmten, menschlichen Alter auf zu altern. Bei manchen ist es 18 und bei anderen 35. Das ist unterschiedlich."
,,Und wie alt bist du?"
,,Ich habe im Menschenalter von 19 aufgehört zu altern. Aber eigentlich bin ich 60."
,,Krass. Hattest du schon eine Blutprinzessin?"
,,Nein. Ein Vampir kann durchschnittlich 100 Jahre ohne Blutprinzessin leben. Es ist zwar eine Qual, weil es schmerzt und man deutlich geschwächt wird, aber es ist möglich."
,,Okay. Wie ist das geregelt mit den Blutspielen? Sie sind ja nicht jedes Jahr."
,,Stimmt. Die Blutspiele werden dann veranstaltet, wenn der Jüngste sein Endstadium erreicht hat. Bei Valorac war es vor einem Jahr."
,,Okay. Danke für die Antworten."
,,Immer wieder gerne."
Wir setzen uns auf eines der bequemen Sofas. Aladar stützt seinen Arm auf der Lehne ab und legt seinen Kopf auf seine Hand. In dieser Position sieht er mich lange an. Ich blicke immer noch umher, stehe immer wieder auf, um mir ein paar Bücher anzusehen. Seine wachsamen Augen folgen meinen Bewegungen.
,,Darf ich dir auch ein paar Fragen stellen?", fragt er nach einer Weile. Ich stehe gerade vor einem Regal mit den andalischen Märchen.
,,Klar", antworte ich.
,,Woher kommst du?"
,,Aus Silavas Poratas."
,,Ah, das ist ganz schön weit weg. Warst du auf einer Schule?"
,,Ja, die konnten wir uns kaum leisten."
,,Oh, habt ihr Geldprobleme?"
,,Ja, das ganze Volk hat Geldprobleme! Wir haben kaum Essen, das Wasser ist schlecht und der Strom ist zu teuer!", rufe ich aufgebracht. Und die Vampire leben hier im Luxus. Wie kann er das nicht wissen?
,,Davon hat mir Vater nie etwas gesagt", flüstert er gerade so laut, dass ich es verstehen kann.
,,Dein Vater hat dir nichts davon gesagt?! Du bist vielleicht der zukünftige König und er sagt dir das nicht?! Warst du denn nie unter den Menschen? Hast du noch nie genau hingeschaut?"
,,Meine Brüder und ich haben nicht so viele Freiheiten wie du vielleicht denkst." Er steht auf und kommt auf mich zu.
,,Bitte beruhige dich. Wenn ich König werde, verspreche ich dir, dass ich das ändern werde", murmelt er. Ich lehne mit dem Rücken am Regal und er stützt sich rechts und links neben meinem Kopf ab. Er sieht mich so intensiv an, dass mein Bauch kribbelt. Seine Locken sind verstrubbelt und ein paar Stähnen hängen ihm ins Gesicht. Langsam hebe ich die Hand und streiche sie ihm aus dem Gesicht. Er zuckt kaum spürbar zusammen und lächelt vorsichtig. Mir fällt auf, dass er nicht besonders groß ist, im Vergleich zu seinen Brüdern. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellen würde, könnte ich ihn küssen. Durch sein T-shirt, das sich an seinen Schultern spannt, kann ich seine Muskeln sehen. Die Jungs an meiner ehemaligen Schule hätten wahrscheinlich Jahre gebraucht, um sich so einen Körper anzutrainieren.
,,Hattest du schonmal einen Freund?", fragt er und ich senke den Blick.
,,Nein, dass hätten meine Eltern auch nicht erlaubt."
,,Warum?"
,,Wir mussten unsere Jungfräulichkeit für unseren zukünftigen Mann aufheben. In unserem Fall wurde auf einen Prinzen gehofft."

Die Blutprinzessin (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt